Wie man sich den Alltag einer 80 Jahre alten ehemaligen Bundesministerin vorstellen muss? So offenbar: Im September 2023 saß Renate Schmidt auf einem Podium mit allerlei Diskutanten und hörte sich selbst den Satz sagen: „Man bräuchte in Nürnberg einen Demokratiepakt.“ Der Satz hallte dann in ihr nach, klang auch nach Mitternacht noch immer gut und so nahm die Bundesfamilienministerin a. D. um ein Uhr in der Nacht Kontakt auf zu den vier anderen vom besagten Podium, ehemaligen Politikern von SPD, CSU, Grünen und FDP. Ob ihre spontane Analyse aus der Runde nicht tatsächlich enorm richtig sei?
Zwölf Monate und neun Stunden später sitzt Renate Schmidt erneut in dieser überparteilichen Runde. Ein unbedarfter Satz – „und dann hat man ein Jahr Arbeit“, sagt sie. Brigitte Wellhöfer, ehemalige Grünen-Politikerin aus Nürnberg, wird diesen Satz später noch etwas modulieren, um Annäherung an die vor ihr erwartete Realität bemüht: „Einmal an einer Podiumsdiskussion mit Renate Schmidt teilgenommen und anschließend zehn Jahre beschäftigt.“ Weil ja das Bündnis „Zammrüggn – Demokratiepakt Nürnberg“ gewissermaßen erst am Anfang stehe. Und die Aufgaben mit Blick nach Sachsen oder Thüringen offenbar nicht kleiner würden, mit Blick auf das Wahlverhalten junger Menschen schon gar nicht.
Wie dieses Bündnis funktioniert? Kürzlich war Poetenfest in Erlangen, da konnte man das beobachten. Auf der Bühne im Markgrafentheater diskutierte Renate Schmidt zum Thema „Freiheit in Gefahr?“ mit einigen Hochkarätern, darunter dem Politik-Erklärer Albrecht von Lucke. Der bot beachtlich viel Hypotaxe – Verschlungenes in Schachtelsätzen –, während seine Mitdiskutantin lieber Botschaften in einfachen Hauptsätzen zulieferte. Einer davon: Man möge doch bitte unterschreiben im Foyer für „Zammrüggn“. Dort wiederum standen dann ihre Mitstreiter, der ehemalige Landtagsabgeordnete Hermann Imhof etwa, und luden zum Gespräch.
Unterschriften sammeln, ist das nicht etwas altbacken? Sie selbst würde das so nicht noch einmal einfädeln, sagt Schmidt, die CSU-Mann Imhof „die große Dame der SPD“ und „prägende Integrationsfigur“ nennt. Für Klicks und Herzchen und erhobene Daumen seien das gute Zeiten, habe man gelernt, für herkömmliches In-Listen-Unterschreiben mit vollem Namen und vollständiger Adresse eher nicht: keine Zeit, keine Lust gerade, was auch immer. Darauf aber komme es auch nicht an. Auf anderes schon: 115 Organisationen haben sich im ersten Jahr seit dem Schmidt-Vorstoß unter einem Dach zusammengeschlossen, in der Stadt kann man die „Zammrüggn“-Plakate höchstens dann noch übersehen, wenn man am Burgberg aus Versehen in die unterirdischen Gänge abgebogen ist. Womöglich auch dann nicht.
Und apropos abbiegen: Man werde gemeinsam nicht aufhören, zu werben für die Demokratie, sagt Schmidt, trotz etwaiger eigener „Geh-, Hör- und sonstiger Gebrechen“. Günter Gloser, Staatsminister a. D., pflichtet bei und erinnert an den kürzlich gestorbenen Friedrich Schorlemmer: „Die Demokratie ist wie ein Garten, wenn man den nicht pflegt, der verwildert sehr schnell.“