Der "Bayerische Aktionsplan Wolf", dessen Entwurf die Staatsregierung dieser Tage Verbänden und Organisationen vorgelegt hat, setzt sich über geltendes Recht hinweg. Zu diesem Ergebnis kommt Professor Rainer Wolf, der an der TU Bergakademie Freiberg Öffentliches Recht gelehrt hat und Spezialist für Umwelt- und Naturschutzrecht ist. "Sollte Bayern die von dem Aktionsplan aufgezeigte Linie umsetzen, verstößt es gegen das Bundesnaturschutzgesetz ebenso wie gegen europäisches Gemeinschaftsrecht", sagt er. Nach Wolfs Überzeugung können die Naturschutzverbände mit guten Aussichten auf Erfolg klagen, sollten bayerische Behörden auf Basis des 61 Seiten starken Papiers den Abschuss eines Wolfs oder sogar eines Rudels anordnen. Auch die EU-Kommission könnte initiativ werden und ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik einleiten.
Mit Professor Wolf hat sich erstmals ein hochrangiger Jurist in den Streit um die Rückkehr der Wölfe nach Bayern eingeschaltet. Bislang haben sich ausschließlich die Naturschutzverbände, Bauern, Lokalpolitiker und die Staatsregierung heftige Auseinandersetzungen wegen des streng geschützten Raubtiers geliefert. Und zwar obwohl bisher erst drei Wolfspaare im Freistaat leben - jeweils eines im Bayerischen Wald, auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr und im Veldensteiner Forst nahe Pegnitz.
Ansonsten gibt es in Bayern nur Meldungen über durchwandernde Wölfe. Auch die Zahl der Risse - also der Schafe und Kälber, die von Wölfen getötet worden sind - ist überschaubar. Von 2010 bis Ende Juli 2018 waren es bayernweit 39 Schafe. Dabei sind die drei Kälber nicht mitgezählt, die sich Ende Juli, Anfang August ein offenbar durchwandernder Wolf nahe dem Oberallgäuer Wertach nächtens von ihren Weiden holte.
Die meisten Landwirte und viele Lokalpolitiker sind seit jeher vehement gegen die Rückkehr des Wolfs in den Freistaat. Seit Bekanntwerden der drei Risse im Oberallgäu drängen etwa die Bauern dort und der Landrat Anton Klotz (CSU) auf den Abschuss des Raubtiers, auch wenn keiner weiß, wo es derzeit ist. Klotz hat deshalb sogar einen geharnischten Brief an Umweltminister Marcel Huber (CSU) geschrieben. Wenn es nach den Bauern geht, soll die Staatsregierung alle Alpen und Almen zur "wolfsfreie Zone" erklären, in denen die Raubtiere getötet werden dürfen, sowie sie sich Schafen und Rindern nähern - ob es nun ein einzelner Wolf ist oder ein Rudel.
Die Naturschützer verlangen nicht weniger massiv, dass die Staatsregierung den strengen Schutz des Wolfes hochhält. Nach ihrer Vorstellung sollen die Bauern verpflichtet werden, auch auf Alpen und Almen Schafe und Rinder mit Zäunen und speziellen Hunden zu schützen. Der Freistaat soll das mit einer hochdotierten Förderung unterstützen. Der Abschuss eines Wolfs ist nach Überzeugung der Naturschützer nur erlaubt, wenn das Raubtier eine Gefahr für die Bevölkerung darstellt - also wenn sich zum Beispiel eines immer wieder tagsüber Siedlungen nähert. Ein solcher Abschuss ist durch das Bundesnaturschutzgesetz und EU-Recht gedeckt, den Aktionsplan, wie ihn die Staatsregierung jetzt erlassen will, braucht es dazu nicht.
Die Staatsregierung mit Ministerpräsident Markus Söder an der Spitze fühlt sich den Bauern verpflichtet. "Die Alm ist bislang auch ohne den Wolf ausgekommen", sagt Söder immer wieder, und: "Wir sind für Artenschutz. Aber der Schutz der Menschen hat Vorrang." Der Aktionsplan soll nach Söders Vorstellung ein Beitrag zur "Versöhnung im ländlichen Raum sein". Dem Wolf gegenüber gibt sich die Staatsregierung wenig versöhnlich. Die Wolfspopulation in Bayern sei auf "das artenschutzrechtlich Erforderliche zu begrenzen", heißt es zum Beispiel in dem Plan und in Bezug auf Almbauern: "Für Weidetierhalter bedeutet Wolfsanwesenheit immer - unabhängig von auftretenden Schäden - eine enorme emotionale Belastung, da ständig mit Wolfsrissen gerechnet werden muss."
Auch die "wolfsfreien Zonen" tauchen in dem Aktionsplan auf, freilich nicht unter diesem Begriff. Sondern in der Formulierung "nicht schützbare Nutztiere". Sie meint Schafe und Rinder auf den Almen und Alpen, auf denen aus Sicht der Bauern weder ein Schutzzaun errichtet werden kann, noch Schutzhunde einsetzbar sind. Welche Almen und Alpen das sind, soll ein Kommission aus Mitarbeitern der Umwelt- und der Agrarverwaltung ermitteln. Auf ihnen sollen einzelne Wölfe und sogar Rudel abgeschossen werden, wenn sie den Nutztieren zu nahe kommen. Naturschützer sprechen von Wolfsmanagement "mit dem Gewehr in der Hand".
Professor Wolf ist ein zu nüchterner Jurist für so markige Worte. Aber auch sein Urteil ist eindeutig. "Der Abschuss eines Wolfs zum Schutz von Nutztieren ist nur dann zulässig, wenn drei Kriterien erfüllt sind", sagt er. "Zum einen muss ein erheblicher Schaden abgewendet werden, etwa der Betrieb des Nutztierhalters vor einer Existenzgefahr bewahrt werden." Das müsse für jeden einzelnen Fall geprüft werden und dürfe nicht wie im Aktionsplan pauschal behauptet werden.
Außerdem müsse konkret nachgewiesen werden, dass Zäune und Schutzhunde als Prävention nicht ausreichen. Auch hier sei eine Pauschalregelung für Regionen oder gar den bayerischen Alpenraum ein Gesetzesverstoß.
Drittens müsse "sich die Wolfspopulation auch nach einem solchen Präventionsabschuss in einem günstigen Erhaltungszustand befinden". Das heißt: Auch nach dem Abschuss müssen ausreichend viele Wölfe in der jeweiligen Region leben, so dass der Bestand der streng geschützten Art weiter garantiert ist.
Mit den bisher drei Wolfspaaren in Bayern, die alle fern der bayerischen Berge leben, "kann von einem günstigen Erhaltungszustand aber nicht die Rede sein", sagt Wolf. Der dürfte nach seiner Schätzung frühestens erreicht sein, wenn einmal 100 bis 150 Wölfe im bayerische Alpenraum leben. Auf eine genaue Zahl will sich der Professor nicht festlegen, "denn dafür bin ich nicht der Fachmann".