Attentäter von Würzburg:Wieso dauert ein psychiatrisches Gutachten so lange?

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Der Mann, der in Würzburg mehrere Menschen mit einem Messer getötet hat, war der Polizei bereits bekannt. (Foto: AFP)

Der 24-jährige Messerangreifer war zweimal in einer Klinik, doch auch sechs Monate später liegt noch keine Untersuchung eines Sachverständigen vor. Das löst Kritik aus.

Von Clara Lipkowski, Olaf Przybilla, Ronen Steinke, Würzburg

Seit Tagen herrscht Irritation darüber, dass ein Gutachten über den offenbar psychisch auffälligen 24-jährigen Täter von Würzburg auf sich warten lässt. Er hatte im Januar an zwei aufeinanderfolgenden Tagen mehrere Personen in einer Obdachlosenunterkunft mit einem Messer bedroht. Die Staatsanwaltschaft hatte darauf Ermittlungen eingeleitet und ein psychiatrisches Gutachten in Auftrag gegeben. Bis heute, knapp ein halbes Jahr nach Auftrag, liegt es noch immer nicht vor. Nun äußert Dominikus Bönsch, Ärztlicher Direktor des Würzburger Zentrums für Seelische Gesundheit, in dem der Täter zweimal untergebracht war, sein Unverständnis darüber. Der SZ sagte er am Mittwoch: "Nach zwei Monaten hätte ein solches Gutachten eigentlich vorliegen müssen."

Natürlich seien solche Untersuchungen unterschiedlich komplex, sagte Bönsch, doch "auf keinen Fall" sei es üblich, dass wie in einem Fall des 24-jährigen Somaliers nach fast sechs Monaten kein Gutachten vorliege. Für ein solches werde unter anderem ein Proband geladen, untersucht und die Ergebnisse verschriftlicht. Im Fall des Attentäters vermute er, sei ein Gutachten noch gar nicht angefertigt worden. Der 24-Jährige, der am Freitag mit einem Messer drei Frauen erstach und sieben weitere Menschen verletzte, hatte sich laut dem Ärztlichen Direktor Bönsch im Januar für acht Tage und im Juni für eine Nacht in der Klinik aufgehalten. Zunächst war er zwangseingewiesen worden, weil er Bewohner des Obdachlosenheims, in dem er lebte, bedroht und beleidigt hatte. Das zweite Mal wurde er eingewiesen, nachdem er unvermittelt ein Auto angehalten, sich auf den Beifahrersitz gesetzt und den Fahrer aufgefordert hatte, ihn in den Stadtteil Frauenland zu fahren. Dort befindet sich die Klinik, deshalb vermutet Bönsch, dass sich der Mann selbst einweisen wollte. Letztlich wurde der 24-Jährige nach dem Vorfall von der Polizei zur Klinik gebracht, in beiden Fällen entließ er sich selbst. "Die Hürden, jemanden festzuhalten sind astronomisch hoch", sagt Bönsch. Der Mann habe Medikamente genommen, die eine gute Wirkung gezeigt hätten, daher habe sich die Frage nicht gestellt, ihn zwangsweise in der Klinik zu behalten. Das sei nur möglich, wenn eine akute Fremd- oder Selbstgefährdung zu befürchten sei.

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In dem Clip aus dem Jahr 2018 berichtet der Messerangreifer von Würzburg angeblich von einem rassistischen Übergriff in Chemnitz. Ermittler prüfen nun die Aufnahme - und bezeichnen sie als "Spur".

Ist also zu viel Zeit verstrichen zwischen der Bedrohungstat und dem Erstellen eines Gutachtens? Die für das damalige Ermittlungsverfahren zuständige Staatsanwaltschaft Würzburg will sich derzeit nicht mehr zum Fall äußern und verweist auf die Generalstaatsanwaltschaft München. Diese erklärt, der Bedrohungsfall sei von der zuständigen Staatsanwaltschaft nicht mit auffälliger Verzögerung behandelt worden. Der Fall sei im Januar offenbar als "nicht prioritär" eingestuft worden. Die Annahme, ein Gutachten in so einem Fall sollte bereits nach spätestens zwei Monaten vorliegen, könne man nicht bestätigen.

Der Leitende Würzburger Oberstaatsanwalt Frank Gosselke hatte zuvor die verstrichene Zeit mit diversen Schritten begründet, die zunächst eingeleitet werden müssten. So vergehe Zeit, bis die Polizei die Akten übermittle. Dann müsse die Anschrift des Beschuldigten abgeklärt, ein Sachverständiger beauftragt werden. Dieser müsse sich in Akten einlesen und den Beschuldigten einbestellen. So benötige man fürs Gutachten "einige Wochen bis Monate".

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Am Dienstag war bekannt geworden, dass die Münchner Zentralstelle für Extremismus und Terrorismus ein weiteres Gutachten in Auftrag gibt. Sie hat die Ermittlungen wegen des möglichen islamistischen Hintergrunds der Tat übernommen. Mit dem Gutachten soll geklärt werden, ob der 24-Jährige womöglich schuldunfähig war und in einer psychiatrischen Klinik untergebracht wird. Derzeit sitzt der Mann im Gefängnis. Trotz seiner Beinverletzung und seines psychischen Zustands war er als "haftfähig" eingestuft worden.

Der Würzburger Traumatherapeutin Hildegard Born zufolge könnte der Mann während der Tat eine Psychose erlebt haben. In so einem Fall kann ein Mensch unter anderem Wahnvorstellungen haben. Das lege die Vorgeschichte des Mannes nahe, sagte sie, sowie Augenzeugenberichte, denen zufolge er während der Tat gelächelt haben soll. Uneinigkeit herrscht darüber, ob der Täter tatsächlich das Wort "Dschihad" verwendet hat. Innenminister Joachim Herrmann hatte dies mitgeteilt, am Mittwoch bestätigte dies ein Sprecher des Landeskriminalamts. Der Mann habe dies am Krankenbett angegeben, als er nach der Tat vernommen wurde. Der Pflichtverteidiger des Beschuldigten, Hans-Jochen Schrepfer, äußerte auf SZ-Anfrage sein Unverständnis darüber. Dies sei definitiv in keiner Vernehmung gesagt worden, und es stehe auch nicht im Haftbefehl. Unterdessen prüfen Ermittler ein Video, auf dem angeblich der Attentäter von Würzburg in Chemnitz zu sehen ist, wo er zeitweilig lebte. In dem Interview aus dem Jahr 2018 äußert er, Zeuge eines rassistischen Übergriffs geworden zu sein.

© SZ vom 01.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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