Süddeutsche Zeitung

Wohnungsmangel:Tegernsee kämpft gegen die "Syltisierung"

Den Einheimischen in Tegernsee geht es ähnlich wie den Inselbewohnern: Sie finden keine Wohnungen mehr, weil andere ihre Zweitwohnungen leerstehen lassen. Jetzt greift der Bürgermeister ein.

Kolumne von Matthias Köpf

Noch haben sie am Tegernsee nicht angefangen, ihre Häuser mit Reet zu decken. Noch essen sie statt Matjesbrötchen eher Leberkässemmeln, und noch waten sie nicht durchs Watt, sondern kämpfen sich auf der Alm durch einen Obatzdn. Trotzdem sieht Bürgermeister Johannes Hagn Anlass, der drohenden "Syltisierung" der Stadt Tegernsee entgegenzuwirken, wie er selber sagt. Das Mittel gegen die Syltisierung ist die neue Zweitwohnungssteuer. Denn am Tegernsee, wo die Immobilienpreise auf Hochgebirgsniveau liegen, können sich viele nicht einmal eine kleine Erstwohnung leisten. Und das liegt für Hagn unter anderem daran, "dass sich zu viele Leute eine Zweitwohnung am Tegernsee leisten können".

Diese Leute sollen dafür jetzt saftig Steuer zahlen, nämlich pro Jahr 20 Prozent der Kaltmiete, die sie für die Wohnung monatlich verlangen könnten. Das ist weit mehr als die zwölf Prozent der anderen Gemeinden am See oder die neun Prozent in München. Und es ist mehr als beim alten Stufenmodell, das 2017 wegen der groben Preissprünge als verfassungswidrig verworfen wurde. Bei den Eigentümern der Zweitwohnungen macht sich die Stadt damit nicht beliebt, manche sprechen schon von Enteignung und Vertreibung. Hagn dagegen fragt: Aber wer müsse schon seine teure Zweitwohnung am Tegernsee verkaufen, weil er dafür im Jahr 500 Euro mehr Steuern zahlen muss, obwohl er es sich doch leisten könne, diese Wohnung die meiste Zeit leer stehen zu lassen?

Ihm geht es vor allem um die vielen Ein- bis Dreizimmerzweitwohnungen, die man dringend brauche für nicht ganz so gut bezahlte Kräfte in der Hotellerie oder in der Pflege. Die Superreichen und die Oligarchen mit ihren Drittvillen oder Achtanwesen, die es am See auch gibt, sind Hagn erklärtermaßen egal, obwohl in manchen dieser Anwesen locker die komplette Belegschaft eines mittelgroßen Pflegeheims unterkäme. Erklärtes Ziel sei es jedenfalls, dass Eigentümer ihre Zweitwohnung anderen als Erstwohnung vermieten, sagt Hagn - wegen der Freiwilligen für die Feuerwehr, wegen der Syltisierung und weil man sonst für die diversen Waldfeste am Tegernsee irgendwann Trachtler aus Reichersbeuern einfliegen müsse.

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Quelle:
SZ vom 07.06.2018/huy
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