Wittislingen:Das Geheimnis der Fürstin lichtet sich

Scheibenfibel

Die Bügelfibel gehört nicht nur zu den größten Exemplaren der Grabobjekte, sondern auch zu denen mit den besten Verzierungen.

(Foto: Stefanie Friedrich/Archäologische Staatssammlung München)

Mit modernen Methoden lassen sich aus alten Funden verblüffende Informationen herauslesen - so auch aus den kostbaren Grabbeigaben aus Wittislingen. Möglicherweise muss die Geschichte des frühen Mittelalters sogar in einigen Details korrigiert werden.

Von Hans Kratzer

Als zwei Arbeiter an einem Novembertag anno 1881 in einem Steinbruch nahe der schwäbischen Ortschaft Wittislingen (Kreis Dillingen) auf Schmuckstücke stießen, ahnten sie wohl nicht, dass sie gerade einen Jahrhundertfund entdeckt hatten. Sie riefen ihren Chef herbei, und bald war von einer Sensation die Rede, die ganz Europa in Erregung versetzte. Privatleute und Museen schickten sich sofort an, dem Steinbruchbesitzer hohe Summen zu bieten, um ihm den Schatz abzuluchsen. Heute mag man es kaum glauben, dass die Stücke trotz dieser Begehrlichkeiten unter staatliche Obhut gelangten. Für die Summe von 3300 Mark ging der Fund an das Bayerische Nationalmuseum, das zum Glück einen Sachverständigen geschickt hatte, der wiederum den Wert der Preziosen sofort nach München meldete.

Die späteren Untersuchungen ergaben, dass es sich um die kostbare Grabausstattung einer Frau aus dem 7. Jahrhundert nach Christus handelte, die einem hochadeligen alemannischen Geschlecht angehörte. Das am Südrand der Schwäbischen Alb gelegene Wittislingen wurde durch diese Entdeckung international bekannt. Auch heute noch, 140 Jahre später, zählen diese Objekte zu den kostbarsten Grabinventaren, die bis dato aus dem frühen Mittelalter herübergerettet wurden.

Scheibenfibel

Die Scheibenfibel von Wittislingen wird in der Protonenbeschleunigeranlage genau untersucht.

(Foto: Stefanie Friedrich/Archäologische Staatssammlung München)

Bis heute gibt es kein auch nur annähernd vergleichbares Stück zu jener Bügelfibel, die als auffälligstes Fundstück von Wittislingen gilt. Mit einer Länge von fast 16 Zentimetern und einem Gewicht von 254 Gramm gehört sie nicht nur zu den größten Exemplaren der Grabobjekte, sondern auch zu denen mit den besten Verzierungen. Bügelfibeln aus jener Zeit wiegen normalerweise nur ein Zehntel davon, was die große Bedeutung der Toten unterstreicht. Der Fund wird in der Prähistorischen Staatssammlung in München aufbewahrt.

Dass der Staat damals goldrichtig investiert hat, wird in diesen Tagen immer deutlicher. Mithilfe von neuen wissenschaftlichen Analysemethoden ist man nun in der Lage, solche Relikte in jeder Hinsicht neu zu bewerten und damit auch das Dunkelfeld des 6. und 7. Jahrhunderts besser als bisher auszuleuchten. Im Zuge der Vorbereitung der neuen Dauerausstellung der Archäologischen Staatssammlung wurden die Preziosen aus Wittislingen mit moderner Methodik untersucht. Die Ergebnisse, die am vergangenen Wochenende bei einer Online-Fachtagung präsentiert wurden, ließen aufhorchen.

Forscher aus ganz unterschiedlichen Disziplinen, etwa aus der Klimageografie und der Paläogenetik, legten Erkenntnisse dar, nach denen die Geschichte des 7. Jahrhunderts in manchen Details neu formuliert werden muss. Sogar alten Ortsnamen wie Wittislingen kann man mittlerweile Informationen über frühe Besiedlung und einstige Machtverhältnisse entlocken. Ganz zu schweigen von Rastermikroskopen und Röntgengeräten, die aus alten Materialien verblüffende Erkenntnisse herausfiltern können.

