Würzburg:Anwalt zu langsam - Mandant darf nicht gestehen

Würzburg: Der 20 Jahre alte Hauptangeklagte (links) muss sich in Würzburg ebenso wegen versuchten Mordes verantworten wie der 18-Jährige neben ihm.

Der 20 Jahre alte Hauptangeklagte (links) muss sich in Würzburg ebenso wegen versuchten Mordes verantworten wie der 18-Jährige neben ihm.

(Foto: Olaf Przybilla)
  • Anfang 2016 sollen ein 20-Jähriger und ein Komplize eine 22-Jährige in den Schlosspark von Wiesentheid gelockt und versucht haben, sie zu töten.
  • Die Verteidigung konnte aus "Termingründen" das Geständnis nicht schon am ersten Verhandlungstag vornehmen.
  • Gegen den Hauptbeschuldigten läuft eine zweite Anklage, weil er versucht haben soll, aus der Haftanstalt auszubrechen.

Von Olaf Przybilla

Der Prozess gegen zwei Heranwachsende, die eine 22-Jährige in den Schlosspark von Wiesentheid gelockt und dort mit einem Messer lebensbedrohlich verletzt haben sollen, beginnt ungewöhnlich. Hauptangeklagt ist ein 20 Jahre alter Mann aus Kitzingen, er soll sich den Mordplan gegen seine Ex-Freundin ausgedacht und einen Komplizen um Mithilfe gebeten haben.

Die Beweislast scheint erdrückend zu sein, bereits in polizeilichen Vernehmungen soll der 20-Jährige seiner früheren Freundin die Schuld für sein aus der Bahn geratenes Leben gegeben haben. Daran habe er sich rächen wollen. Sein Anwalt kündigt nun an, er werde eine Einlassung seines Mandanten verlesen, die einem Geständnis gleichkomme. Nur eben: bei der nächsten Sitzung im Gericht, nicht an diesem ersten Verhandlungstag.

Das ist mindestens unkonventionell. Die Strafprozessordnung sieht vor, dass sich der Angeklagte zu Beginn einer Verhandlung äußern kann. Legt er dann ein Geständnis ab, so ist dies natürlich deutlich mehr wert als eines, das erst abgegeben wird, nachdem Kriminalbeamte vorgetragen haben, was sie alles ermittelt haben. Dass der Hauptangeklagte - weißes T-Shirt, kahl geschorener Schädel, Fußfesseln - ein Geständnis ablegen will, daran hat der Vorsitzende Richter der Jugendkammer am Landgericht Würzburg keinen Zweifel. Warum also nicht gleich?

Die Erklärung ist kurios. Sein Anwalt erläutert, er habe die Einlassung aus "Termingründen" nicht rechtzeitig fertigbekommen. Nach mehr als acht Monaten Untersuchungshaft? Der Richter macht große Augen und sagt, klar, es seien "hektische Zeiten", jeder habe ständig Termine. Ein Anwalt aber, der nicht genug Zeit habe, um sich auf einen Mordprozess vorzubreiten? Auch der Oberstaatsanwalt muss sich sichtlich beherrschen. Befremdet sei er, das zumindest wolle er doch sagen.

Der Anwalt erklärt, es sei ja kürzlich noch eine zweite Anklage hinzugekommen, das habe die Verteidigung zeitlich überfordert. Tatsächlich sind die beiden nicht nur wegen versuchten Mordes und schwerer Körperverletzung angeklagt. Der Hauptangeklagte muss sich zusätzlich wegen gemeinschaftlich begangener Gefängnismeuterei verantworten. In der Haftanstalt Aschaffenburg soll er versucht haben, gemeinsam mit einem anderen Häftling ein Loch in die Wand seiner Zelle zu brechen. Auf 30 mal 70 Zentimeter war der Putz schon abgetragen, dann wurde der Ausbruchsversuch entdeckt.

Es ist nicht der einzige Moment, bei dem ein Raunen im Saal C 017 zu hören ist. Laut Anklage hatte die 22-Jährige im Dezember 2005 ihre Beziehung zu ihrem Freund beendet. Dieser reagierte darauf mit Suiziddrohungen und weiteren Annäherungsversuchen, vergebens allerdings. Um Silvester herum habe der 20-Jährige daraufhin beschlossen, seine Ex-Freundin umzubringen. Als Vergeltung für die Zurückweisung. Und weil er der 22-Jährigen die Schuld dafür gegeben haben soll, dass in seinem Leben vieles schieflief.

Würzburg: Nahe dieses Sees im Schlosspark der unterfränkischen Marktgemeinde Wiesentheid wurde die Ex-Freundin des Hauptangeklagten schwer verletzt gefunden.

Nahe dieses Sees im Schlosspark der unterfränkischen Marktgemeinde Wiesentheid wurde die Ex-Freundin des Hauptangeklagten schwer verletzt gefunden.

(Foto: Olaf Przybilla)

Vor Gericht sagt der 20-Jährige an diesem Tag nur, wie alt er ist, dass er in Ochsenfurt geboren wurde und bei seiner Festnahme "ohne Arbeit" war. Er spricht leise, seine Stimme wirkt brüchig. Was er nicht sagt, vermutlich aber Teil einer künftigen Einlassung seines Anwalts sein dürfte: dass er aus sogenanntem gutbürgerlichen Hause stammt, in der Realschule als "Strebertyp" gehänselt wurde, aus seinem Elternhaus im Streit auszog, für kurze Zeit einen Job hatte, diesen aber wieder verlor.

Der Staatsanwalt geht davon aus, dass der 20-Jährige den Mitangeklagten, einen 18-Jährigen aus Kitzingen, überredet hat, am Mordkomplott im Schlosspark mitzuhelfen. Von dessen Handy stammte die SMS, mit der der Komplize die junge Frau am Abend des 5. Januar zunächst auf den Wiesentheider Marienplatz lockte. Dann unter einem Vorwand in den Park. Als die Frau ihren Ex-Freund sah, der dort wartete, versuchte sie zu fliehen. Die beiden hielten sie aber auf. Dann soll der 20-Jährige mit einem Taschenmesser dreimal zugestochen haben, in Kehle und Nacken.

Erst zwölf Stunden nach der Tat wurde die schwer verletzte und völlig unterkühlte Frau von einem Spaziergänger im Park gefunden. Sie war nicht vernehmungsfähig, musste über Wochen ins künstliche Koma versetzt werden. Aufgrund ihrer Verletzungen ist sie halbseitig gelähmt.

Die beiden jungen Männer wurde wenige Tage nach der Tat festgenommen. Zuvor waren in sozialen Netzwerken zahlreiche Verdächtigungen zu lesen. Ins Visier von Hetzern gerieten Flüchtlinge aus einem Heim in der Nähe des Parks. Über die Mutmaßungen äußerte sich der Bürgermeister von Wiesentheid, Werner Knaier, später "erschrocken und persönlich enttäuscht". Er bedankte sich bei allen im Ort, die sich daran nicht beteiligt hätten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: