Workshop zur Zukunft der EU:Die Stunde der Visionäre

My Europe

Ein Europa, darum geht es in dem Workshop. Wie unterschiedlich die Ansichten zu diesem einen Europa sein können, erzählen eine Reihe von ausgewählten Referenten. Einer von ihnen ist Stefan Kornelius, Ressortleiter der SZ-Außenpolitik.

(Foto: Jakob Berr)

In einem Workshop diskutieren Jugendliche aus ganz Bayern über die Zukunft der Europäischen Union. "Ist doch alles gar nicht so übel", so lautet die einhellige Meinung - doch es kommen auch Ängste hoch.

Von Benedikt Warmbrunn

Marie ist jetzt eine pedantische Bürokratin, also: eine Spielverderberin. Den Vorschlag von Amin, dass es innerhalb der Europäischen Union weniger um Finanzen und Wirtschaft, sondern mehr um kulturellen Austausch gehen sollte, findet sie realitätsfern. Von Amin, diesem Träumer, hat sie aber auch nichts anderes erwartet. Dass Pahrnia die kulturelle Gemeinsamkeit durch mehr Schüleraustausche erhöhen will, ist Marie zu wenig. Selbst wer an allen Austauschprogrammen teilnimmt, so sagt sie, war letztlich in maximal vier Ländern. Also bitte! Marie fordert stattdessen ein Maßnahmenprogramm: eine europäische Zeitung, mehr Englischunterricht und, als Kompromiss, das Fördern von Schüleraustauschen.

Dann wechseln Marie, Amin und Pahrnia die Rollen. Marie ist jetzt die Träumerin, Amin der Planer, Pahrnia die strenge Kritikerin. Sie debattieren über den Sinn einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik. So wie die drei Schüler des Lise-Meitner-Gymnasiums in Unterhaching, so diskutieren an diesem Mittwochmittag in der Münchner Zentrale der Unicredit-Bank knapp 50 Schüler und Studenten aus ganz Bayern. Unter ihnen waren auch die Gewinner des Blattmacher-Wettbewerbs der Süddeutschen Zeitung.

Die Jugendlichen reden über den Beitritt der Türkei in die Europäische Union (EU), über den Euro, über Bildung, über Umweltpolitik und Wirtschaftsethik, hin und wieder auch über die skeptischen Briten. In jeder Gruppe gibt es einen Träumer, einen Planer, einen Kritiker - denn entsprechend sind ja auch die vorherrschenden Projektionen auf Europa und die EU. Die Jugendlichen reden dabei über Anreize, über Potenziale und über Werte. Und wie sie so debattieren, entsteht der Eindruck, dass es gar nicht so übel ist, dieses Europa. Trotz der Bürokratie. Trotz der Euro-Krise.

Die Diskussionsrunden gehören zu einer zweitägigen Veranstaltung, dem Workshop "My Europe", ausgerichtet von der Unicredit, dem Frankfurter Zukunftsrat, dem Institute for Corporate Culture Affairs (ICCA) aus Frankfurt sowie der Süddeutschen Zeitung. Der Zukunftsrat lädt zu den My-Europe-Workshops in allen 27 EU-Mitgliedsländern ein, außerdem in der Türkei und der Schweiz. Die Jugendlichen debattieren mit Politikern, Unternehmern, Wissenschaftlern und Journalisten über ihre Vorstellung von Europa, über ihre Träume und Wünsche, aber auch über ihre Ängste.

Nach dem Seminar schreiben die Teilnehmer einen Artikel über ihre Visionen zu Europa im Jahr 2030, die drei Gewinner bilden im Herbst in Frankreich einen europäischen Jugendrat und verfassen ein "europäisches Jugendmanifest". "Europa muss sich auf die globalisierte Welt einstellen - und 2030 sind Sie es, die dieses Europa mitgestalten", sagt Manfred Pohl, der Gründer des Frankfurter Zukunftsrats, zu den Jugendlichen. Europa sei ein Gebilde, "das zusammenhalten muss, denn nur dann kann es in der Nische der globalisierten Welt bestehen".

"Ein großer Schnarchhaufen"

Ein Europa, darum geht es in dem Workshop. Wie unterschiedlich die Ansichten zu diesem einen Europa sein können, erzählen eine Reihe von ausgewählten Referenten. So kann Europa als ein Projekt mehrerer Generationen gesehen werden, wie Heinz Laber betont. Der Vorstand der Unicredit erinnert an den friedlichen Umbruch Anfang der 1990er Jahre, er erinnert an die Vorzüge, die im Alltag oft vergessen werden. Zum Beispiel erzählt er, wie sehr er nach einem Italien-Urlaub am Zoll gezittert hat, wegen einiger Flaschen Chianti im Kofferraum.

Diese Errungenschaften aus den vergangenen Jahrzehnten heben auch die anderen Referenten hervor. Kornelius Purps, Finanzmarkt-Experte bei der Unicredit, sagt, dass Europa für ihn eine Gemeinschaft sei, "in der sich Waren und Menschen frei bewegen können". Er plädiert daher für den Erhalt der Gemeinschaftswährung. Denn ohne eigene Währung, sagte Purps, "hat man keinen Partner, man ist aber auch kein Single". Durch Export oder die Interessen von Spekulanten bleibe ein Land auch mit einer eigenen Währung abhängig von den anderen europäischen Staaten.

Dass Europa sich auch selbst im Weg stehen kann, davon berichtet Stefan Kornelius, Leiter der Außenpolitik-Redaktion der SZ. Im Rest der Welt, sagt er, werde Europa derzeit "als ein großer Schnarchhaufen" wahrgenommen. Wirtschaftlich sei die EU zum Beispiel für Asien kein Vorbild. Kornelius sagt: "Wir dienen dort eher als Kulisse für eine Welt, die eigentlich schon untergegangen ist." Dennoch warnt er vor einer Europa-skeptischen Haltung, die EU biete Sicherheit. "Wir leben auf dem Ground Zero des Wohlstands."

All diese Ansichten sollen den Jugendlichen beim Schreiben ihrer Zukunftsvisionen helfen, die besten Texte werden am Ende ausgezeichnet. Dass die Preise für die ersten beiden Plätze - zwei Tablet-Computer - sie weniger reizen als die ebenfalls zu gewinnenden Praktika, auch das ist eine gute Nachricht für Europa.

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