Fotoausstellung in Würzburg:Der Preis, den die Menschen für den Fortschritt bezahlen

Fotoausstellung in Würzburg: Vom Leben gezeichnet: Hände einer Bäuerin, undatiert.

Vom Leben gezeichnet: Hände einer Bäuerin, undatiert.

(Foto: Valentin Schwab/Valentin Schwab-Archiv, Karlstadt)

Der 2012 gestorbene Fotograf Valentin Schwab hat die Veränderung seiner unterfränkischen Heimat dokumentiert. Seine Bilder zeigen den Verlust an Baukultur und menschlichem Miteinander.

Von Hans Kratzer, Würzburg

Die Landschaften Bayerns zeigen sich voller Widersprüche. Vor den Bergen präsentieren sie sich anmutig wie eh und je, andernorts erstreckt sich die Ödnis endloser Maisäcker und Gewerbeflächen. Wirtschaftliche Zwänge haben das Land in den vergangenen 70 Jahren stärker verändert als in den fünf Jahrhunderten davor. Dabei drängt sich eine Frage auf, die den Fotografen und Filmemacher Valentin Schwab (1948-2012) sein ganzes Leben lang beschäftigt hat: Ist dadurch wirklich alles besser geworden?

Wie anders das Land noch vor 50 Jahren ausgesehen hat, ist im drängenden Tempo des Fortschritts fast in Vergessenheit geraten. Die Realität, die Schwab damals in der unterfränkischen Provinz eingefangen hat, erweckt das Gefühl, als sei er in einer anderen Welt unterwegs gewesen. Er fotografierte Dörfer, als dort noch die Landwirtschaft den Takt vorgab. Und er lichtete Menschen ab, die noch keine Ahnung hatten von Melkrobotern und GPS-Lenksystemen.

"Valentin Schwab war aber kein Dorffotograf, der die vermeintlich gute alte Zeit verklären wollte", sagt die Kunsthistorikerin Henrike Holsing, die im Museum im Kulturspeicher Würzburg gerade eine Ausstellung über dessen reiches fotografisches Werk kuratiert. Seine Intention reichte weit über die engere Heimat hinaus.

Eines wird in der Schau auf den ersten Blick deutlich: Schwabs Fotografien haben eine außergewöhnliche Ausstrahlung. Kein Wunder, er betrieb einen enormen Aufwand und kehrte oft mehrmals zu einem Objekt zurück, bis ihm die Bedingungen für eine Aufnahme gefielen. "Er gehört zu den großen Unbekannten der deutschen Fotografiegeschichte", sagt Holsing. Sein Werk suche in Konsequenz, engagierter Haltung und Qualität in der deutschen Dokumentarfotografie des 20. Jahrhunderts seinesgleichen.

Fotoausstellung in Würzburg: Handarbeit draußen auf dem Feld: Bäuerin beim Rechen, aufgenommen 1975/76.

Handarbeit draußen auf dem Feld: Bäuerin beim Rechen, aufgenommen 1975/76.

(Foto: Valentin Schwab/Valentin Schwab-Archiv, Karlstadt)
Fotoausstellung in Würzburg: Pfluggespann in der Rhön, aufgenommen 1977.

Pfluggespann in der Rhön, aufgenommen 1977.

(Foto: Valentin Schwab/Valentin Schwab-Archiv, Karlstadt)

Schon während der Studienzeit in Kassel in den 1970er-Jahren kehrte Schwab oft in seine fränkische Heimat zurück, die sich in jenen Jahren stark veränderte. Nach Flurbereinigung und Gebietsreform verschwanden langsam die Kleinbauern, und auch die fröhlich spielenden Kinder auf der Straße wurden weniger. Ebenso wichen die alten, zugigen Häuser modernen Bauten, die mehr Komfort boten. Nur, dass diese kein Flair mehr ausstrahlen. Eine Entwicklung, die in der Beliebigkeit des Baustils und in den Steingärten ihren absurden Höhepunkt fand.

Aus seinen Beobachtungen erwuchs das Lebenswerk von Schwab. Es ging ihm nicht nur darum, sagt Henrike Holsing, die Menschen und das Land festzuhalten, die Veränderungen zu dokumentieren und Vergehendes zu bewahren, sondern auch darum, Entwicklungen darzustellen und in Frage zu stellen.

