Nach der Messerattacke:Würzburg trauert

Nach Messerattacke in Würzburger Innenstadt

OB Christian Schuchardt, Landtagspräsidentin Ilse Aigner und Ministerpräsident Markus Söder beim Gedenkgottesdienst im Kiliansdom.

(Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Die Stadt gedenkt am Tatort und im Dom der Opfer des Angriffs vom Freitagabend. Oberbürgermeister Christian Schuchardt findet die richtigen Worte - und bietet den anwesenden Hinterbliebenen Hilfe an.

Von Katja Auer und Clara Lipkowski

Weiße Rosen und blauer Rittersporn stecken im Kranz des Ministerpräsidenten, rote und gelbe Rosen in dem des Oberbürgermeisters. Markus Söder und Christian Schuchardt stellen sie am Sonntag am Barbarossaplatz ab, vor dem Kaufhaus Woolworth, das am Freitagabend zum Tatort geworden ist. Drei Frauen hat ein 24-jähriger Mann dort erstochen, sieben weitere Menschen teilweise schwer verletzt. Würzburg trauert.

Am Sonntag wird der Opfer gedacht, am Tatort zunächst, dann bei einer großen Gedenkfeier im Kiliansdom. Es ist nicht weit vom Barbarossaplatz zum Dom, der Angriff ist mitten in der Stadt geschehen. Kerzen brennen nun zum Gedenken an die Opfer, unzählige Menschen haben Blumen gebracht. In den Dom sind 170 Menschen geladen, pandemiebedingt viel weniger als sonst Platz hätten in dem hellen Gotteshaus. Ministerpräsident Söder und Landtagspräsidentin Ilse Aigner sind angereist, ebenso ihre Vorgängerin Barbara Stamm, die selbst aus Würzburg kommt wie auch Josef Schuster, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden. Innenminister Joachim Herrmann ist da, der sich tags zuvor bereits ein Bild der Lage gemacht hatte, Vertreter von Polizei, Rettungsdiensten, Feuerwehr. Und Vertreter verschiedener Religionsgemeinschaften, auch Abgesandte einer Gruppe aus Somalia. Das katholische Gotteshaus bietet am Sonntag das Dach für alle Religionen, es geht um das Gemeinsame, nicht um das Trennende.

Oberbürgermeister Christian Schuchardt wendet sich zu Beginn der Feier an die Angehörigen der Toten und Verletzten, die in den Seitenschiffen des Kiliansdoms sitzen, geschützt vor den Blicken. "Ich weiß nicht, welches die richtigen Worte sind, die ich an sie richten kann", sagt Schuchardt. "Die nach nicht einmal 48 Stunden Trost geben, Antwort geben oder Hoffnung spenden." Er bietet Hilfe an, auch ganz persönlich, "wir sind für sie da, egal was sie brauchen".

Der Oberbürgermeister zitiert aus dem Brief, den er bereits am Vorabend an die Bürgerinnen und Bürger seiner Stadt gerichtet hat. "Ich habe gestern Abend geweint", schrieb er. Schuchardt findet eindrucksvoll die richtigen Worte, voller Empathie für die Opfer und Hochachtung für die Retter und jene couragierten Menschen, die sich dem Täter entgegenstellten. Schuchardt erwähnt die Parallele, die sich sogleich aufdrängt: Vor fast genau fünf Jahren attackierte ein junger Flüchtling aus Pakistan in einer Regionalbahn bei Würzburg mehrere Menschen und verletzte sie mit einer Axt. Schuchardt warnt davor, die Vorfälle gleichzusetzen: "Geflüchteter, Zuwanderer, Gewalttäter, Glaubenskrieger und Terrorist - Massaker." Niemals seien die Verbrechen Einzelner auf Bevölkerungsgruppen, Religionen, Staatsangehörigkeiten zurückzuführen. Er erhebt die "moralische Forderung", dass das Schubladendenken ein Ende haben möge.

