Rückkehr der Beutegreifer:"Mein Eindruck ist, dass der Wolf als Wahlkampfthema herhalten muss"

Rückkehr der Beutegreifer: Der Wolf, hier ein Tier im Gehege, genießt in Bayern einen strengen Schutzstatus. Nicht alle sind damit einverstanden.

Der Wolf, hier ein Tier im Gehege, genießt in Bayern einen strengen Schutzstatus. Nicht alle sind damit einverstanden.

(Foto: Boris Roessler/dpa)

Der Kreisvorsitzende des Bund Naturschutz Friedl Krönauer hält nichts von Forderungen, den Schutzstatus der Tiere herabzusenken. Er spricht sich für Herdenschutz aus und warnt vor Populismus.

Interview von Petra Schneider, Bad Tölz-Wolfratshausen

Im österreichischen Bundesland Tirol ist zum 1. April eine Verordnung in Kraft getreten, die den Abschuss der streng geschützten Wölfe erleichtert. Demnach können die Raubtiere bejagt werden, wenn Weidetiere attackiert oder bei einem Angriff mindestens fünf Schafe oder Ziegen gerissen wurden. Die Abschussgenehmigung gilt dann für höchstens acht Wochen innerhalb eines Radius von zehn Kilometern. Auch im Landkreis Garmisch-Partenkirchen werden Abschusserleichterungen gefordert; die Gemeinde Kochel am See unterstützt dies ebenfalls und fordert die Absenkung des strengen Schutzstatus beim Wolf. Friedl Krönauer, Vorsitzender des Bund Naturschutz im Landkreis, spricht sich dagegen vehement gegen eine Lockerung des europäischen Naturschutzrechts aus und wittert in den Vorstößen Wahlkampfmanöver.

SZ: Derzeit gibt es bundesweit gut 2500 Wölfe, 2020 wurden 4000 Nutztiere von den Beutegreifern gerissen. In Bayern ist die Zahl der Wolfsterritorien mit dem im März hinzugekommenen Gebiet "Staffelsee-West" auf zehn gestiegen. Auch nach Ansicht des Bund Naturschutz Bayern "ist mit einer weiteren Ausbreitung des Wolfes im Freistaat zu rechnen". Können Sie die Sorgen der Nutztierhalter nachvollziehen?

Krönauer: Wir haben seit zehn, 15 Jahren immer wieder Durchzügler auch bei uns im Landkreis, die wir gar nicht wahrnehmen. Ich kann verstehen, dass es für Viehhalter schlimm ist, wenn ein Wolf ihre Schafe oder Ziegen reißt. Auch wenn der Anteil von Haustieren an der Beute der Wölfe verschwindend gering ist. Das hilft den Schafhaltern natürlich nichts, ich will das gar nicht kleinreden. Schafhaltung ist vor allem in der Garmischer Gegend ein Thema. Den Auftrieb der Tiere auf die Almen, wo sie über den Sommer mehr oder weniger sich selbst überlassen sind, wird man sich überlegen müssen. Wir kommen vielleicht in eine Situation, in der eine Weidetierhaltung in der jetzigen Form nicht mehr möglich ist. Aber einfach zu sagen, jetzt kommt der Wolf, jetzt schießen wir ihn ab, ist keine Lösung. Wir können doch nicht auf den Artenschutz pfeifen und uns die Welt so machen, wie sie uns gefällt. Der Wolf steht gemäß der Berner Konvention und den FFH-Richtlinien europaweit unter strengem Schutz. Und das ist gut so. Es muss möglich sein, dass sich große Beutegreifer bei uns wieder ansiedeln. Wir müssen darauf reagieren und die Herden schützen, zum Beispiel mit Schutzzäunen.

Viehhalter argumentieren, dass Herdenschutzzäune in steilen Lagen nicht aufgestellt werden können, zumindest nicht mit "zumutbarem" Aufwand.

Dass Zäune in Gebirgsregionen schwierig sind, weiß ich. Aber wo möglich, sollten sie gemacht werden. Neben Schutzzäunen gibt es auch die Möglichkeit, Herdenschutzhunde einzusetzen.

Rückkehr der Beutegreifer: Der BN-Kreisvorsitzende Friedl Krönauer hält nichts von den Forderungen aus Kochel, den Schutzstatus des Wolfes herabzustufen.

Der BN-Kreisvorsitzende Friedl Krönauer hält nichts von den Forderungen aus Kochel, den Schutzstatus des Wolfes herabzustufen.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Auch dagegen gibt es Einwände: Almbauern führen an, dass diese Hütehunde auch Wanderer oder Mountainbiker attackieren könnten.

