Unesco-Auszeichnung:Gefährdet ein Parkplatz den Würzburger Welterbetitel?

Unesco-Auszeichnung: "Park statt Parkplatz" ist die Vision des Künstlers und Designers Michael Ehlers für den Würzburger Residenzplatz.

"Park statt Parkplatz" ist die Vision des Künstlers und Designers Michael Ehlers für den Würzburger Residenzplatz.

(Foto: Visualisierung: ehlers-media.com /Michael Ehlers)

Schon Napoleon schwärmte von der Residenz, die Unesco zeichnete sie 1981 aus. Nur leider verschandeln seit Jahrzehnten Autos den Blick darauf - muss das für immer so bleiben? Ein Designer gibt Hoffnung.

Von Olaf Przybilla, Würzburg

Für Zugezogene hält die fränkische Zunge den Begriff "Neigschmeggder" bereit, und nach örtlichen Kriterien könnte man den auf Michael Ehlers durchaus anwenden. Er stammt vom Niederrhein, spricht eher wie Hanns Dieter Hüsch als Erwin Pelzig, fühlt sich in Würzburg seit Jahrzehnten wohl, aber eben nicht als klassischer Einheimischer. Und so ist ihm, sagt er, immer ein unklares Fremdheitsgefühl geblieben am Residenzplatz. Welche Superlative hat man schon gehört über dieses Prachtstück von einem Bau, "schönste Residenz Süddeutschlands" ist fast noch dezent. Und dann dieses haarsträubende Blech vor dem Welterbe, Hunderte Fahrzeuge, legionsmäßig angeordnet?

Die Irritation darüber begleitete Ehlers über die Jahre. Sie war vor 35 Jahren schon da, als er an die Schöne am Main gezogen ist, sie begleitete ihn 2009, als die Unesco den Dresdnern ihren Welterbetitel aberkannte (und plötzlich mancher bangend nach Würzburg blickte) und sie ist heute da, wenn Ehlers von der Alten Mainbrücke zum Rathaus spaziert und von dort am Dom vorbei zur Residenz. Man kann Balthasar Neumanns Werk schon hundertmal gesehen, alles darüber wissen und gelesen haben - wenn man vor diesem filigranen Koloss steht, dem "schönsten Pfarrhof Europas" (Napoleon), stockt einem der Atem.

Und immer aus zwei Gründen: Weil dieser Anblick so unbegreiflich erhebend ist. Und der Parkplatz davor so unbegreiflich schnöde.

Niederrheiner neigen nicht zur Großsprecherei, "eine Verwunderung" sei es, sagt Ehlers, die ihn zu einem kleinen Werk veranlasst habe: dem Video einer Vision, die aus einem Parkplatz etwas Parkähnliches werden lässt. Keine zweieinhalb Minuten lang ist sein Filmchen, man passiert in einem imaginären Fahrzeug die Residenz, hört eine Bach-Suite und blickt auf einen Platz, der nicht mal außerordentlich malerisch gestaltet ist, aber eben ohne Autos.

Wenn es dunkel wird, erklingt Mozart, die kleine Nachtmusik. Die gibt's immer wieder zu hören dort, beim Mozartfest, dann aber auf der anderen, der unwirklich schönen Seite dieses Schlosses. Es sind nur 145 Sekunden Film, spätestens danach aber wird man den Blick auf diesen Großparkplatz für eine der bizarrsten Ansichten der Republik halten.

Unesco-Auszeichnung: Der von Verkehr umtoste Würzburger Residenzplatz wird seit den Fünfzigerjahren als Parkplatz genutzt.

Der von Verkehr umtoste Würzburger Residenzplatz wird seit den Fünfzigerjahren als Parkplatz genutzt.

(Foto: mein-wuerzburg.com)

Wer Jürgen Weber, 77, darauf anspricht, hört ein glucksendes Lachen. Er freue sich, freue sich wirklich, sagt der Alt-Oberbürgermeister, wenn wieder mal einer "von außen da drauf" schaue. Weber war bis 2002 zwölf Jahre lang Rathauschef, den Residenzplatz nennt er ein "Lebensthema, mit dem ich gescheitert bin".

