Unterfranken:Würzburger Messerstecher wird in Psychiatrie untergebracht

Unterfranken: Blumen und Kerzen vor einem geschlossenen und abgesperrten Kaufhaus in der Würzburger Innenstadt nach der Messerattacke.

Blumen und Kerzen vor einem geschlossenen und abgesperrten Kaufhaus in der Würzburger Innenstadt nach der Messerattacke.

(Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Der Mann hatte vor einem Jahr am Würzburger Barbarossaplatz drei Menschen getötet und zahlreiche verletzt. Das Landgericht hält ihn für schuldunfähig: Er habe seine Taten im Wahn begangen.

Von Olaf Przybilla und und Annette Ramelsberger, Würzburg

Wie ist ein Mensch juristisch zu beurteilen, der im Wahn drei Menschen ermordet und zahlreiche andere schwer verletzt hat? Die Generalstaatsanwaltschaft hat da keine Zweifel erkennen lassen, sie plädiert dafür, den Messerstecher von Würzburg in einer geschlossenen Einrichtung unterbringen zu lassen - und zwar zeitlich unbefristet. Sollte der Mann fortwährend an einer paranoiden Schizophrenie leiden und als gemeingefährlich eingeschätzt werden, so wird er nicht mehr auf freien Fuß kommen. Nach drei Monaten Verhandlung hat sich das Landgericht Würzburg dieser Sicht der Dinge angeschlossen.

Der Vorsitzende Richter Thomas Schuster wirft dem Beschuldigten unter anderem Mord in drei Fällen und versuchten Mord respektive Totschlag in insgesamt zehn Fällen vor. Der Tag der Tat wird den Würzburgern noch lange in Erinnerung bleiben, sagt er. Drei ihm unbekannte Frauen hat der Beschuldigte mit einem Messer getötet, sechs Menschen wurden schwer, drei weitere leicht verletzt. Ein angegriffener Polizist erlitt keine körperlichen Verletzungen. Für alle Verletzten, sagt Schuster, habe sich an diesem Tag alles verändert. Aber nicht zu einer Haftstrafe sei der Beschuldigte zu verurteilen, sagt der Vorsitzende Richter. Stattdessen wird er in einer psychiatrischen Klinik untergebracht. Laut Vorsitzendem Richter "vielleicht das schärfste Schwert des Strafrechts", immerhin könne die Unterbringung auch lebenslang bedeuten.

Abdirahman J. ist schuldunfähig. Er leidet an einer Schizophrenie, sei getrieben gewesen "von Stimmen in seinem Kopf".

Eine Simulation des Wahns sei ausgeschlossen

Schon die Oberstaatsanwältin Judith Henkel hatte das in ihrem Plädoyer so gesehen. Der Somalier, dessen exaktes Alter den deutschen Behörden nicht bekannt ist, der aber um die 30 Jahre alt sein dürfte, habe seine Taten aufgrund seiner psychischen Erkrankung begangen, davon ist sie überzeugt. Dass er schwere Schuld auf sich lädt, habe er zum Tatzeitpunkt, dem 25. Juni 2021, nicht einsehen können. Zwei psychiatrische Gutachter hatten das so beurteilt, unabhängig voneinander. Demnach sollen Stimmen im Kopf den Mann zu seiner Tat ermutigt haben. Der Flüchtling habe sich vom Geheimdienst verfolgt und in Deutschland ungerecht behandelt gefühlt und aus Hass gehandelt. Die Wahrscheinlichkeit, dass er ohne entsprechende Behandlung weitere hochaggressive Taten begehe, sei eminent, hat einer der Gutachter im Prozess gesagt.

Die Simulation eines Wahns? Halte er für ausgeschlossen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit habe sich der Beschuldigte gesteuert gefühlt, sei "akut wahnhaft" gewesen am Tag der Tat. Die Fähigkeit zur Einsicht sei an jenem 25. Juni 2021 also aufgehoben gewesen. Seine Absicht an jenem schicksalshaften Sommertag? "So viele Menschen wie nur möglich zu töten", davon ist die Staatsanwältin überzeugt.

Die Nebenklagevertreter, insgesamt sind es sieben, haben sich der Sicht der Generalstaatsanwaltschaft weithin angeschlossen. Dass es eine Psychose war, die diese Tat ausgelöst hat, nicht etwa die Herkunft des Beschuldigten, sei allen wichtig, stellte einer von ihnen heraus.

