Demokratieprojekt in Würzburg:Wie Ex-OB Beckmann den Ungehörten Gehör verschaffen will

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Pia Beckmann will 1000 Podcasts aufnehmen. (Foto: Youtube/pics4peace)

Pia Beckmann will 1000 Menschen für ihren Podcast #endlichankommen interviewen – um ihre Sorgen zu verstehen und das, was uns heute trotz aller Differenzen noch zusammenhält. Wieso sie diesen Aufwand betreibt.

Von Max Weinhold, Würzburg

Pia Beckmann hat in Würzburg eine bemerkenswerte Karriere gemacht. Studium der Germanistik und Romanistik, Promotion zum Schwangerschaftsabbruch als sprachliches Problem, Lehrbeauftragte für Deutsche Sprachwissenschaft, Vorstandsvorsitzende des Familienbunds der Katholiken, Stadträtin, Oberbürgermeisterin mit 38 Jahren.

Inzwischen ist Beckmann 61 Jahre alt, seit nunmehr 16 Jahren aus dem OB-Amt ausgeschieden und macht „nur das, was mir wichtig erscheint“, wie sie vor einiger Zeit in einem SZ-Interview sagte. Was sie zu dem nächsten Kapitel ihrer Laufbahn geführt hat: Die Ex-CSU-Politikerin ist jetzt Podcasterin.

Mit der von ihr gegründeten Demokratie-Initiative „pics4peace“ und unterstützt von einem Bündnis aus Stadt und Kultureinrichtungen hat sie das ehrenamtliche Projekt #endlichankommen initiiert. Endlich ankommen meint: als Person mit Migrationsgeschichte in Deutschland, als Zugezogener in Würzburg, als Mensch im Leben. Im Zuge dieses Projektes will Beckmann mit Mitinitiator Thomas Kirchberg für eine Podcast-Reihe namens „1000 Erfahrungen“ ein Jahr lang – passenderweise – 1000 Interviews mit Würzburgerinnen und Würzburgern führen. Jede Woche sollen auf allen gängigen Plattformen zwei Folgen erscheinen, überall in der Stadt QR-Codes zu ihnen geleiten. Womöglich werden die Befragungen später wissenschaftlich ausgewertet.

60 Gespräche haben sie bereits geführt

Und wozu all der Aufwand? „Verstehen und Verstandenwerden ist ein Schlüssel“, sagt Beckmann am Telefon. In den Befragungen könnten die Menschen sagen, „was sie wirklich bewegt“. Da kämen dann „teilweise harte Themen. Aber die Leute sind dankbar, dass sie das mal ausgesprochen haben.“ Oft gehe es um Migration und dabei seien es überraschend oft Menschen aus Ländern wie Syrien, Eritrea und Russland, die schon länger hier lebten und forderten, dass man „viel schärfer eingreifen“ müsse, wie Beckmann sagt.

20 standardisierte Fragen stellen sie und Kirchberg ihren Gesprächspartnern, zum Beispiel: Wo sind Ihre Großeltern geboren, wo haben Sie gelebt? Mit welchem Essen verbinden Sie die schönsten Erinnerungen? Oder: Was sind Ihre größten Ängste und Sorgen? Was denken Sie zum Thema Integration? 60 Gespräche haben sie bereits geführt, darunter mit russlanddeutschen Spätaussiedlern in dem eher strukturschwachen Würzburger Stadtteil Heuchelhof und mit Geflüchteten.

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Das Projekt strebt an, wovon die Politikerinnen und Politiker dieses Landes nur allzu oft reden, es am Ende aber doch zu selten schaffen: den Ungehörten Gehör verschaffen, die Unerreichten erreichen. Und zwar mit verschiedenen Aktionen: mit Gesprächsformaten in der Stadt, mit einem Theaterprojekt mit Schülerinnen und Lehrern und mit der Fotoausstellung „1000 Odysseen“ von Winfried Muthesius, die seit Sonntag am Mainfranken Theater zu sehen ist.

Muthesius hat an der Mittelmeerküste zwischen Europa und Afrika Strandgut fotografiert, das sich nicht immer unmittelbar als solches identifizieren lässt. „Man weiß nicht, was es ist“, sagt Beckmann, „die Wahrheit liegt hinter der Oberfläche.“ Wer mehr wissen wolle, müsse nachfragen. Was ja bestens zum Podcast passt.

Winfried Muthesius zeigt eine seiner Fotografien für die Ausstellung „1000 Odysseen“ im Rahmen des Würzburger Demokratieprojektes #endlichankommen am „Mainfranken Theater“. (Foto: Pia Beckmann)

Ihr sei klar, „dass wir keine Berge versetzen werden“, sagt Beckmann. Aber einen Beitrag wollen sie leisten, damit Menschen miteinander ins Gespräch kommen, die das unter normalen Umständen nie kämen. Es gehe darum zu erkennen: „Es gibt gemeinsame Ziele, es gibt gemeinsame Werte.“ Mag banal klingen und abgedroschen, weniger wahr macht es das freilich nicht. Und dass man sich diese Erkenntnis überhaupt erst wieder erarbeiten muss, sagt viel aus über Zeit und Gesellschaft. Umso besser, wenn sich jemand darum kümmert.

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