Die edlen Rohstoffe kamen von weit her

Dies alles einbeziehend, berichtete Brigitte Haas-Gebhard, Abteilungsleiterin Mittelalter und Neuzeit in der Archäologischen Staatssammlung, in ihrem Vortrag, manche Stücke (Scheibenfibel, Gürtelgehänge) seien in direkter Umgebung von Wittislingen gefertigt worden, während bei den Rohstoffen das Gegenteil der Fall sei. Der Granat auf der Bügelfibel wurde aus Indien, Portugal und Böhmen importiert. Der Gesamtfund umfasst 86 Gramm Gold, 392 Gramm Silber und eineinhalb Kilo Buntmetall, woraus die ungewöhnlichen Stücke gefertigt wurden. Laut Brigitte Haas-Gebhard steht nun fest, dass die in dem Grab bestattete Frau aus einem alemannischen Fürstengeschlecht gestammt haben muss, das Beziehungen zum fränkischen Königshaus der Merowinger gepflegt hat. Der Vergleich mit Tausenden weiteren Funden ergab, dass als vergleichbare Fundkomplexe nur die merowingischen Königinnengräber von Köln und Saint-Denis in Frage kommen.

Scheibenfibel

Die Bügelfibel zählt zu den kostbarsten Grabinventaren, die bisher aus dem frühen Mittelalter herübergerettet wurden.

(Foto: Stefanie Friedrich/Archäologische Staatssammlung München)

Auf der Rückseite der Bügelfibel fällt eine lateinische Inschrift auf, bei der es sich offenbar um die Kopie einer Grabinschrift für eine Frau namens Uffila handelt. Grabinschriften waren im 6. und 7. Jahrhundert eigentlich nur in Italien, Gallien und im Rheinland üblich, so dass die ansonsten unbekannte Uffila wohl in einer dieser Regionen anzusiedeln ist. Das Schmuckstück belegt damit eindrücklich die weiten Kontakte und Verbindungen der Führungsschichten im frühen Mittelalter, denn die Forscher gehen davon aus, dass die Trägerin der Fibel, die in Wittislingen bestattet wurde, wohl eine Angehörige der Uffila oder ihr zumindest eng verbunden war.

Die Umstände weisen auf eine christliche Elite hin. Die Bügelfibel ist im süddeutschen Raum gefertigt worden, vielleicht sogar in Augsburg. Die Region südlich des ehemaligen römischen Limes rückt immer stärker ins Interesse, auch weil von dort aus wichtige, aus der Römerzeit verbliebene Straßen zu kontrollieren waren, sagt Christof Paulus, der Leiter der Tagung. Über Augsburg ist durch den Verlust an Archivalien im Investiturstreit um 1100 viel Wissen verloren gegangen. Nun beginnt sich das Bild durch die archäologischen Funde aufzuhellen. Paulus sieht hier sogar einen Impuls für die heftig diskutierte Frage, ob Augsburg oder Regensburg der erste Hauptort in Bayern war.

Die Tagung zeigte auf, dass man das Frühmittelalter globalgeschichtlich betrachten muss. Der Wandel zur Internationalität und zur politischen Neuordnung vollzog sich zu Lebzeiten der Fürstin von Wittislingen. Gleichzeitig festigte sich die soziale Differenzierung der Gesellschaft und die Herausbildung einer Führungsschicht. Vielleicht, so Paulus, wurde der Frau beim Begräbnis um 650 die Fibel als Erbstück mitgegeben. Damit sind die Fragen noch nicht zu Ende. Im nahen Unterthürheim wurde für die Zeit um 600 ein Pestausbruch nachgewiesen. Starb die Fürstin von Wittislingen auch an der Pest? "Leider werden wir das nie wissen, da wir keine Skelettreste haben", sagt Paulus.

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