Fotoausstellung in Würzburg: Familienbild aus dem Ort Gauaschach, undatiert.

Familienbild aus dem Ort Gauaschach, undatiert.

(Foto: Valentin Schwab/Valentin Schwab-Archiv, Karlstadt)

"Autonomie und Selbstbestimmung", diese Themen bewegten ihn sehr, sagt Holsing. Und sie führten ihn weit über Unterfranken hinaus. In Schwabs Arbeit spiegelt sich der Glaube, dass die Kunst Veränderung bewirken kann. Zusammen mit dem Regisseur Manfred Vosz reiste Schwab in die Krisengebiete der Welt, um das Leben und den Widerstandswillen der Bevölkerung zu dokumentieren - Filme wie "Die nackten Füße Nicaraguas" und "Mütter, Dollars und ein Krieg" waren in den 1980er-Jahren preisgekrönt.

Fotoausstellung in Würzburg: Kindersoldat, ohne Titel, aufgenommen in El Salvador, 1986.

Kindersoldat, ohne Titel, aufgenommen in El Salvador, 1986.

(Foto: Valentin Schwab/Valentin Schwab-Archiv, Karlstadt)

Schwab begleitete die Menschen oft über Monate hinweg. So entstanden in Eritrea, El Salvador, Nicaragua und Kuba nicht nur Filme von beeindruckender Authentizität, sondern auch Fotoserien, in denen er das Leben der Menschen intensiv festhielt.

Daheim aber durchwanderte er fast obsessiv unterfränkische Dörfer und das Land mit seiner Kamera - mehrere Regalmeter an Negativmaterial in seinem Nachlass, alphabetisch sortiert von A wie Arnstein bis Z wie Zellingen, zeugen von jahrzehntelangen Streifzügen. Doch nicht nur das. Er sammelte überdies historische Fotografien, indem er einfach an den Häusern klingelte und die Menschen nach alten Fotos fragte.

Schwabs Heimatregion steht bei ihm exemplarisch für die überall in der westlichen Welt spürbaren gesellschaftlichen Umbrüche des 20. Jahrhunderts. Auch durch seinen Ansatz, der das Einzelwerk immer als Teil eines vielschichtigen Komplexes begreife, erhalte das Werk Valentin Schwabs eine überregionale Relevanz, sagt Holsing.

Fotoausstellung in Würzburg: Feldweg bei Rohrbach, aufgenommen 1992.

Feldweg bei Rohrbach, aufgenommen 1992.

(Foto: Valentin Schwab/Valentin Schwab-Archiv, Karlstadt)

Schwabs Werk ist erstmals nach 20 Jahren wieder zu sehen. Die Retrospektive im Museum im Kulturspeicher Würzburg präsentiert circa 150 Schwarzweiß-Fotografien sowie selten gezeigte Dokumentarfilme.

Beim Blick in die Ausstellung wird einem aber auch bewusst, dass es bei aller Singularität Schwabs gerade in Bayern immer wieder Fotokünstler gab, die von einer ähnlichen Motivation wie er beseelt waren und ein fantastisches, oft aber zu wenig gewürdigtes Erbe hinterlassen haben. Exemplarisch könnte man etwa Heidi Glatzel erwähnen, die in den 1970er-Jahren in Niederbayern Bilder vom Land aufnahm. Wie Schwab zeigt sie Kleinbauern, die ein in Armut und Enge gebanntes Leben führten, fremd gewordene Reste einer versunkenen bäuerlichen Welt. Auch bei ihr ist es keine nostalgische Rückerinnerung, sondern der Blick auf eine Welt, die schon damals verloren in der Gegenwart stand und deren Arbeit und Entbehrungen sich in die Gesichter und Körper dieser Menschen eingegraben hatten.

Es ist erstaunlich, dass diese fotografische Tradition immer noch weitergeführt wird, mit einer Kunstfertigkeit, die über die Beliebigkeit der modernen fotografischen Möglichkeiten weit hinausreicht. Das Vermächtnis von Valentin Schwab spiegelt sich nicht zuletzt in den Bildern der Bayerwaldfotografen Bruno Mooser, Raphael Guarino und Martin Waldbauer wider.

Valentin Schwab - eine Retrospektive. Museum im Kulturspeicher Würzburg, Oskar-Laredo-Platz 1, bis 21. Mai, Tel. 0931-322250.

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