Wölfe in Bayern:Mit wilden Hunden gegen Wölfe

Wölfe in Bayern: Im Ernstfall würden es die Schutzhunde auch mit Raubtieren aufnehmen.

Im Ernstfall würden es die Schutzhunde auch mit Raubtieren aufnehmen.

(Foto: Nadine Schachinger)
  • Etwa 6500 Schafhalter gibt es in Bayern. Jetzt, wo allmählich wieder Wölfe durch das Land ziehen, fürchten sie um ihre Tiere.
  • Abschüsse zu erleichtern oder wolfsfreie Zonen einzurichten, ist aber fast aussichtslos. Der Wolf ist in Bayern strengstens geschützt.
  • Eine mögliche Lösung sind Herdenschutzhunde. Diese treten möglichst bedrohlich auf, sind andererseits aber auch offiziell Teil der Schafherde.

Von Christian Sebald

Es ist einer der wenigen milden Apriltage im Berchtesgadener Land. Oben auf dem Watzmann leuchtet der Schnee in den blauen Himmel. Unten in Ramsau am Bauernhof von Renate Aschauer und ihrer Familie hat die Sonne schon so eine Kraft, dass die Schafe aus dem Stall nach draußen an die frische Luft drängen. Große, kleine, junge, alte - alle sind blökend in dem mit hohen Gittern umzäunten Auslauf neben dem Bauernhof der Aschauers unterwegs.

Mittendrin tummeln sich drei Hunde. Mit ihrem hellen, wolligen Fell fallen sie gar nicht auf in dem Gedrängel. Aber nur, bis sich zwei Wanderer nähern. Die drei rumpeln sofort nach vorne zum Gitterzaun und bellen die Eindringlinge an. "Das sind meine Herdenschutzhunde, denen kommt nix aus, überhaupt nix", sagt Renate Aschauer. "Jeder Fremde wird so lange angebellt, bis er weitergeht."

Ihre Hunde sehen eigentlich recht knuddelig aus. Auch wenn sie mit ihren 70 bis 80 Zentimetern Schulterhöhe und 50 bis 60 Kilo Gewicht sehr massig sind. Dafür erinnern das dichte Fell, die runden Köpfe und die dunklen Augen ein wenig an Teddybären. Natürlich hat Renate Aschauer einem jeden einen Namen gegeben. Die aber sollen bloß nicht genannt werden, damit auch wirklich keiner auf die Idee kommen könnte, sie zu rufen, wenn er mal am Schafsgatter in Ramsau vorbeigeht. Denn mit den Dreien ist nicht zu spaßen.

Ihre Aufgabe ist es, die 40 Mutterschafe und 61 Lämmer von Renate Aschauer vor Angreifern und Eindringlingen jeder Art zu schützen. Ob das Menschen oder andere Hunde sind, die trotz eingezäunter Weide in die Herde hineinlaufen wollen. Oder Füchse, die auf neugeborene Lämmer aus sind. Aber auch einem Luchs, einem Bären oder Wölfen würden sich Aschauers Hunde entgegenstellen - so entschieden, dass die Raubtiere es kaum auf einen Kampf ankommen lassen würden. "Seit ich die drei habe, sind meine Schafe sicher", sagt Renate Aschauer, "gleich, was da alles an Gefahren auf uns Schafhalter zukommen mag."

Dass neue Gefahren auf die 6500 Schafhalter in Bayern zukommen, darin sind sich alle Experten einig. "Ich gehe fest davon aus, dass die beiden Wolfspaare, die seit Kurzem im Bayerischen Wald und auf dem Oberpfälzer Truppenübungsplatz Grafenwöhr leben, dieser Tage zum ersten Mal Junge bekommen haben", sagt der Forst- und Raubtierfachmann Ulrich Wotschikowsky. "Damit gibt es zum ersten Mal seit 150 Jahren wieder Wolfsrudel in Bayern." Die Rückkehr der Wölfe, die Wotschikowsky und andere Experten seit Langem prophezeit haben, ist Wirklichkeit geworden.