Da redet man an der Wahrheit vorbei. Herdenschutzhunde sind ja keine Kampfhunde. Sie werden geprüft und ausgebildet, um die Herden zusammenzuhalten und sie vor Wölfen zu schützen. Seit Jahrhunderten werden Herdenschutzhunde eingesetzt. Menschen attackieren sie nicht, höchstens dann, wenn Wanderer ihren eigenen Hund dabei haben. Ich habe Herdenschutzhunde in den Abruzzen erlebt. Die liegen außerhalb ihrer Einsatzzeit friedlich in der Sonne und lassen sich streicheln. Ein Bergwachtkamerad aus Rumänien, das mit etwa 3000 Wölfen die stärkste Population in Europa hat, hat neulich zu mir gesagt: "Ich verstehe die Aufregung bei euch nicht." In Rumänien gibt es Wölfe und Bären und ein gutes Miteinander mit den Menschen. Bei uns heißt es immer nur, das geht nicht und das nicht. Mein Eindruck ist, dass der Wolf zurzeit als Wahlkampfthema herhalten muss. Freie Wähler und CSU haben ihre Klientel eben unter den Bauern.

Aber auch in Tirol gilt neuerdings eine gelockerte Abschussverordnung. Das kann man ja nicht mit der Landtagswahl in Bayern begründen.

Ich stimme dem Geheule jedenfalls nicht zu. Auch mit der Forderung des Garmischer Landrats Anton Speer und des Kochler Bürgermeisters Thomas Holz, wegen der steigenden Population den Schutzstatus zu lockern, kann ich nicht mitgehen. Ich glaube, dass in der Gesellschaft die Bereitschaft da ist, den Wolf zu akzeptieren.

Wanderer oder Mountainbiker, die in den Bergen unterwegs sind, brauchen keine Angst zu haben?

Ich finde es fast infam, Ängste zu schüren. Denn es hat in den letzten 70 Jahren in Deutschland keine tödlichen Wolfsattacken gegeben. In Europa sind zwischen 1950 und 2000 59 Zwischenfälle mit Wölfen dokumentiert, in 38 Fällen war die Tollwut ein Grund für den Angriff. Dass angeblich ein Waldkindergarten geschlossen wurde, das grenzt für mich an Populismus. Man muss die Fakten anerkennen und die Leute entsprechend informieren. Wölfe meiden Menschen. Wenn Sie als Wanderer das Glück haben, einen Wolf zu sehen, dann ist das wie ein Sechser im Lotto. Menschen, als aufrecht gehende Spezies, sieht der Wolf als Bedrohung, der er aus dem Weg geht. Außerdem gehört der Mensch nicht in sein Beutespektrum. Wölfe fressen Reh-, Rot- und Schwarzwild, Hasen und auch Biber. Sie halten sich dort auf, wo das Nahrungsangebot gut ist. Man sollte Wölfe also auf keinen Fall mit Futter anlocken.

Schaf- und Ziegenhalter machen das - natürlich ungewollt

Ja, aber dafür gibt es Schutzzäune oder Schutzhunde. Bei "Schadwölfen", die sich nicht artgerecht verhalten, die etwa durch Ortschaften streifen, wie das im Landkreis Traunstein im Dezember 2021 der Fall war, oder bei "futterkonditionierten Tieren" gibt es auch jetzt schon die Möglichkeit, eine Abschussgenehmigung bei der Regierung von Oberbayern zu erwirken. Es wird so sein, dass man den einen oder anderen Wolf abschießen muss, das sehen wir beim BN auch so. Wir sind ja keine Romantiker. Aber wenn man den Wolf aus dem europäischen Artenschutzgesetz rausnimmt, dann macht man ein Tor auf, das man nicht mehr zubringt.

Erhalt der Weidewirtschaft trotz Wolf

Der Bayerische Umweltminister Thorsten Glauber (FW) fordert vom Bund "erweiterte rechtliche Instrumente für das Wolfsmanagement". Mit einer entsprechenden Forderung habe er sich an die Bundesregierung gewandt, teilt Glauber in einer Presseinformation mit. "Wir brauchen endlich die angekündigten Rechtsänderungen." Der Erhalt der Weidewirtschaft sei ein zentrales Anliegen der Staatsregierung. Klares Ziel sei es, "die für die Artenvielfalt so wichtige Weidetierhaltung auch bei Wolfsanwesenheit in Bayern flächendeckend und dauerhaft zu erhalten", so Glauber.

Dass in steilen und stark frequentierten alpinen Gebieten Herdenschutzmaßnahmen häufig nur schwer bis gar nicht umsetzbar seien, könne vom Bund nicht länger ignoriert werden, heißt es in der Mitteilung. Nötig sei ein "regional differenziertes Bestandsmanagement", das auch im Koalitionsvertrag vorgesehen sei. Um Weidetierhalter bei Wolfsanwesenheit zu unterstützen, habe der Freistaat in den Jahren 2020 bis 2022 über zehn Millionen Euro für die Förderung von Herdenschutzmaßnahmen aufgewendet. Auf den rund 1400 Almen im bayerischen Alpenraum seien wolfsabweisende Zäunungen oder Herdenschutzhunde aber oftmals schwierig.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusArtenvielfalt
:"Der Schutz des Wolfs darf nicht über allem stehen"

Weil die Population der Raubtiere wächst, fordert der Kochler Bürgermeister Thomas Holz ein staatliches Management, das Abschüsse künftig erleichtert.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: