Jüdisches Leben zu fördern ist Staatsräson in Bayern. Das betont nicht nur Ministerpräsident Markus Söder gerne bei jeder passenden Gelegenheit. Darauf konnten sich auch seit Jahrzehnten alle politischen Parteien einigen. "Es war aber auch im Interesse der deutschen und der bayerischen Politik, dass es wieder jüdisches Leben geben würde," sagt Michael Brenner, Professor für jüdische Geschichte und Kultur an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Denn das galt als Prüfstein der jungen Demokratie.
Die Bewährungsprobe begann direkt nach dem Krieg mit der Versorgung der vom Nationalsozialismus Verfolgten. Dazu zählten die wenigen überlebenden bayerischen Juden, sowie - hauptsächlich - die Displaced Persons, vor allem ehemalige Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge aus Osteuropa. Bis zu 250 000 Holocaustüberlebende kamen zwischen 1945 und 1950 in die amerikanische Besatzungszone. Um sie zu unterstützen, wurde nur wenige Monate nach Kriegsende das "Staatskommissariat für rassisch, religiös und politisch Verfolgte" gegründet, unter dem Dach des bayerischen Innenministeriums. Jeder, der einen "Ausweis über die Anerkennung als Verfolgter" besaß, bekam Hilfsleistungen - vom Stück Seife bis zum Stipendium für ein Studium. Es war eine Notversorgung, aber noch keine Erstattung oder Entschädigung für all das im Krieg Geraubte und Erlittene.
Die ersten Wiedergutmachungsgesetze entstanden ebenfalls in der US-Zone, unter Aufsicht der Besatzungsmacht. Seit dem Militärregierungsgesetz Nr. 59 von 1947 und dem "Gesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts" von 1949 war die Entschädigung nicht mehr nur freiwillige Sache des Staates, sondern einklagbares Recht. Es folgten weitere Gesetze, auch bundesweite.
Doch der Staat gab die finanziellen Hilfen nur zögerlich frei, oft dauerte es sehr lange - zu lange für machen NS-Überlebenden im hohen Alter. Hinzu kamen 1951 Vorwürfe gegen Philipp Auerbach, den jüdischen Leiter des Landesentschädigungsamts, er habe Gelder veruntreut und betrogen. Kurz darauf nahm er sich das Leben. Später stellte sich heraus, dass die Vorwürfe falsch waren. Für einige belegte die Auerbach-Affäre den wiederaufkeimenden Antisemitismus.
In den Jahren davor war wieder jüdisches Leben in Bayern aufgekeimt, es gab jüdische Sportvereine, Zeitschriften, Schulen, religiöse Institute und Theater. All das löste sich Ende der 40er Jahre wieder auf, als ein Großteil der Juden auswanderte - nach Amerika oder ins neu gegründete Israel. "Von politischer Seite gab es wenig Interesse, all die osteuropäischen Juden in Deutschland zu behalten, auch wenn das natürlich nicht öffentlich gesagt wurde", sagt Brenner.
War Deutschland bei seiner Bewährungsprobe gescheitert? In den folgenden Jahrzehnten waren Juden jedenfalls eine winzige Minderheit. Das änderte sich Anfang der 90er Jahre, als die deutsche Regierung nach dem Zerfall der Sowjetunion beschloss, russischsprachige Juden als sogenannte Kontingentflüchtlinge aufzunehmen - unbürokratisch und schnell. Sie wurden bundesweit auf die Gemeinden verteilt, deren Mitgliederzahlen sich plötzlich vervielfachten. Viele der damals zwölf Gemeinden in Bayern hatten kurz vor der Auflösung gestanden. Die Zahl der Juden stieg zwar nicht auf das Niveau von vor 1933, doch zumindest war die Zukunft der jüdischen Gemeinschaft gesichert. Die Neuen brachten jedoch ein anderes Verständnis jüdischer Identität mit; schließlich hatten sie in Staaten gelebt, in denen jegliche Religion unterdrückt wurde ( siehe Interview).
1997 machte die Landesregierung mit einem Staatsvertrag deutlich, dass sie die jüdische Gemeinschaft auch finanziell unterstützt. Ein weiteres wichtiges Zeichen setzte München 2006 mit dem Neubau der Synagoge im Herzen der Stadt. Auch in anderen Städten wurden neue Gemeindezentren gebaut. "Das zeigte", sagt der jüdische Historiker Brenner, "dass wir wieder in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind und nicht mehr dieses Hinterhofdasein pflegen."