Auch die Verteidigung zieht das alles grundsätzlich nicht in Zweifel, immerhin hat der Somalier zu Beginn dieses Sicherungsverfahrens die Taten gestanden. Einer der Anwälte des Beschuldigten, Hanjo Schrepfer, ist zu einem der Gesichter dieses Prozesses geworden. Nachdem er die Verteidigung des Messerstechers vom Barbarossaplatz übernommen hatte, wurde er in Mails auf das Übelste beschimpft; anfangs kamen 20 solcher Zuschriften pro Tag, mit Bedrohungen und Verwünschungen. Nun ist er zu einem Grund dafür geworden, dass dieses große Verfahren schneller über die Bühne gegangen ist, als es viele erwartet hatten. Schrepfer war einer von mehreren Verfahrensbeteiligten, die sich mit Corona infiziert hatten. Um das Risiko zu minimieren, dass sich immer mehr anstecken und der Prozess womöglich länger pausieren muss, hatte der Vorsitzende Richter den Urteilstermin vorgezogen.

Sein Kollege Tilman Michler spricht an diesem letzten Verhandlungstag von einem "außergewöhnlich schmerzhaften Verfahren". Im Namen des Beschuldigten bittet er die Betroffenen um Entschuldigung. Und auch das ist ihm wichtig: Hinweise auf einen islamistischen Hintergrund der Tat habe dieses Verfahren nicht erbracht. Auch nicht für eine Frauenfeindlichkeit des Beschuldigten. Und auch bei einer gesetzlichen Betreuung wären dessen Taten mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu verhindern gewesen. Auch die Verteidigung plädiert auf eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus.

Drei Frauen starben durch Messerstiche

Der Beschuldigte - schmale Figur, Jeans, Sweatshirt - hat an diesem letzten Verhandlungstag noch einmal die Gelegenheit, sich zu der Tat zu äußern. Er schließe sich der Darstellung seines Verteidigers an, sagt er.

Eine angespannte Stille hatte sich über den Saal gelegt, als am zweiten Tag des Prozesses gezeigt wurde, was Abdirahman J. getan hat: Wie er mit gezücktem Messer zwischen den Regalen des Woolworth entlanglief, wie er ein paar Männer unbeachtet stehen ließ und dann Jagd auf Frauen machte. Immer wieder sah man dieses große Messer, mit dem er von oben nach unten auf die Frauen einstach. Man sah, wie sie zusammensanken, wie er eine von hinten angriff, die in Panik noch versucht hatte wegzulaufen.

Man sah, wie sich eine Frau wehrte, mit ihrem Plastikeinkaufskorb gegen diesen Mann, der wie besessen auf sie losging. Sie stand mit dem Rücken zur Wand, der Einkaufskorb war das einzige, was sie vor dem Tod trennte. Sie hatte Glück - drei andere Frauen nicht. Sie starben durch die Messerstiche des 33 Jahre alten Somaliers. Vier Frauen wurden schwer verletzt, auch ein Mann an einer Bushaltestelle. Selbst vor einem kleinen Mädchen machte er nicht halt. Dessen Mutter hatte er im Kaufhaus ermordet, dem fliehenden Kind setzte er hinterher und verletzte es schwer. Nur weil sich mehrere mutige Männer um den Angreifer scharten, konnte er nicht weiter töten.

Der Vorsitzende Richter hatte die Zuschauer im Saal noch gewarnt, sie sollten sich überlegen, ob sie die Videos aus der Überwachungskamera im Kaufhaus anschauen wollten. Sie gehen einem nicht mehr aus dem Kopf. Monate nach der Tat wurde der Angreifer gefragt, was er eigentlich vorhatte: "Schlachten" sagte er - auf Deutsch.

Der Angeklagte selbst hatte sich die Bilder am liebsten dann gar nicht anschauen wollen. Er bat darum, nach draußen gehen zu dürfen. Doch er hatte keine Wahl, er musste im Saal bleiben. Zwei Gutachter hatten ihm unabhängig voneinander eine schwere psychische Störung attestiert: eine paranoide Schizophrenie. Er galt von Anfang des Prozesses an als nicht schuldfähig.

Für die Opfer war das fast nicht auszuhalten. Einige von ihnen glaubten ihm nicht, dachten, er spiele das nur vor. Im Gerichtssaal saß dann aber ein Mann, dem man seine Krankheit auch ansah. Er stierte auf die Tischplatte, hob kaum den Blick. Bereits am ersten Tag hatte er sich bei seinen Opfern entschuldigt. Es half ihnen nicht.

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SZ PlusMesserattacke von Würzburg
:Acht Minuten

Vor fast einem Jahr hat Abdirahman J. im Woolworth in Würzburg mit einem Messer Jagd auf Frauen gemacht und drei getötet. Stimmen in seinem Kopf hätten ihm das befohlen, sagt er. Er gilt als schuldunfähig. Die Überlebenden wollen mehr wissen.

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