Süddeutsche Zeitung

Korruptionsaffäre in Regensburg:Quasi-Freispruch für Wolbergs

  • Regensburgs suspendierter Rathaus-Chef Joachim Wolbergs ist zwar schuldig gesprochen worden - von einer Strafe sieht das Gericht aber ab.
  • Beim mitangeklagten Bauunternehmer Volker Tretzel urteilt das Gericht härter: wegen Vorteilsgewährung bekommt er zehn Monate Haft auf Bewährung.
  • Kann Wolbergs nun wieder zurück ins Oberbürgermeister-Amt? Sobald die Landesanwaltschaft die Suspendierung aufhebt, ja.
  • Der 48-Jährige hat die SPD allerdings verlassen und eine Wählervereinigung namens "Brücke" gegründet, für die er bei der Wahl im kommenden Jahr als OB-Kandidat antreten will.

Von Andreas Glas und Kassian Stroh, Regensburg

In einer der größten kommunalen Parteispendenaffären Deutschlands sind die ersten Urteile gesprochen: Der suspendierte Oberbürgermeister Joachim Wolbergs ist in zwei Fällen der Vorteilsannahme schuldig gesprochen worden. Von einer Strafe sieht das Gericht aber ab. Für Bauunternehmer Volker Tretzel hat das Gericht zehn Monate auf Bewährung sowie eine Geldauflage von 500 000 Euro verhängt, er muss an zehn Organisationen je 50 000 Euro zahlen. "Mithilfe" lautet das Urteil der Richterin für dessen früheren Geschäftsführer Franz Wild, er muss eine Geldstrafe von 180 Tagessätzen à 25 Euro zahlen. Der frühere Chef der SPD-Stadtratsfraktion, Norbert Hartl, ist freigesprochen worden.

Die Entscheidung für den Quasi-Freispruch für Wolbergs begründet die Richterin damit, dass nur strafbar gewesen sei, dass Wolbergs in den Jahren 2015 und 2016 Spenden angenommen habe. Zu jenem Zeitpunkt war er schon Oberbürgermeister. Nicht aber in den Jahren zuvor, als Wolbergs Dritter Bürgermeister und OB-Kandidat der SPD war. Daher seien nur zwei Fälle "strafbar, aber überschaubar", wie die Vorsitzende Richterin Elke Escher sagt. Hier habe "mitnichten eine korruptive Dauerbeziehung" bestanden, wie es die Staatsanwaltschaft dargestellt habe. Sie hatte für Wolbergs und Tretzel jeweils viereinhalb Jahre Haft gefordert, für Wild drei Jahre sowie für Hartl eine sechsmonatige Bewährungsstrafe. Die Verteidiger hatten für ihre Mandanten jeweils einen Freispruch beantragt.

Bedauern für Wolbergs, eine Rüge für die Staatsanwaltschaft

Der detaillierten Urteilsbegründung stellt die Vorsitzende Richterin eine umfangreiche Vorerklärung voran, in der sie nicht nur die Schwierigkeiten des Gerichts schildert, angesichts des starken öffentlichen Interesses und der Emotionen das Verfahren zu führen. Auch gerät diese Erklärung zu einer Ehrenrettung Wolbergs und zu einer heftigen Rüge für die Arbeit der Staatsanwälte. Diese habe nicht nur Beweise ignoriert, sondern auch, dass das Gericht früh zu erkennen gegeben habe, dass es den ursprünglichen Vorwurf der Bestechung nicht belegt sah. Die Staatsanwaltschaft habe vielmehr stur an ihrer Einschätzung festgehalten. Anders als diese habe das Gericht Wolbergs Argumentation Glauben geschenkt. Dass die Ansichten von Staatsanwaltschaft und Gericht derart "auseinanderdriften", "das ist schon selten". Wolbergs gegenüber äußert Escher so etwas wie Bedauern: Das Verfahren gegen ihn habe ihn quasi ruiniert. Geblieben sei ein "OB, der sich nicht hat kaufen lassen, sondern nur den Anschein der Käuflichkeit erweckt hat".

