Wutausbruch von Horst Seehofer:Bayerischer Beißreflex

Horst Seehofer ist sauer. So sauer, dass er im ZDF-"heute-journal" den CDU-Minister Röttgen schonungslos angreift, der in Nordrhein-Westfalen gerade eine Wahl desaströs verloren hat. Am Tag nach dem Interview perlt die Kritik aus den eigenen Reihen an ihm ab. Denn hinter dieser Provokation steckt vermutlich ein altes Kalkül.

Birgit Kruse

Horst Seehofer ist auf Krawall gebürstet. Sein derzeitiger Gegner: die CDU in Berlin, allen voran der Wahlverlierer Norbert Röttgen aus Nordrhein-Westfalen. In einem ungewöhnlichen Interview im ZDF-heute-journal geht der CSU-Chef auf den Bundesumweltminister los, wie es die deutsche Politik selten erlebt hat. "Wir sollten etwas nicht schönreden, was nicht schön ist", poltert er aus seiner Münchner Staatskanzlei in die Republik. Konsequenzen müsse es geben, fordert er. Man dürfe jetzt nicht so tun, als sei nichts passiert.

Quelle: ZDF

Im ZDF-Interview hatte Seehofer jedenfalls sichtlich Spaß. Doch nur aus Spaß stellt sich Seehofer vermutlich nicht vor die Kamera, fordert Nachrichtensprecher Claus Kleber dezidiert dazu auf, diese inoffiziellen Passagen zu senden, vielleicht sogar eine "Sondersendung" daraus zu machen. Dass Seehofer mit seinem Auftritt auch ein landespolitisches Kalkül verfolgt, darf vermutet werden.

So steht Seehofer auch am Tag nach dem Interview zu dem, was er vor laufenden Kameras über Röttgen und den Zustand der Berliner Koalition gesagt hat. Für die Union seien mit Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen Wahlen in zwei wichtigen Ländern verloren worden, beklagt er nach der Kabinettssitzung in München. "Es kann doch nicht sein, dass das Thema NRW und die Wirkung für die bürgerlichen Parteien unterbelichtet wird."

Für einen Erfolg bei der Bundestagswahl 2013 seien zwei starke Partner nötig: "Es nutzt nichts, wenn die FDP neun Prozent hat und die Union 31." Ihm gehe es darum, dass das Schwungrad "in Bewegung gesetzt wird".

Doch es geht nicht alleine nur um die Bundestagswahl. 2013 wird auch in Bayern gewählt. Und hier steht die Partei nach dem Wahldebakel von vor vier Jahren wieder ganz ordentlich da. Auf 46 Prozent der Wählerstimmen kommt sie derzeit, eine absolute Mehrheit auch ohne die FDP sowie die magische Zielmarke von 50 Prozent plus X scheinen wieder in greifbarer Nähe zu sein - wenn nichts schiefgeht.

Und so folgt Seehofer in diesen Tagen einem Reflex, den die Partei seit Franz Josef Strauß beherrscht wie keine andere in Deutschland: Selbsterhöhung durch Abgrenzung. Sicher lässt sich auch ein bundespolitisches Kalkül nicht ausschließen, doch der bayerische Beißreflex ist ausgeprägt. Und kein anderer beherrscht diese Disziplin so gut wie Horst Seehofer.

"Wie ein Eisbecher in der Sonne"

Da hält er auch die Kritik aus, die es seit gestern aus den Reihen der Koalition hagelt. Der Vizechef der NRW-CDU, Armin Laschet, wünscht Seehofer etwa, "dass er in einer Niederlage nie so von anderen Landesverbänden behandelt wird, wie er im Moment die CDU behandelt".

In der CDU versuchen andere wiederum, die Wogen zu glätten. So hat der Parlamentarische Geschäftsführer der Union, Peter Altmaier (CDU), auch weiterhin keinen Zweifel am Erfolg der Koalition. "Ich glaube, dass das ein Beitrag ist unter anderen in der Debatte, wie wir noch erfolgreicher werden können, als wir es ohnehin schon sind", sagte er. "Er ist als CSU-Vorsitzender ohnehin bekannt für seine offenen Worte, und ich denke, das muss man auch aushalten können", meinte er mit Blick auf Seehofer.

Und die Koalition muss derzeit mit Seehofer so einiges aushalten. Der Wutausbruch gegen Röttgen ist nicht der einzige Ärger, den der Bayer den Berliner Partnern derzeit bereitet. Da ist beispielsweise auch noch die Sache mit dem Betreuungsgeld. In dieser Frage hat er gerade erst wieder seinem Ruf als unberechenbarer Querkopf alle Ehre gemacht. In einer Kabinettssitzung verkündet er, dass er vorerst nicht mehr an den Koalitionssitzungen in Berlin teilnehmen werde, solange es keinen Gesetzentwurf zum Betreuungsgeld gebe. Schon früher hat Seehofer Sitzungen geschwänzt, auf die er keine Lust hatte. Doch damals war Seehofer nicht Parteichef.

Jetzt fordert Seehofer in dem ZDF-Interview ein Spitzentreffen der Parteichefs von CDU, CSU und FDP - und zwar so schnell wie möglich. Es sei eben keine Privatentscheidung von Röttgen gewesen, ob er nach der Wahl nach NRW gehen solle oder nicht. "Wenn Sie das nicht korrigieren", so habe er zu ihm gesagt, "dann wird es uns hart treffen und genauso ist es gekommen", stänkert er. Die Wahlchancen der Union seien "wie ein Eisbecher in der Sonne" geschmolzen. Und genau das kann Horst Seehofer für seine CSU derzeit überhaupt nicht brauchen.

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