Wissenschaftler-Treffen in Lindau:Nobelpreisträger an Bord des Schnellboots

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Ein Krebsforscher, der aus Angst kein rohes Fleisch isst, und ein 94-Jähriger, der einen Sieben-Punkte-Plan zur Rettung der Welt hat: Die Nobelpreisträger treffen sich jedes Jahr am Bodensee. Doch es handelt sich nicht mehr um einen vor sich hindümpelnden Altherren-Club, hier wird Tacheles gesprochen.

Martina Scherf, Lindau

Was hat "Der dritte Mann" mit Kohlenstoff-Atomen zu tun? Für Harold Kroto sehr viel. Deshalb zeigt er Ausschnitte aus seinem Lieblingsfilm statt Bilder aus dem Chemielabor. Denn: Im Leben und in der Wissenschaft geht es nur um eins - die Suche nach Wahrheit.

Wie am Board eines Speedboats: Das Treffen in Lindau ist inzwischen eine Tagung von internationalem Rang. (Foto: dpa)

So wie sich Harry Limes Freund im Film auf Spurensuche des Verbrechens begibt, so ist ein Wissenschaftler bestrebt, Licht ins Dunkel zu bringen, sagt der Brite, der 1996 den Nobelpreis für die Entdeckung sphärischer Moleküle in Kohlenstoff-Atomen erhielt. Heute appelliert er an den Nachwuchs: "Denkt an die Wahrheit und die Menschlichkeit, vergesst den Rest." Gäbe es bei der diesjährigen Nobelpreisträger-Tagung in Lindau ein Ranking für den beliebtesten Professor - Sir Kroto, der Kunstliebhaber und Tennisspieler, wäre der Gewinner.

"Er wirkt ehrlich und spricht auch von seinen Zweifeln", sagt Johannes Stigler, Doktorand der Biophysik an der Technischen Universität München. Er gehört zu den Auserwählten von Lindau. 20.000 Nachwuchswissenschaftler haben sich weltweit beworben, 658 aus 80 Ländern wurden eingeladen, sich eine Woche lang am Bodensee mit den 24 anwesenden Nobelpreisträgern auszutauschen. "Eine einmalige Gelegenheit", schwärmt eine junge Krebsforscherin aus Madrid, "davon werde ich mein Leben lang zehren."

Mit Kolleginnen aus mehreren Ländern sitzt sie am Seeufer und unterhält sich über die eigene Zukunft: Wie bringt man den Profilierungsdruck an den Unis, die Unsicherheit mangels einer festen Stelle mit Familienplanung in Einklang? "Für mich, die ich noch am Fuß des Berges stehe und nach oben schaue, ist sowas wichtig", sagt die Spanierin.

Aber auch für junge Männer wie Johannes Stigler, der eine Karriere als Wissenschaftler anstrebt, ist das "absolut ein Thema". Und während sie noch reden, radelt Robert Huber, Chemie-Nobelpreisträger (1988) aus München, zur Inselhalle, wo der Bayerische Abend stattfindet - in Trachtenanzug und Gamsbart-Hut. Als er studierte, musste sich noch keiner Gedanken über "Work Life Balance" machen.

Dass hier auch private Themen mit den Stars der Wissenschaft besprochen werden können, das macht den Geist von Lindau aus. Und was haben die jungen Leute in dieser Woche sonst noch gelernt? Dass der Krebsforscher Harald zur Hausen (Nobelpreis 2008) kein rohes Fleisch isst - wegen des Krebsrisikos. Dass Elizabeth Blackburn (Nobelpreis 2009) sich einen Roboter bauen ließ, der musikalisch untermalt die Chromosomen von 100.000 Menschen vergleicht, um Altersprozesse zu untersuchen. Oder dass der Genforscher Oliver Smithies (Nobelpreis 2007) seine ersten Experimente mit Stärkepulver in Mutters Küche machte und sein ganzes Forscherleben lang das "Tagebuch eines Werkzeugmachers" führte - unter tosendem Beifall präsentierte er es den Studenten.

Gegen die Strahlkraft solcher Reden kommt auch ein Bill Gates nicht an. Er war unter Blitzlichtgewitter zur Eröffnung der Tagung gekommen. Eingeladen nicht nur als mächtigster Mann der Computerbranche, sondern auch, weil er sich nachhaltig in der Förderung junger Wissenschaftler engagiert. Dass ihn die Stiftung Lindauer Nobelpreisträger in ihren Ehrensenat aufnahm, ist ein medienwirksamer Coup ihres Vorstandes Wolfgang Schürer. Der Wirtschaftsprofessor, einst Gründer des St. Gallen Symposiums, hat aus dem vor sich hindümpelnden Altherren-Club am Bodensee wieder eine Tagung von internationalem Rang gemacht.

Gegründet von dem Grafen Lennart von Bernadotte, einem Verwandten des schwedischen Königs, hatte das Treffen der Nobelpreisträger in den fünfziger Jahren - etwa unter Werner Heisenbergs Regie - flammende Plädoyers gegen den Atomkrieg gehalten.

Der mächtigste Mann der Computerbranche: Auch Bill Gates kam in diesem Jahr nach Lindau. (Foto: REUTERS)

Doch über die Jahre bröckelte die finanzielle Basis dahin, das Interesse schwand. Als Schürer antrat, verfügte er gerade mal über einen Etat von 170.000 Euro. Inzwischen fliegt er auf eigene Kosten um die Welt, um Kontakte zu knüpfen und bei der Wirtschaft um Sponsorengelder zu betteln. In Bettina Bernadotte, der Tochter des Grafen, hat er als Kuratoriums-Vorsitzende nun eine Gleichgesinnte. Seit die beiden am Ruder sind, fährt das Lindauer Schiff unter vollen Segeln.

"Viele unserer Innovationen kommen aus den Reihen der Nobelpreisträger", sagt Schürer. In diesem Jahr ist Roger Tsien der Spiritus Rektor der Science Master Class: Jungwissenschaftler erhalten darin die Gelegenheit, ihre Arbeiten zu präsentieren, auszuführen, welche Probleme sie lösen wollen und woran sie bislang gescheitert sind.

Der "Meister" sucht mit ihnen gemeinsam nach Lösungswegen. Erstmals wurden auch naturwissenschaftliche Lehrer aus ganz Deutschland eingeladen. Und seit 2004 gibt es alle drei Jahre auch noch ein Treffen der Ökonomie-Nobelpreisträger. Tagungssprache ist mittlerweile ausschließlich Englisch, die Vorlesungen werden ins Internet gestellt, es wird getwittert und in fünf Sprachen gebloggt, so dass der Geist von Lindau zeitgemäß in die Welt getragen wird.

Weil ihm die Internationalisierung ein Anliegen ist, hat Bayerns Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch (FDP) gleich zu Beginn seiner Amtszeit eine Million Euro nach Lindau überwiesen. Er will die Prestige-Veranstaltung, zu der sich die Tagung gemausert hat, gegen Abwerbeversuche aus der Schweiz oder Württemberg verteidigen - immerhin reiste auch Winfried Kretschmann (Grüne) am Freitag an, um auf einem Bodenseedampfer die Universitäten seines Landes zu preisen. Heubisch wirbt schon am Abend vorher in gutem Englisch für die Hochschullandschaft und das Elitenetzwerk Bayern, das Talente fördert.

Die Jungwissenschaftler aus aller Welt, manche von ihnen in Kimono, Sari oder Kopftuch, hören beeindruckt zu, bevor sie sich ein bisschen skeptisch Weißwurst und Weißbier widmen. Sandra Chishimba, Malaria-Forscherin aus Sambia, die mit Bill Gates auf dem Podium saß, sagt, was viele denken: "Netzwerke, die hier geknüpft werden, sind unverzichtbar für die Forschung."

Und der Appell des Laureaten Christian de Duve, in dem der 94-Jährige einen Sieben-Punkte-Plan zur Rettung der Welt präsentierte, hallt ebenfalls nach: "Meine Generation hat viel Schaden angerichtet. In Euren Händen liegt die Zukunft", rief er den Jungen unter Standing Ovations zu, "macht es besser. Noch ist es nicht zu spät."

© SZ vom 02.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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