Eigentlich könnten sie in Wunsiedel das umsetzen, wovon sie vielerorts in Deutschland und Bayern träumen. Und eigentlich dachte Philipp Matthes, mit seinem Projekt bei der Energiewende voranzuschreiten, "innovativ zu sein". Matthes ist einer der Geschäftsführer von Bayerns größter Elektrolyseanlage, die vor ein paar Monaten mit einem noch größeren Versprechen in Betrieb ging: Wasserstoff für die Region zu liefern, aus erneuerbaren Energien, klimafreundlich, dezentral und unabhängig. Ein Vorbild also für die im Entstehen begriffene Wasserstoffwirtschaft, die mal vor allem die Energiesorgen der Industrie lindern soll. Doch stattdessen hat Matthes derzeit selber Sorgen. Er und seine Anlage befinden sich in "Warteposition", wie er es nennt. "Wir produzieren erst mal nicht. Und wenn doch, dann nur in geringen Mengen."
Tatsächlich ruht der Betrieb im Vorzeigeprojekt weitgehend. Als Hauptursache für die Misere hat man im Fichtelgebirge die Strompreisbremse ausgemacht: Just jenes Instrument, das in diesen Krisenzeiten für günstige Energie sorgen soll, verkehre sich ins Gegenteil. Der Wunsiedeler Wasserstoffzukunft droht damit der Stopp, noch bevor sie richtig ins Rollen kam.
Dabei verlief der Start verheißungsvoll. Zur Eröffnung der Anlage namens WUN H2 im vergangenen September reisten Politik- und Medienvertreter aus dem ganzen Land an. Auch Ministerpräsident Markus Söder (CSU) kam, sprach vom "Herzschrittmacher Bayerns" und wie großartig Wunsiedel sei: "Was hier passiert, ist Champions League." Der Elektrolyseur mit einer Leistung von 8,75 Megawatt ist Teil des "Wunsiedler Wegs", den die Region eingeschlagen hat. Mithilfe von Wind- und Sonnenkraft zerlegt die Anlage Wasser in Sauer- und Wasserstoff. Letzterer fließt in die Industriehallen von Autozulieferern und Metallverarbeitern oder wird rückverstromt. Die Uni Bayreuth forscht mit, auch eine Wasserstofftankstelle ist geplant, für mehr grüne Mobilität. Betrieben wird das Ganze gemeinsam von den Stadtwerken, dem Elektrolyseur-Hersteller Siemens und der Firma Rießner-Gase. Tragen soll es sich eigenwirtschaftlich. Ein anspruchsvolles Vorhaben: Nur wenn die Produktion von Wasserstoff rentabel und konkurrenzfähig ist, wird sie Nachahmer finden, sind Fachleute überzeugt. Nicht einfacher macht die Sache, dass man bei der Elektrolyse mehr Energie hineinsteckt, als umgewandelt herauskommt.
WUN H2 ist so gesehen von Bedeutung. Derzeit aber umgeben die Anlage vor allem Unsicherheiten. Warum, ist verzwickt; sogar die Kurzfassung umfasst noch drei Seiten, bereits Ende November von Wunsiedels Bürgermeister als offener Brief ans Bundeswirtschaftsministerium verschickt. Der Betrieb des Elektrolyseurs sei "unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten akut gefährdet", heißt es darin.
Vereinfacht liegt das Problem demnach weniger an der Strompreisbremse, sondern an ihrer Ausgestaltung. Mit dem neuen Gesetz will der Bund krisenbedingte Übergewinne an der Strombörse abschöpfen. Für Betreiber von Wind- und Solaranlagen ist die Stromproduktion nicht teurer geworden, sie können also ihre Energie günstig vermarkten. Nur bringt das den Wunsiedlern nichts: Sie konnten bislang keinen Direktvertrag mit einem örtlichen Anbieter abschließen und müssen weiter zu einem fixen Preis an der Börse einkaufen. Der ist aber so hoch, dass sich die Wasserstoffproduktion nicht mehr lohnt. Und stattdessen den geplanten Vertrag mit einem örtlichen Windanbieter zu einem Abschluss zu bringen, erscheint nicht realistisch - weil der angesichts der Differenz zwischen Börse und Direktvermarktung selber draufzahlen würde.
Die Entlastungen für Bürger und Industrie seien nötig
Oder anders, ganz stark reduziert: Angenommen, der Betreiber eines Windparks bekäme für den Strom 14 Cent. Abgeschöpft würde aber auf den Börsenpreis von 30 Cent. "Da kann man leicht ausrechnen, dass man ein Minus macht", sagt Marco Krasser, Chef der Wunsiedler Stadtwerke. Dabei müssen die Eigentümer Kredite bedienen, die Rede ist von laufenden Kosten "in nicht unerheblichem Umfang". Die Strompreisbremse halten sie trotzdem für grundsätzlich richtig. "Wir sind uns darüber einig, dass Entlastungen für Bürger und Industrie definitiv nötig sind", sagt Krasser.
Wie es weitergeht, bleibt trotzdem unklar. Theoretisch sieht die Strompreisbremse gewissermaßen ein paar Klauseln für solche Fälle vor. Ob die praktisch einen Ausweg aus dem Dilemma bieten, darüber gehen die Meinungen auseinander. In Wunsiedel ist man der Ansicht, dass die Vorgaben nicht auf sie passen. Doch das Bundeswirtschaftsministerium schreibt auf Anfrage, dass die Elektrolyseanlage durchaus profitieren könne. Davon abgesehen sei man bei der Gestaltung der Strompreisbremse an europarechtliche Vorgaben gebunden. So schreibe die EU-Notfallverordnung vor, "welche Technologien in die Abschöpfung einzubeziehen sind". Außerdem sei ein Stichtag nötig, bis wann die sogenannten PPA-Verträge zwischen Erzeugern und Abnehmern erneuerbarer Energien geschlossen sein müssten, um noch berücksichtigt werden zu können. Andernfalls würde die Abschöpfung der Übergewinne "praktisch leerlaufen".
Im Fichtelgebirge machen solche Sätze die Not eher größer als kleiner. Der Stichtag ist mit Anfang November 2022 längst vorüber, das Auslaufen der Strompreisbremse mit Ende April 2024 in der Ferne. Matthes und Krasser hoffen deshalb, dass die Regeln angepasst werden. Unter den derzeitigen Rahmenbedingungen sei es unmöglich, den Elektrolyseur wie geplant zu betreiben. "Wenn ein Kunde in drei Monaten Wasserstoff kaufen möchte, ich ihm aber nicht sagen kann, zu welchem Preis", sagt Matthes: schwierig. Auch der weitere Ausbau der Anlage, die ein Vorbild sein soll, wurde erst einmal ausgesetzt. Eigentlich wollte Siemens die Kapazitäten verdoppeln.