Süddeutsche Zeitung

Urteil gegen Joachim Wolbergs:"Drei Jahre lang bin ich behandelt worden wie ein Stück Scheiße"

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Joachim Wolbergs ist erleichtert und wütend: Der suspendierte Regensburger Oberbürgermeister ist zwar schuldig gesprochen, bleibt aber straffrei. Diese Urteilsverkündung ist außergewöhnlich.

Aus dem Gericht von Kassian Stroh, Regensburg

Parteispenden über fast eine halbe Million Euro, gezahlt von einem Bauunternehmer, "von Wirtschaftsinteressen geprägt", geflossen über ein Strohmann-System, in kleine Einzelbeträge gestückelt, um sie nicht veröffentlichen zu müssen - und trotzdem ein Fast-Freispruch für den Empfänger, Regensburgs derzeit suspendierten Oberbürgermeister Joachim Wolbergs. Das ist im Kern das Urteil des Landgerichts in der Regensburger Korruptionsaffäre. Wobei: "Hier von einer Korruptionsaffäre zu sprechen, scheint zu hoch gegriffen", sagt die Vorsitzende Richterin Elke Escher bei der Verkündung am Mittwoch.

Drei Jahre nach Beginn der Ermittlungen gegen den Rathauschef, neun Monate nach Beginn des Prozesses. Keine Korruptionsaffäre, das bleibt am Ende stehen. Und ein Hauptangeklagter, der erleichtert ist und wütend: "Drei Jahre lang bin ich behandelt worden wie ein Stück Scheiße", giftet Wolbergs in einer Pause mit hochrotem Kopf, "natürlich muss die Suspendierung aufgehoben werden - ich habe drei Jahre verloren." Und dann geht er erst einmal eine rauchen, bevor er seine Tochter lang und innig umarmt. Sein Anwalt Peter Witting sagt: "Wolbergs ist kein Mensch, der nicht wieder aufstehen kann."

Dass der örtliche Bauunternehmer Volker Tretzel in den Jahren 2011 bis 2016 Wolbergs das viele Geld teils über Beschäftigte seiner Firma, also Strohmänner, zukommen ließ, und zwar im Sinne einer "Pflege der politischen Landschaft", wie Escher das nennt - das ist für das Gericht klar. Nur: Bis 2014 sei das nicht strafbar gewesen, da war Wolbergs noch nicht Oberbürgermeister und als Dritter Bürgermeister nicht mit Bauangelegenheiten befasst. Erst für die Jahre 2015 und 2016, als er im Amt war, wertet das Gericht das als Vorteilsannahme Wolbergs' -beziehungsweise Vorteilsgewährung durch Tretzel - da flossen zusammen noch fast 150 000 Euro. Dieses Geld wurde, wie Escher sagt, "auch für die Dienstausübung des Angeklagten Wolbergs" gezahlt. Darüber seien beide "zumindest konkludent übereingekommen". Escher spricht von einer "gelockerten Unrechtsvereinbarung".

Tretzel wird deshalb zu zehn Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung und einer Geldauflage von 500 000 Euro verurteilt, sein früherer Geschäftsführer Franz Wild als Mittäter zu einer Geldstrafe. Auch Wolbergs wird schuldig gesprochen, bleibt aber straffrei. Weil der OB nicht gewusst habe, dass die Annahme des Gelds unrecht gewesen sei - und weil er durch die öffentliche Behandlung seines Falls und sechs Wochen Untersuchungshaft ohnehin schon "nachteilige Verfahrensfolgen" zu tragen habe. "Strafbar, aber überschaubar", so fasst Escher das zusammen. Der mitangeklagte frühere SPD-Fraktionschef im Regensburger Stadtrat, Norbert Hartl, wird freigesprochen: Ihm sei nicht nachzuweisen gewesen, dass er Wolbergs Beihilfe geleistet habe. Hartl soll laut Anklage beim Verkauf lukrativen Baugrunds den Entwurf der Ausschreibungskriterien Tretzel vorab zugeschickt haben, damit sie der Unternehmer in seinem Sinne ändern konnte. Tretzel kam bei dem Geschäft schließlich zum Zuge.

Kurz gefasst: Dass Tretzel dem Oberbürgermeister Wolbergs Geld zukommen ließ, um ihn sich gewogen zu machen, war nicht erlaubt. Dass er dies dem aussichtsreichen OB-Kandidaten Wolbergs zukommen ließ, um sich dessen späteres "Wohlwollen" zu sichern, hingegen schon. Eine "korruptive Dauerbeziehung" verneint Richterin Escher.