"Unfassbar, entsetzlich, sinnlos", nennt Ministerpräsident Söder die Attacke. Die Frage nach dem Warum bewege nun viele Menschen, warum diese Frauen, warum diese Tat. Es gebe viele Fragen, aber keine vernünftigen Antworten. "Das einzige was wir heute machen können, ist zu zeigen, dass wir mit dem ganzen Herzen dabei sind", sagt Söder, an die Angehörigen adressiert. Über die Hintergründe der Tat müsse noch viel geredet werden, gegebenenfalls müssten auch Konsequenzen gezogen werden - aber auch Söder warnt vor Klischees und Vorverurteilungen. "Wir dürfen eine solche hasserfüllte Tat niemals mit Hass oder Rache beantworten." Besonnenheit sei nun gefragt. Der Angreifer habe einen Migrationshintergrund, Söder betont aber, dass auch unter den Helfern Menschen mit Migrationshintergrund gewesen seien. Es sei "ermutigend", dass sich couragierte Bürger dem Attentäter mit Besen und Stühlen entgegengestellt hätten. Es eint die Redner, dass sie keinen Hass aufkommen lassen wollen auf Geflüchtete und Menschen anderer Herkunft.

Nach der Messerattacke: Würzburgs Bischof Franz Jung zitierte in seiner Ansprache bei der Feier den Propheten Jeremia: Der Angriff habe "uns wieder ins Bewusstsein gerufen, wie brüchig unsere scheinbare Normalität ist".

Würzburgs Bischof Franz Jung zitierte in seiner Ansprache bei der Feier den Propheten Jeremia: Der Angriff habe "uns wieder ins Bewusstsein gerufen, wie brüchig unsere scheinbare Normalität ist".

(Foto: YouTube/Screenshot)

"An Tagen wie diesen müssen wir Würzburger alle näher zusammenkommen", sagt Ahmut Bastürk als Vertreter der muslimischen Gemeinden. Er appelliert an die Stadtgesellschaft, die Angehörigen zu unterstützen. "Da reicht ein Blumenstrauß nicht aus." Bastürk zitiert den Koran: "Wenn jemand einen Menschen tötet, so ist es, als ob er alle Menschen getötet hätte. Wenn jemand ein Leben rettet, so ist es, als ob er alle Menschen gerettet hätte."

Es sei eher unüblich, dass der Vertreter der Juden in einem christlichen Gotteshaus spreche, sagt Josef Schuster, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden. Aber das sei in diesem Moment nicht wichtig. Gerade jetzt müsse jedem Versuch widerstanden werden, die Gesellschaft zu spalten. Auch er lobt die Zivilcourage der Helfer, das sei ein hoffnungsvolles Zeichen und stärke die Stadtgesellschaft.

"Du hast mich aus dem Frieden hinausgestoßen; ich habe vergessen, was Glück ist." Würzburgs Bischof Franz Jung zitiert in seiner Ansprache bei der Feier den Propheten Jeremia, der vor 2500 Jahren zu einem Klagelied über die zerstörte Stadt Jerusalem anhob, doch die Worte träfen auch den Schmerz der Würzburger. Der Angriff habe "uns wieder ins Bewusstsein gerufen, wie brüchig unsere scheinbare Normalität ist". Gerade das Irrationale mache Angst, sagt Jung, da es für eine solche Tat keine Erklärung gebe. Sie erschüttere das Vertrauen in andere Menschen, das Vertrauen auf eine stabile Ordnung - und letztlich das Vertrauen auf Gott. Doch dessen Erbarmen sei nicht zu Ende, predigt der Bischof. Der furchtbare Schrecken dieser Tage sei auch als Einladung zu verstehen, den Traum von einer heiligen Stadt, wie sie in der Offenbarung des Johannes beschrieben ist, nicht aufzugeben. "Es ist die Stadt, in der Gewalt nicht mit Gewalt beantwortet wird. Die Stadt, in der Angst nicht in Aggression umschlägt. Die Stadt, in der Verzweiflung nicht in Hass mündet."

Die evangelische Regionalbischöfin Gisela Bornowski bezieht sich auf den Apostel Paulus: "Einer trage die Last des anderen, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen." Es sei eine unmenschliche Last, die die Betroffenen und ihre Angehörigen jetzt zu tragen hätten. Und nicht zuletzt Menschen mit Migrationshintergrund empfänden nun eine große Last, aus Schock über die Tat, aber auch aus Sorge vor eventuellen Anfeindungen. Sie ruft die Menschen auf, zusammenzustehen. Vertreter der Rettungskräfte tragen die Fürbitten vor - für Opfer, Helfer und Menschen mit Migrationshintergrund.

Zur SZ-Startseite
Messerattacke in Würzburger Innenstadt

SZ PlusWürzburg
:Terror und Wahn

Nach der Messerattacke von Würzburg wird klar: Der Täter ist offenbar psychisch krank. Aber ist er auch ein Terrorist? Über eine schwierige, hochpolitische Frage.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: