Regensburger Korruptionsprozess:Das Geheimnis der zweiten Akte

Prozess Oberbürgermeister Wolbergs

Die Akte Wolbergs auf dem Tisch im Verhandlungssaal des Regensburger Gerichts.

(Foto: dpa)
  • Im Korruptionsprozess gegen Joachim Wolbergs hat der suspendierte Regensburger SPD-Oberbürgermeister einen womöglich folgenschweren Verdacht geäußert.
  • Hat Axel Bartelt, der Präsident der Regierung der Oberpfalz, die Ermittlungen gegen Wolbergs beeinflusst?
  • Im Gerichtssaal kam heraus, dass es bei der Bezirksregierung wohl eine zweite Akte gibt.

Von Andreas Glas, Regensburg

Joachim Wolbergs steht am Richtertisch. Dort liegen Papiere, der Text mit Computer geschrieben, die Korrekturen mit Hand. Manche mit Rotstift, manche mit Grünstift. Der Rotstift gehört dem früheren Vizepräsidenten der Regierung der Oberpfalz, in Grün hat Präsident Axel Bartelt seine Korrekturen gemacht. "Ich werde den Verdacht nicht los, dass es Behörden im Freistaat gibt, die ein enormes Interesse haben, dass ich nicht mehr auf die Füße komme", sagt Wolbergs.

Der Verdacht ist eher eine Nebensache im Korruptionsprozess gegen Wolbergs, den suspendierten Regensburger SPD-Oberbürgermeister. Nichts, das eine Rolle spielen muss für das Urteil, ob er schuldig ist oder nicht. Aber es ist ein Verdacht, der den Regierungspräsidenten in Erklärungsnot bringt: Hat Bartelt die Ermittlungen gegen Wolbergs beeinflusst?

Wer nach einer Antwort sucht, muss zurückschauen in den November 2014, als eine Rechtsaufsichtsbeschwerde der CSU-Stadtratsfraktion bei einem Sachbearbeiter der Bezirksregierung landet. Die CSU hat Zweifel, dass der Verkauf eines städtischen Grundstücks an die Baufirma Tretzel rechtens war. Der Sachbearbeiter prüft und stellt fest: alles sauber. Im März 2017 bekommt der Sachbearbeiter dann Besuch von einem Kripobeamten. Damals ist Wolbergs gerade aus der U-Haft entlassen. Die Staatsanwälte bewerten den Grundstücks-Deal inzwischen so: Wolbergs soll Bauunternehmer Volker Tretzel das Nibelungeneareal illegal zugeschanzt haben, im Gegenzug für Parteispenden in Höhe von 475 000 Euro. Der Kripobeamte legt dem Sachbearbeiter Teile der Ermittlungsakten auf den Tisch. Darin enthalten: eine heikle E-Mail.

Die Mail schickte der frühere SPD-Rathausfraktionschef Norbert Hartl im Juni 2014 an die Firma Tretzel. Im Anhang: Kriterien für die öffentliche Ausschreibung des Nibelungenareals - verbunden mit Hartls Bitte, die Tretzel-Mitarbeiter mögen ihre Änderungswünsche "in Rot" eintragen. Die Mail ging auch an Wolbergs. Für die Ermittler ist sie ein Indiz, dass die Ausschreibung des Areals maßgenau auf das spätere Tretzel-Angebot zugeschnitten war. Der Kripobeamte bittet den Sachbearbeiter, sich die Ermittlungsakten anzusehen - und darum, ihm eine einzige Frage zu beantworten: Ob der Regierung die Informationen aus den Akten bekannt waren, als sie damals die Beschwerde der CSU abbügelte.

Der Sachbearbeiter prüft also wieder. Er stößt auf die heikle E-Mail, die ihm unbekannt ist. Also setzt er einen Brief an die Kripo auf: Nein, es gebe Dinge, die ihm damals nicht bekannt gewesen seien. Damit wäre die Sache erledigt gewesen. Doch an dieser Stelle kommt Axel Bartelt ins Spiel, der Regierungspräsident.