Wolbergs war im Januar 2017 seines Amts als Oberbürgermeister vorläufig enthoben worden. Damals saß er, wie auch die Mitangeklagten Tretzel und Wild, in Untersuchungshaft, das Gefängnis durften sie erst nach mehr als einem Monat verlassen. Für Wolbergs sei nun zu hoffen, sagt Escher, "dass die Landesanwaltschaft ernsthaft überdenkt, ob eine weitere Suspendierung aufrechterhalten werden kann". Endet die Suspendierung, so kann Wolbergs als Oberbürgermeister ins Regensburger Rathaus zurückkehren. Ungeachtet des Prozesses hat er bereits angekündigt, weiter Politik zu machen: Er hat die SPD verlassen und eine Wählervereinigung namens "Brücke" gegründet, für die er bei der Wahl im kommenden Jahr als OB-Kandidat antreten will.

Seine Reaktion auf das Urteil ist sehr deutlich: "Ich bin dem Gericht dankbar für die klaren Worte. Klarer geht es nicht. Drei Jahre lang bin ich behandelt worden wie ein Stück Scheiße. Natürlich muss die Suspendierung aufgehoben worden. Ich habe drei Jahre verloren. Vielleicht nimmt irgendjemand mal zur Kenntnis, wie Gerichte entscheiden und nicht irgendwelche selbsternannten Juristen."

Mit dem Urteilsspruch endet nach neun Monaten ein aufsehenerregender Prozess. An fast 60 Verhandlungstagen ergründete das Landgericht, ob sich der Unternehmer Tretzel das Wohlwollen des Oberbürgermeisters durch Spenden und Vergünstigungen erkaufte, um etwa beim Wettbewerb um ein Baugrundstück zum Zuge zu kommen. Die Staatsanwaltschaft nannte Tretzel Wolbergs' "persönlichen Mäzen".

Die Vorwürfe in dem Prozess waren komplex: Laut Anklage ließen Tretzel und mehrere seiner Mitarbeiter dem von Wolbergs geleiteten SPD-Ortsverein zwischen 2011 und 2016 fast eine halbe Million Euro zukommen - gestückelt in Einzelbeträge von 9900 Euro, sodass die Spender nach dem Parteiengesetz nicht öffentlich gemacht werden mussten. Die Verteidiger argumentierten, die Spenden seien legal gewesen; auch hätten die Mitarbeiter aus ihrem Privatvermögen gespendet und nicht etwa als Strohmänner ihres Chefs. Auch widersprachen sie dem Vorwurf der Anklage, Tretzel habe Wolbergs und zwei Angehörigen durch den Verkauf vergünstigter Wohnungen und vergünstigte Renovierungsarbeiten Vorteile verschafft. In der Hoffnung auf Entgegenkommen der Stadt soll Tretzel auch mit Millionenbeträgen den Fußballklub SSV Jahn Regensburg unterstützt haben, dessen Aufsichtsratsvorsitz Wolbergs im Juni 2014 übernommen hatte.

Eine der zentralen Fragen des Prozesses war, ob all diese Geldflüsse im Zusammenhang mit dem Verkauf lukrativer Baugrundstücke auf dem Areal der ehemaligen Nibelungenkaserne standen. Hier soll Wolbergs 2014 bereits an seinem zweiten Tag als OB veranlasst haben, die Kriterien für den Grundstücksverkauf zu ändern. Das beschloss der Stadtrat dann auch und billigte schließlich den Verkauf an die Firma Tretzel. Zuvor soll SPD-Fraktionschef Hartl einen Entwurf mit Ausschreibungskriterien an Tretzel geschickt haben mit der Aufforderung, mögliche Änderungswünsche mitzuteilen.

Die Korruptionsfrage beschäftigt Regensburg und die Gerichte weiter

Unabhängig davon, ob gegen das nun vorliegende Urteil Revision eingelegt wird, wird die Frage, ob es in Regensburg ein breites Korruptionsgeflecht gab, die Gerichte weiter beschäftigen. Wegen Spenden anderer Bauunternehmer hat die Staatsanwaltschaft drei weitere Anklagen gegen Wolbergs erhoben, eine davon ist bereits zugelassen. In diesem Fall hat der betroffene Bauunternehmer bereits einen Strafbefehl wegen Bestechung des Oberbürgermeisters akzeptiert. Auch gegen Wolbergs Vorgänger Hans Schaidinger (CSU) und den CSU-Stadtrat und Landtagsabgeordneten Franz Rieger wird im Zusammenhang mit fragwürdigen Parteispenden aus der Immobilienbranche ermittelt. Gegen Wolbergs' Gegenkandidaten bei der OB-Wahl 2014, den CSU-Stadtrat Christian Schlegl, erhoben die Staatsanwälte vor zwei Monaten Anklage - auch in diesem Fall geht es um Spenden von Bauunternehmern.

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