Wohnungsmangel in Bayern:Leben in der Kein-Zimmer-Wohnung

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In Augsburg war es um 1930 eng, sozialer Wohnungsbau begann. Blick in die Peter-Kötzer-Gasse. (Foto: Scherl/SZ Photo)

Klingt nach München im Jahr 2018? Tatsächlich war bezahlbarer Wohnraum in Bayern schon in den 1920er-Jahren viel zu knapp. Sogar in Ein-Zimmer-Wohnungen gab es Untermieter.

Von Maximilian Gerl, Fürth

Säuberlich haben die Statistiker alles festgehalten. Wie viele Personen im Haushalt leben, wie viele Zimmer diesem Haushalt zur Verfügung stehen, ob die Vermieter weiblich oder männlich und wie alt sie sind. Das Ergebnis lässt sich in viele kleine Grafiken und einen einfachen Satz packen: In Bayern herrscht eklatante Wohnungsnot. "In den Großstädten müssen rund die Hälfte der Einzelpersonen ihre Wohnungen mit Untermietern teilen", schreibt Andreas Müller, "Regierungsrat 1. Klasse": "Bemerkenswert ist, daß sogar 4,5 Prozent der Einzelpersonen mit einräumiger Wohnung noch Untermieter aufgenommen haben." Gegenmaßnahmen schlägt Müller nicht vor. Aber auch so wird klar: Es braucht rasche und umfassende Hilfe.

Was beinahe wie ein aktuelles Problem im Jahr 2018 klingt, beschreibt das Jahr 1927. Schon damals leiden die Menschen in Bayern unter allgemeinem Wohnungsmangel. In den 1920ern brummt die Wirtschaft, die Kultur blüht, Menschen ziehen in die Städte; gleichzeitig entsteht dort zu wenig bezahlbarer Wohnraum. In einem Gewerkschaftsbericht aus der Zeit findet sich gar der Vorwurf, ein Immobilienhai habe dem Münchner Oberbürgermeister vorgeschlagen, lieber in Luxusappartements für reiche Industrielle zu investieren statt in Sozialwohnungen.

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Regierungsrat Müllers Zeilen werden damals in der "Zeitschrift des Bayerischen Statistischen Landesamts" veröffentlicht; das heutige Landesamt hat sie wiederum für sein Monatsmagazin ausgegraben. Müllers Berichten liegt die Reichwohnungszählung vom 16. Mai 1927 zugrunde. Sie war der erste Versuch, das schwer fassbare Problem in konkrete Formen zu pressen.

In Bayern nutzte man die Erhebung, um neben allgemeinen Wohnraumdaten speziell die Wohnverhältnisse von Alleinstehenden und kinderreichen Familien zu ermitteln. Müller schreibt, die Zahlen seien als Planungsinstrument gedacht: nämlich "inwieweit im Laufe der kommenden Jahre mit einem Freiwerden" von Wohnungen gerechnet werden könne, etwa durch Umzüge, Räumungen, Todesfälle.

Wie viele Wohnungen zu diesem Zeitpunkt in Bayern genau fehlen, lässt sich der Statistik nicht entnehmen. Es müssen aber Zehntausende gewesen sein. 1924 geht ein Ministerialreferent von insgesamt 90 000 fehlenden Wohnungen aus. Ähnlich wie heute sind diese ungleich übers Land verteilt, wie wenig später Müllers Auswertung zeigen wird: Je größer die Stadt, desto größer ist tendenziell auch das Problem. Immerhin entsteht allmählich - auch dank den Statistikern - in den Rathäusern und Ministerien ein Bewusstsein für das Problem. Vor allem die Kommunen begreifen im Laufe der 1920er-Jahre, dass sie mehr tun müssen. In Augsburg zum Beispiel wird die Wohnbaugruppe gegründet, eine städtische Gesellschaft, die bis heute in der Fuggerstadt aktiv ist. Bis Ende des Jahrzehnts zieht sie Wohnareale wie den Eschen-, Birken- oder Ulmenhof hoch.

Auch Baugenossenschaften erleben einen Boom. Architekten beschäftigen sich derweil mit der Frage, wie sie auf kleinem Raum möglichst viel Platz generieren können: Wenn etwa Wohnraum und Küche nebeneinander liegen, so die Überlegung, reicht künftig ein Ofen für beide Zimmer. Kredite für den Wohnungsbau bleiben indes knapp.

Tatsächlich scheinen die Städte am Ende der 1920er-Jahre drauf und dran zu sein, das Problem zu lösen. Doch 1929 bricht erst der US-amerikanische Aktienmarkt zusammen, dann die Weltwirtschaft. Kredite werden noch knapper. Einige Baugenossenschaften geraten in Zahlungsnot. Wohnungen werden immer noch gebraucht, nur: Sie zu bauen, lohnt sich kaum. Im Jahr 1930 empfiehlt ein Ministerialrat den Wohnungsunternehmen, beim Bauen eine Pause einzulegen.

Müllers Zeilen legen nahe, dass damals besonders Familien unter der Wohnungsnot leiden. Demnach lebt rund ein Drittel der Familien mit mindestens vier Kindern in Kleinwohnungen, die nur aus wenigen Zimmern bestehen. Schockiert merkt Müller an, dass "selbst in Wohnungen mit 1 Wohnraum ... noch kinderreiche Familien anzutreffen" seien. Über die Lebensverhältnisse, die in solchen Wohnungen geherrscht haben müssen, schweigt er gnädig.

© SZ vom 09.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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