Was nun geschah, erzählt am Montag im Gerichtssaal zunächst der Sachbearbeiter. Er habe es seiner Antwort belassen wollen, "das Präsidium hat aber gewünscht, dass man weitere Ausführungen" mache. Da platzt es aus Wolbergs raus: "Ach, so läuft das!" Auch Tretzel-Anwalt Florian Ufer ist überrascht, dass Präsident und Vize fleißig mitschrieben an der Stellungnahme für die Kripo. Er will wissen, wieso deren Korrekturen nicht in der elektronischen Akte der Behörde abgelegt wurden. Stimmt, sagt der Sachbearbeiter, das sei unüblich, das habe aber "das Haus" so gewollt. In seinem Büro liege eine zweite Akte mit allen Entwürfen. Eine Parallelakte? Gab es etwas zu verheimlichen?

Nein, sagt am Dienstag ein Bereichsleiter der Regierung vor Gericht, als dann die Entwürfe aus dem Büro des Sachbearbeiters auf den Richtertisch kommen, samt Grün- und Rotstift-Korrekturen. So eine zweite Akte sei "ein ganz normaler Vorgang". Doch je länger die Anwälte bohren, desto mehr druckst er rum. Auch der Bereichsleiter hat an den Entwürfen für das Kripo-Schreiben mitgeschrieben. Drei Wochen haben drei Herren daran gefeilt, die Entwürfe gingen hin und her, wurden immer wieder verändert. Ein großer Aufwand angesichts der "für mich relativ unspektakulären Anfrage" der Kripo, sagt selbst Richterin Elke Escher.

"Ich bin kein Verschwörungstheoretiker", sagt Wolbergs

Dass die Hartl-Mail auch an den OB ging, könne eine Aufsichtsbehörde nicht einfach "so stehen lassen", erwidert der Bereichsleiter. Das könne nicht "mit dem Argument geheilt werden: Ich habe das nicht gelesen als OB". Man habe sich daher entschieden, die Dinge zu bewerten und an die Stadt zu schicken, damit solche "Fehler künftig nicht mehr gemacht werden".

Diese Absicht finde er ja okay, sagt Wolbergs-Anwalt Peter Witting. Aber warum ging die Bewertung auch an die Kripo? Laut Witting heißt es darin, dass "kein Zweifel" an einem Fehlverhalten bestehe und davon auszugehen sei, dass Wolbergs wohl von der Hartl-Mail gewusst habe. Woher die Regierung das so genau wisse, fragt Witting. Die überraschende Antwort des Sachbearbeiters: Stimmt, man habe Wolbergs da etwas "unterstellt". Man hätte "vorsichtiger formulieren müssen".

"Natürlich hätten wir das auch lassen können", sagt schließlich auch der Bereichsleiter, das "musste nicht sein". Dann konfrontiert ihn Anwalt Witting mit einer E-Mail, die er am 15. März 2017 schrieb - zwei Tage nachdem Tretzels Verteidiger in einer Pressemitteilung erklärt hatten, wieso der Verkauf des Areals aus ihrer Sicht rechtens war. Darin schreibt der Bereichsleiter an Präsident Bartelt: "Schlage nunmehr vor dem Hintergrund der zwischenzeitlich veröffentlichen Strategie der Verteidigung folgende Antwort vor."

Er könne sich "nicht erinnern", das geschrieben zu haben. Er habe "in keiner Weise" beabsichtigt, "das Verfahren zu beeinflussen" und "Wolbergs irgendwo reinzureiten". Man weise "insbesondere eine Einflussnahme aus parteipolitischen Gründen entschieden zurück", teilt auch der Sprecher der Regierung mit. Er kontert damit Äußerungen, in denen der OB eine Nähe der Regierungsspitze zur CSU andeutet. Präsident Bartelt war Referent von Ex-Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU). Ist das nur die Verschwörungstheorie eines SPD-Politikers? "Ich bin kein Verschwörungstheoretiker", sagt Wolbergs.

Letztlich geht es um die Frage, ob das Schreiben an die Kripo entstand, um der Staatsanwaltschaft belastenden Stoff für die Anklage gegen Wolbergs zu liefern. Zumal am Mittwoch ein Kripo-Ermittler vor Gericht sagt, dass es eine Besprechung zwischen Regierung und Staatsanwaltschaft gegeben habe, bevor das Schreiben entstand. Daran könne sie sich "nicht erinnern", sagt Staatsanwältin Ernstberger.

Und Präsident Bartelt? Bietet auf SZ-Nachfrage an, "zu den Sachverhalten ausführlich Stellung" zu nehmen. Aber nur, falls man ihn als Zeuge ins Gericht bittet. Vorher will er wegen des laufenden Verfahrens nichts sagen.

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