Das heißt aber auch: Für viele Bauern ist das Horrorszenario eingetreten. Seit ein paar Jahren sind immer mal wieder Jungwölfe auf Reviersuche durch Bayern gezogen und haben Schafe gerissen. Zuletzt am Starnberger See. Da tötete Anfang April einer vier Lämmer. Von ihm fehlt jede Spur. Wenn sich nun wieder ganze Wolfsrudel ansiedeln, befürchten die Schafhalter und Almbauern, dass die Zahl der Wolfsangriffe auf Nutztiere dramatisch ansteigen wird. Deshalb fordern sie lautstark, den strengen Schutz des Wolfes zu lockern, Abschüsse zu erleichtern, "wolfsfreie Zonen" einzuführen und anderes mehr.

Wölfe in Bayern: Drei große Hunde bewachen die Schafe von Renate Aschauer.

Drei große Hunde bewachen die Schafe von Renate Aschauer.

(Foto: Nadine Schachinger)

Auch wenn sie wissen, "dass die Chancen praktisch null sind, diese Forderungen durchzusetzen, so streng wie der Wolf geschützt ist", wie René Gomringer vom bayerischen Schafhalter-Verband freimütig einräumt. Renate Aschauer hat sich an der bisweilen sehr hitzigen Debatte nicht beteiligt. Sie wollte nur eine Lösung für ihre Schafe. Die 54-Jährige ist so resolut wie pragmatisch. Und "eine ausgesprochene Hundeliebhaberin", wie sie sagt.

Als Aschauer vor sechs Jahren erstmals davon hörte, dass Herdenschutzhunde der beste Schutz ihrer Schafe gegen alle möglichen Raubtiere und andere Störenfriede seien, da entschloss sie sich, welche anzuschaffen: 2012 kamen die ersten zwei auf den Hof, ein inzwischen sieben Jahre altes Weibchen und ein etwas jüngerer Rüde. Im Oktober 2016 folgte ein weiteres einjähriges Männchen.

Schutzhunde - der "Premiumschutz vor Wölfen"

Herdenschutzhunde haben nichts mit Hüte- oder Treibhunden zu tun, mit denen ein Hirte eine Herde zusammenhält oder beim Umsetzen von einer Weide auf die andere lenkt. Herdenschutzhunde haben nur eine einzige Aufgabe: Sie müssen jeden Eindringling in die Herde durch lautes Bellen melden und potenzielle Angreifer durch möglichst bedrohliches Auftreten verscheuchen. Das heißt nicht, dass ein Herdenschutzhund einen Eindringling angreifen soll. Im Gegenteil. Gut ausgebildete Herdenschutzhunde vermeiden jeden Kampf, wenn es irgendwie geht. Gleichwohl sollten Spaziergänger, Wanderer und Radfahrer in jedem Fall einen möglichst großen Abstand zu den Hunden und ihren Herden halten.

Züchter und Ausbilder von Herdenschutzhunden legen sehr viel Wert auf drei Eigenschaften: Zum einen müssen sich die Hunde als Teil der Herde begreifen, sie leben tagein, tagaus inmitten der Schafe, als wären sie selber welche. Zum anderen müssen sie unablässig wachsam sein, egal, ob sie mit ihrer Herde herumziehen, dösen oder sich anderweitig beschäftigen. Und außerdem müssen sie in jeder verdächtigen Situation sofort Alarm schlagen und Eindringlinge und Störer rigoros vertreiben. Wie andere Hunde müssen natürlich auch Herdenschutzhunde ihren Haltern gehorchen. Allerdings sind sie Menschen gegenüber sehr viel selbständiger und unabhängiger als gewöhnliche Hunde.