An gute Gespräche mit dem Freistaat, dem Eigentümer von Schloss und Parkplatz, erinnert sich Weber und daran, dass der gordische Knoten zu seiner Zeit fast durchschlagen worden wäre. "Und dann kam die Wiedervereinigung." Die deutsche Einheit? Wieder lacht Weber. Ein Ersatzparkhaus unter der Erde sei davor als Luftschutzraum für Notfälle greifbar gewesen, seit 1990 aber habe dafür keiner mehr Geld ausgeben wollen. Fachleute warnten zudem vor schwierigen hydrogeologischen Verhältnissen im Umfeld des Schlosses. Am Ende blieb der Platz so, wie er ist. Und in der Erinnerung der Würzburger eigentlich immer war.

Was auch der Grund dafür ist, warum 2009 in Würzburg alle ruhig blieben, als die Unesco den Dresdnern einer neuen Brücke wegen den Weltkulturerbetitel entzogen hat. Natürlich dürften Hunderte Karossen einen barocken Repräsentationsbau mindestens so sehr verschandeln wie eine Brücke den Blick über die Kulturlandschaft eines Flusstals. In der Tat, erklärt die bayerische Schlösserverwaltung in einer Stellungnahme, wären Änderungen an "Residenzplatz, Baukörper und Residenzgarten" meldepflichtig, könnten "schlimmstenfalls" sogar den Welterbestatus gefährden.

Nur: Legionsmäßiges Blech steht auf diesem Platz schon seit den Fünfzigerjahren, der Würzburger Welterbetitel aber stammt erst aus dem Jahr 1981, als die Residenz als dritte Stätte in Deutschland damit gewürdigt wurde, als erstes nicht-sakrales Bauwerk.

Unesco-Auszeichnung: So sah es vor der Residenz im Jahr 1974 aus. Rechts oben zu sehen: die Würzburger Festung.

So sah es vor der Residenz im Jahr 1974 aus. Rechts oben zu sehen: die Würzburger Festung.

(Foto: Bayerische Schlösserverwaltung)

Zudem wurde die freie Fläche vor dem Schloss vor 40 Jahren noch intensiver als öffentlicher Parkplatz genutzt, betont der Freistaat - was ja nur bedeuten könne, dass jener "erst einmal nicht grundsätzlich im Widerspruch zur Welterbestätte" stehe. Zumal "gemeinsame Anstrengungen" der Schlösserverwaltung sowie der Denkmalpfleger von Icomos dazu geführt hätten, dass heute "nur noch zirka 370" Fahrzeuge vor dem Welterbe abgestellt werden könnten. Überdies würden seither "Sichtachsen" freigehalten. Und im Übrigen sei das "Beparken mit Bussen" überhaupt "nicht gestattet".

Nun könnten Spaßvögel auch feiern, dass Sattelschlepper, die auf der nahen A 3 keinen Stellplatz gefunden haben, sich ebenfalls nicht breitmachen dürfen vor dem Welterbe. Christoph Pitz aber ist nicht zum Lachen zumute, wenn er über den Residenzplatz nachdenkt. Als Kunsthistoriker hat in den Achtzigerjahren Teile seines Studiums im Welterbe verbracht, zahlreiche Univeranstaltungen fanden dort statt. Dass er seinen Wagen davor stets auf "zum Teil noch historischem Pflaster" abstellte, Pflaster, das "jeden Tag ein Stückchen mehr zerfällt" - gab ihm freilich damals schon zu denken. Umso mehr würde er eine neue Debatte nun begrüßen.

Die hat der Designer Ehlers, 69, zumindest im Netz angestoßen. Über die ihn erreichende "Zustimmung" freue er sich, sagt er, zumal die Stadt auf lange Sicht ohnehin gezwungen sei, Verkehr neu zu denken. Ehlers wohnt oberhalb des Talkessels am Main, dort ist es "im Sommer mitunter bis zu sieben Grad kälter" als in der Innenstadt, hat er festgestellt. So schön Würzburg sei, der Klimawandel treffe die Stadt im Kern. Ob man es sich da noch leisten könne, Autos ins Zentrum zu locken, sei schon fragwürdig.

Bislang überschaubar sind dagegen die Reaktionen der Stadtpolitik auf seine Vision. Was man sich durchaus erklären kann: Zwar bewirtschaftet die Stadt den Residenzparkplatz, das aber im staatlichen Auftrag, zuständig ist der Freistaat. Und dort, wo die Stadt selbst fürs Parken zuständig ist, haben die Auto-Skeptiker kürzlich einen erheblichen Dämpfer erlitten. Gebühren für den traditionell kostenfreien Großparkplatz "Talavera" am Main? Lehnten die Würzburgerinnen und Würzburger in einem Bürgerentscheid mehrheitlich ab.

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