Wohnungslosigkeit:Staatsregierung will Obdachlosen mit Aktionsplan und Stiftung helfen

Obdachlos

Mit amtlichen Zahlen würden die Probleme von Wohnungslosen wie diesem in München sichtbar, finden Experten und die Landtagsopposition.

(Foto: Tobias Hase/dpa)
  • Zwar sind für die Obdachlosenhilfe in Bayern die Kommunen zuständig sind, doch der Freistaat will sich künftig mehr engagieren.
  • Die Staatsregierung will einen Aktionsplan "Hilfe für Obdachlosigkeit" auf den Weg bringen und plant eine Stiftung "Obdachlosenhilfe Bayern".
  • Dafür sind im Dopelhaushalt fast zehn Millionen Euro vorgesehen.

Von Dietrich Mittler

Auch wenn im Sozialministerium nach wie vor die Devise gilt, dass für die Obdachlosenhilfe die Kommunen zuständig sind, will der Freistaat sich in diesem Bereich künftig stärker engagieren. Bereits zu Beginn ihrer Amtszeit hatte Sozialministerin Kerstin Schreyer (CSU) eine solche Initiative angekündigt. Nun will die Staatsregierung nicht nur einen Aktionsplan "Hilfe für Obdachlosigkeit" auf den Weg bringen, sie plant auch eine Stiftung "Obdachlosenhilfe Bayern". Im neuen Doppelhaushalt sollen dafür ansehnliche Beträge eingestellt werden - für die Stiftung Obdachlosenhilfe 2019 und 2020 jeweils 2,5 Millionen Euro und für den Aktionsplan je 2,3 Millionen Euro. Der Landtagsopposition geht das aber nicht weit genug. Sie fordert die Staatsregierung auf, "eine amtliche Statistik zur Wohnungs- und Obdachlosigkeit in Bayern einzuführen".

Bis 2014 tauchten solche Erhebungen nicht einmal im Sozialbericht der Staatsregierung auf, dann nur eine lückenhafte Piloterhebung zur Wohnungslosigkeit, gefolgt von einer zweiten Erhebung zum Stichtag 30. Juni 2017. Doch diese wurde nicht veröffentlicht. Aus Sicht der Opposition muss sich das sofort ändern. Wie die SPD fordern auch die Grünen, die Staatsregierung müsse "umgehend die aktuellsten Zahlen vorlegen sowie die Voraussetzungen für eine jährliche amtliche Wohnungslosenstatistik im Freistaat schaffen".

Auch die Sozialpolitiker der CSU wollen diese Daten endlich einsehen können. Regelmäßige Erhebungen jedoch lehnen sie ab. Mit Blick auf die bereits erhobenen Daten sei der Freistaat ohnehin "Vorreiter in Deutschland". Und überhaupt: Genaue statistische Erhebungen in dieser Sache seien "schwierig". Bissiger fällt die Reaktion der Freien Wähler aus, die nun mit auf der Regierungsbank sitzen: "Statt Gelder für Statistiken und Erhebungen zu verbrennen, wie es die Opposition fordert, leisten wir aktive finanzielle Hilfe an der Wurzel des Übels und unterstützen damit die Kommunen bei der Erfüllung ihrer wichtigen Aufgabe zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit", sagt Susann Enders, sozialpolitische Sprecherin der Freien Wähler im Landtag.

Das deckt sich mit der Sicht der Staatsregierung, die darauf beharrt, es sei "keine Erhebung dieses speziellen Personenkreises vorgesehen". Die FDP-Sozialpolitikerin Julika Sandt gibt sich damit nicht zufrieden. "Wenn man Menschen aus der Obdachlosigkeit herausbringen will, dann braucht es dazu unbedingt Erhebungen", sagt sie. Auf eine schriftliche Anfrage hin erfuhren Sandt und ihr Fraktionskollege Matthias Fischbach nun, dass der Staatsregierung - so deren offizielle Antwort - zur Anzahl der obdachlosen Personen "im Sinne von auf der Straße lebenden und in Notunterkünften untergebrachten Menschen" überhaupt "keine Angaben für Bayern" vorliegen. Aus Sicht von Sandt ist das unhaltbar. So lasse sich Obdachlosigkeit nicht effizient bekämpfen. Die Grünen glauben, mindestens eine der Ursachen von Wohnungs- und Obdachlosigkeit zu kennen: "Grund für den Anstieg der Wohnungslosigkeit sind die steigenden Mietpreise sowie der Mangel an bezahlbarem Wohnraum - darunter vor allem die rückläufige Zahl an Sozialwohnungen."

Andreas Däumler (Name geändert) ist einer jener Obdachlosen, die in keiner staatlichen Statistik auftauchen. Tagsüber hält er sich oft in der Wärmestube der Christophorus-Gesellschaft in Würzburg auf, um der Tristesse des Alltags zu entkommen. Im Dezember letzten Jahres ist er im unterfränkischen Rimpar in einer Obdachlosenunterkunft untergekommen. Er habe keine bezahlbare Wohnung gefunden, sagt er. Über Jahre hinweg hatte er seine Alkoholsucht im Griff, keinen Tropfen Alkohol mehr getrunken. In der Notunterkunft fing er - animiert von Mitbewohnern - wieder an, Bier zu trinken. Er weiß selbst: Das ist ein hoher Preis, um in dieser Unterkunft Ansprache zu haben. Immerhin: Durch verwandtschaftliche Hilfe kann er bald in Nordrhein-Westfalen neu durchstarten. Die dort in Aussicht stehende Wohnung koste ihn so viel wie hier ein Zimmer.

Härter noch als viele Männer trifft die Obdachlosigkeit die Frauen. "Aus Scham versuchen sie lange, ihr Problem zu verdecken", sagt Bärbel Marbach-Kliem vom Sozialdienst katholischer Frauen in Augsburg. Den meisten Frauen, die in kommunalen Notunterkünften unterkommen, sehe man die Obdachlosigkeit äußerlich nicht an. In seltenen Fällen komme es gar zur sogenannten Wohnprostitution, bei der sich Frauen auf Beziehungen einließen, um zumindest kurzzeitig ein Dach über den Kopf zu haben. "Wenn es amtliche Zahlen zur Wohnungslosigkeit gäbe, würden die Probleme wohnungs- und obdachloser Frauen endlich sichtbar", sagt Marbach-Kliem.

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