"Natürlich war es aufwendig und hat viel Zeit gekostet, meine drei in unsere Schafherde zu integrieren, sodass sie ganz selbstverständlich mit den Tieren mitleben", sagt Renate Aschauer. Und sie waren und sind nicht billig. Schutzhundewelpen kosten um die 1000 Euro. Für ein ausgebildetes Gespann - in einer Herde werden wenigstens zwei Schutzhunde eingesetzt - sind 5000 bis 6000 Euro fällig. Für Futter, Tierarzt, Impfungen und anderes fallen weitere 1000 Euro pro Hund und Jahr an. "Aber es lohnt sich", sagt Renate Aschauer. "Man muss sich nur mal ansehen, wie zutraulich und rücksichtsvoll meine Hunde und Schafe miteinander umgehen."

Renate Aschauer und ihre drei Herdenschutzhunde sind Pioniere. In ganz Bayern gibt es nur ein gutes Dutzend Schafhalter, die ebenfalls welche einsetzen. Das hat sehr viel damit zu tun, dass Herdenschutzhunde hierzulande mit der Ausrottung von Wolf, Bär und Luchs im 19. Jahrhundert überflüssig wurden. Das Wissen um Rassen, Ausbildung und Haltung ging schnell verloren.

In Italien, Frankreich und Spanien, aber auch auf dem Balkan oder in der Türkei, wo nach wie vor Wölfe, Luchse und zum Teil auch Bären leben, ist die Arbeit mit Herdenschutzhunden nach wie vor üblich. Dort gibt es auch noch viele Rassen, die sich sehr gut dafür eignen. Renate Aschauers Hunde sind denn auch Abkömmlinge berühmter Schutzhund-Rassen: Zwei sind Abruzzese-Maremmanos, die Rasse ist in der südwestlichen Toskana beheimatet.

Der einjährige Rüde ist ein Patou des Pyrénées, die Rasse stammt aus den französischen Pyrenäen. Andere Schafhalter in Deutschland setzen auf Spanische Mastiffs. Die Rasse hat allerdings den Nachteil, dass die Hunde in Bayern als Kampfhunde eingestuft ist. "Wenn man in Bayern wieder verstärkt mit Herdenschutzhunden arbeiten will, braucht es als allererstes ein Beratungsnetzwerk und passgenaue Konzepte", sagt denn auch Jennifer Gambietz. Auch ein Förderprogramm hält die 36-jährige Herdenschutzhund-Expertin, die eine der wenigen ihrer Art in Süddeutschland ist, für wichtig.

Wölfe in Bayern: In der Einsamkeit der Berchtesgadener Alpen verscheuchen die Hunde meist nur Wanderer.

In der Einsamkeit der Berchtesgadener Alpen verscheuchen die Hunde meist nur Wanderer.

(Foto: Nadine Schachinger)

Noch ist es längst nicht so weit. Die meisten Schafhalter und Bauern sind eher skeptisch. "Natürlich sind gut ausgebildete Schutzhunde der Premiumschutz vor Wölfen", sagt René Gomringer vom Schafhalterverband. "Aber für unsere vielen kleinen und mittelgroßen Betriebe sind sie zu aufwendig und zu teuer."

Außerdem gibt es allerlei bürokratische Hürden. Zum Beispiel die Vorschrift, dass Hunde, die im Freien gehalten werden, eine Hundehütte und einen trockenen Liegeplatz haben müssen. "Für Herdenschutzhunde passt das überhaupt nicht", sagt auch Renate Aschauer. "Meine drei würden weder eine Hütte noch einen festen Liegeplatz annehmen, die leben ja immer mitten in den Schafen, im Winter im Stall, die übrige Zeit auf den Weiden, die machen sich überhaupt nichts aus Wind und Wetter." Selbst wenn es jetzt in den letzten Apriltagen noch einmal bis zum Hof der Aschauers hinunterschneien sollte. "Dann", so sagt Renate Aschauer, "dann legen sie sich halt in den Schnee."

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