"Das Ganze ist einfach nur dramatisch", findet die Richterin

Es ist eine außergewöhnliche Urteilsverkündung, nicht nur weil die Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts dafür gleich zwei Tage angesetzt hat. Sondern auch weil deren Vorsitzende der eigentlichen Begründung eine fast 45-minütige Erklärung voranstellt. Darin schildert Escher, wie schwer es für die Richter gewesen sei, angesichts der komplizierten juristischen Fragen, des öffentlichen Interesses und der Emotionen, insbesondere von Wolbergs' Unterstützern, das Verfahren zu führen. Die Erklärung gerät auch zu einer Ehrenrettung des noch immer suspendierten Oberbürgermeisters. Er habe sich nicht kaufen lassen, seine Äußerungen vor Gericht seien glaubhaft gewesen, er habe nicht taktiert oder sei Antworten schuldig geblieben. Nun sei er ruiniert. "Wie soll er jemals Ruhe bekommen, wie soll er wieder Fuß fassen?", fragt Escher. "Das Ganze ist einfach nur dramatisch." Und für Wolbergs sei zu hoffen, dass die Landesanwaltschaft seine Suspendierung "ernsthaft überdenkt". Sprich: Aus Eschers Sicht spricht nichts dagegen, dass er bald wieder als Chef ins Regensburger Rathaus zurückkehrt.

Das hat Wolbergs ohnehin vor, unabhängig davon, dass auch sein Anwalt ankündigt, nun rasch Kontakt mit der Landesanwaltschaft aufzunehmen: Wolbergs hat die SPD verlassen und eine eigene Wählervereinigung geründet, für die er im Frühjahr als OB-Kandidat antreten will. "Brücke" nennt er sie, mehrere Mitglieder verfolgen das Urteil im Gerichtssaal, schon eine Stunde vor Beginn der Verhandlung warteten drei, vier Dutzend Menschen vor dem Gericht auf Einlass.

Eschers Vorerklärung gerät aber auch zu einem Frontalangriff auf die Arbeit der Staatsanwaltschaft, ganz in Wolbergs' Sinne. "Eine andere Ermittlungsarbeit" hätte sie sich gewünscht, sagt Escher. Schon als diese Anklage wegen Bestechung und Bestechlichkeit erhob, stufte das Gericht den Vorwurf auf die weniger schwere Vorteilsgewährung respektive -annahme herunter. "Das war eine Chance für die Staatsanwaltschaft", sagt Escher, die diese aber ignoriert habe; sie habe vielmehr bis zum Schluss stur an ihrer Bewertung festgehalten. Dass sich die mitunter von der Sichtweise eines Gerichts unterscheide, sei normal; "ein solches Auseinanderdriften aber, das ist schon selten". Die beiden Staatsanwältinnen, die sich schon während der Verhandlung viel hatten anhören müssen, schreiben äußerlich recht ungerührt mit - nur einmal holt eine von ihnen tief Luft, als sie von Escher wieder einmal gerügt werden.

Und dass die Staatsanwaltschaft Wolbergs vor mehr als zwei Jahren sogar für sechs Wochen in Untersuchungshaft nehmen ließ, das habe dessen Leid nur noch verstärkt. "Da denkt jeder: Da muss doch was dran sein", sagt Escher. Ja, sie selbst habe das auch gedacht, als sie die Meldung der Festnahme im Radio gehört habe, sagt die Richterin in einer bemerkenswert persönlichen Passage, "die Unschuldsvermutung hilft da nicht weiter, das ist tragisch". Dieses Bild habe sich dann aber bald relativiert.

Und es wird noch öfters auf den Prüfstand gestellt werden: Die Staatsanwaltschaft, die die Kritik des Gerichts "entschieden" zurückweist, und Tretzels Anwälte kündigen am Mittwoch bereits an, Revision einzulegen, Wolbergs' Anwälte überlegen noch. Und gegen den Oberbürgermeister liegen in Regensburg drei weitere Anklagen vor, eine davon ist bereits zugelassen. In allen drei Fällen geht es um Spenden von Bauunternehmern an ihn. Auch deswegen hält die Landesanwaltschaft weiter an Wolbergs' Suspendierung fest, wie sie am Mittwochmittag mitteilt. Und im Übrigen wolle sie erst einmal abwarten, bis Eschers Urteilsbegründung schriftlich vorliegt.

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