Bayern:Die Versöhnung von Wolfsschutz und Weidehaltung

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Vor allem Landwirte verfolgen die Rückkehr des Wolfes, eines streng geschützten Raubtieres, mit kritischem Blick. (Foto: dpa)

Der Streit um die Rückkehr der Raubtiere im Alpenraum hat sich zuletzt erkennbar beruhigt. Einen Beitrag zur weiteren Versachlichung der Debatte liefert ein neues Buch von Roland Norer, Experte für öffentliches Recht und Recht des ländlichen Raums.

Von Christian Sebald

Acht Wolfsrudel leben in Bayern, in der Hohen Rhön streifen außerdem eine Wölfin und ein Rüde miteinander herum, gut möglich, dass die beiden die Stammeltern des neunten Rudels im Freistaat werden. Die beiden sind außerdem so ziemlich die einzigen heimischen Wölfe, die mit einer gewissen Regelmäßigkeit Schafherden überfallen. So kann man es auf der Internetseite des Landesamts für Umwelt nachlesen, das in Bayern für das Wolfsmonitoring zuständig ist.

Im Herbst 2023 hat der Landrat des Landkreises Rhön-Grabfeld, Thomas Habermann (CSU), die beiden Tiere deshalb zum Abschuss freigegeben. Er musste die Genehmigung kassieren, nachdem eine kleine Wolfsschutzorganisation ein entsprechendes Gerichtsurteil erwirkt hatte. Bis auf die Rhön herrscht in Bayern – zumindest derzeit – einigermaßen Ruhe rund um das Reizthema Wolf.

Das ist insofern erstaunlich, als noch vor Jahresfrist die Emotionen hochgegangen sind, an den Stammtischen auf dem Land genauso wie in politischen Veranstaltungen, wann immer die Rede auf den Wolf gekommen ist. Ein Grund für die neue Ruhe dürfte sein, dass – aufseiten der Bauern und ihrer wichtigsten Organisation, des Bayerischen Bauernverbands (BBV) – die Einsicht gewachsen ist, dass die Rückkehr der Wölfe ein zu schwieriges und zu komplexes Thema ist, als dass man ihm mit so simplen Parolen wie dem Diktum von Ministerpräsident Markus Söder beikommt, nach dem „der Wolf nicht nach Bayern gehört“. Zu besichtigen war das jetzt bei der Präsentation des neuen Buches von Roland Norer, der als Professor an der Universität im schweizerischen Luzern öffentliches Recht und Recht des ländlichen Raums lehrt, in der BBV-Zentrale in München.

Das Buch trägt den Titel „Wolfsmanagement im Alpenraum – Rechtsfragen zwischen Artenschutz und Weidehaltung“ und hat – so hat es zumindest der BBV-Generalsekretär Carl von Butler bei der Präsentation formuliert – das Zeug dazu, ein Grundlagenwerk zu werden, an dem keiner vorbeikommt, der sich ernsthaft an der Debatte um Rückkehr der Wölfe in den deutschsprachigen Alpenraum beteiligen will. Denn es handelt nicht nur alle möglichen rechtlichen Aspekte für den Umgang mit dem streng geschützten Raubtier ab. Sondern es arbeitet auch die bisweilen feinen Unterschiede zwischen den internationalen, den europäischen und den jeweiligen nationalen Vorgaben heraus, die darüber entscheiden, warum ein und derselbe Wolf im polnisch-deutschen Grenzgebiet auf polnischer Seite abgeschossen werden darf, auf ostdeutscher Seite aber nicht.

Das allein ist eigentlich schon genügend Stoff für ein Grundlagenwerk. Aber Norer belässt es nicht dabei. Sondern er versucht – wie das schon der Untertitel seines Buches zeigt – einen Ausgleich zwischen Artenschutz und Weidehaltung. Also zwischen den beiden Extrempositionen, die sich in dem Streit bisher meist unversöhnlich gegenüberstehen. Norers Stichwort dafür lautet Weideschutzzonen. Darunter versteht er Alpenregionen, in denen die Almwirtschaft zum Beispiel aus landeskulturellen Gründen unbedingt erhalten werden soll, wo aber Zäune und anderer Herdenschutz so aufwendig oder gar so teuer sind, dass sie für die Bauern dort nicht realisierbar sind. In solchen Weideschutzregionen sollten zumindest auffällige Wölfe abgeschossen werden können, außerdem sollte man dort die Etablierung von Wolfsrudeln möglichst verhindern dürfen. So vertritt es Norer derzeit auf Buchpräsentationen und auch in Interviews.

Almwirtschaft und Wölfe können in den Bergen koexistieren, ist Schröder überzeugt

Ein wortgewaltiger Unterstützer des Juristen Norer ist Wolfgang Schröder. Der 83 Jahre alte Forstwissenschaftler war lange Professor für Wildbiologie und Wildtiermanagement an der TU München. Heute ist er Berater bei Konflikten zwischen Menschen und Wölfen und anderen Wildtieren. Schröder, der bei der Präsentation von Norers Fachbuch beim BBV einführende Worte sprach, ist überzeugt, dass Almwirtschaft und Wölfe in den Bergen koexistieren können – unter einer Voraussetzung: Wölfe, die Schafe oder Rinder überfallen, müssen abgeschossen werden dürfen – und zwar ohne lange Debatte. Das, so lautet Schröders Credo, sei die Voraussetzung dafür, dass die Wölfe scheu bleiben und weiter Menschen und Nutztiere meiden. Als Beispiel verweist er auf Kärnten, wo man mithilfe der Abschüsse von auffälligen Wölfen die Zahl der Nutztier-Risse auf ein „erträgliches Niveau“ habe absenken können.

Und wie hält es nun der Bauernverband mit der Rückkehr der Wölfe in die bayerischen Berge? Natürlich sehen sie dort die Rückkehr der Raubtiere nach Bayern nach wie vor kritisch. Aber zumindest die Führungsspitze im BBV hat offenkundig erkannt, dass den Almbauern die lautstarke Forderung nach „wolfsfreien Gebieten“ in den Alpen und all die anderen harten Parolen der vergangenen Jahre nicht wirklich weitergeholfen haben. Bei der Präsentation von Norers Buch waren sie jedenfalls nicht mehr zu hören. Im Gegenteil. BBV-Generalsekretär Butler ließ ziemlich unverblümt erkennen, dass die Almbauern lernen werden müssen, mit dem Wolf zu leben. Und zwar mit der Folge, „dass sie die bisherige Art der Beweidung nicht fortführen können“. Im Gegenzug forderte Butler wie Norer und Schröder die Möglichkeit, Wölfe abschießen zu können, sowie sie Nutztiere angreifen.

Korrekturhinweis: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir den Vornamen von Professor Norer falsch angegeben. Er heißt Roland und nicht Wolfgang.

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