Wirtschaft:Wenn Stärke zur Schwäche wird

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In Bayern sinkt seit Jahren die Zahl der Unternehmensgründungen. Ein Grund dafür ist die boomende Wirtschaft im Freistaat: Denn wem ein fester Job zum Leben reicht, vermeidet das Risiko, das eine Selbständigkeit mit sich bringt

Von Maximilian Gerl, München

Wenn Menschen etwas wollen, gehen sie ins Fernsehen. Zum Beispiel in "Die Höhle der Löwen", in der Sendung versuchen Jungunternehmer, Altunternehmer von einer Geschäftsidee zu überzeugen. Gefällt die Idee, beteiligen sich die "Löwen" am Geschäft und schießen Geld vor. Ein spannendes Konzept, das aber einen falschen Eindruck vermittelt: Man könnte meinen, dass es von Gründern wimmelt.

Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall, jedenfalls in Bayern. Die Zahl der Unternehmensgründungen sinkt. Dabei brummt die Wirtschaft und die Staatsregierung bewirbt den Freistaat als Innovationsstandort, an dem sich Start-ups austoben können. Einem Bericht des Statistischen Landesamts zufolge gab es im Jahr 2004 rund 7 0 000 Unternehmensgründungen. 2015 waren es noch knapp 45 000. Besonders betroffen ist das Kleingewerbe, hier ging die Zahl der Unternehmensgründungen seit 2003 um fast die Hälfte zurück.

"Die Selbständigkeit ist nicht mehr en vogue", sagt Sascha Genders von der Industrie- und Handelskammer (IHK) in Würzburg. Dabei läuft es eigentlich gut in der Stadt, es gründen mehr Würzburger ein Unternehmen, als eines aufzugeben. Das Statistische Landesamt weist für Würzburg im ersten Halbjahr 2016 ein Plus von 112 Gründungen aus. Aber: "Vor zehn Jahren hatten wir ein Plus von 2000", sagt Genders. Das Plus ist ein immer kleineres Plus. "Das ist ein Trend in ganz Bayern."

Vielleicht vergrault ja die Bürokratie potenzielle Gründer. Diese Sicht drängt sich auf, wenn man auf eine Gründermesse wie die jüngst in München geht. Sie ist die größte Bayerns mit rund 2000 Besuchern. Außer Infoständen und Flyern gibt es dort Seminare, etwa zum Thema Steuern. Der Dozent hat 45 Minuten Zeit, entsprechend dicht regnet der Vokabelhagel auf sein Publikum herab: Hebesatz, Reverse-Charge-Verfahren, Allphasen-Netto-Umsatzsteuer mit Vorsteuerabzug ... Ein Zuhörer beugt sich zum Nebenmann und flüstert: "Lass uns lieber weiter schwarz verkaufen."

Doch es ist zu einfach, der Bürokratie die Schuld zu geben. Mit gesetzlichen Vorgaben hatten Selbständige immer schon zu kämpfen. Warum die Bayern nicht mehr gründen wollen, hat andere Ursachen. Claudia Schlebach von der IHK München und Oberbayern will nicht dramatisieren. Sie sitzt auf der Münchner Messe am Tisch, einige Meter hinter ihr schieben sich die Menschen durch die Gänge. Der Andrang ist groß, das wirkt, als gebe es eher zu viele Gründer als zu wenige. Schlebach weiß natürlich, dass das nicht so ist, aber sie will nicht alles schlechtreden. Lieber verweist sie auf die jüngsten Erfolge, etwa bei besagten Start-ups. Die jungen Unternehmen aus dem Techniksektor machten inzwischen zehn Prozent aller Neugründungen aus. Oberbayern mit seinen Zentren München, Ingolstadt und Rosenheim sei für Start-ups ein interessanter Standort, der sich international messen könne. "Hier gibt es viele Kunden", sagt Schlebach. Genau das ist das erste Problem. Der Weg in die Selbständigkeit ist in Bayern unterschiedlich schwer. In Oberbayern gibt es relativ viele Gründer, statistisch kommen fast neun von ihnen auf 1000 Einwohner. In Schwaben und Mittelfranken sind es knapp sieben, in Oberfranken lediglich 5,5. Geht man in die Regionen hinein, verschiebt sich das Gefälle noch einmal.

Beispiel Würzburg. Während in der Stadt mehr Gewerbe gegründet als aufgegeben werden, ist es im benachbarten Main-Spessart andersherum. Die Bedingungen dort nennt Genders "nicht gerade zukunftsweisend". Viele Gründer seien auf Kundschaft am Ort angewiesen, von der es auf dem Land immer weniger gebe. Die Folge: Wirtshäuser müssen schließen, teils der Einzelhandel. Der gerate zudem durch Online-Händler unter Druck. "Als Gründer gehe ich dorthin, wo ich Wachstumspotenziale sehe", sagt Genders. Das zweite Problem ist, dass die bayerische Wirtschaft fast zu sehr brummt. Die meisten Unternehmen machen Gewinne, sie stellen ein, es gibt genug Jobs. Damit sinkt bei vielen Menschen die Motivation, sich selbständig zu machen: Warum ein Risiko eingehen, wenn die Festanstellung reicht?

Guter Arbeitsmarkt und gute Konjunktur, dazu ein demografischer Wandel, Strukturschwäche auf dem Land und bürokratischen Hürden: Kein Wunder, dass mancher vom Risiko der Selbständigkeit absieht. Vor allem, weil Scheitern gesellschaftlich als Verlieren gilt statt als respektabler Versuch. "Man muss am Image arbeiten", sagt Schlebach. "Selbständigkeit sollte ein Thema in der Schulbildung sein." Überall in Bayern bieten inzwischen Gründernetzwerke Kontakte und Hilfe an - sofern jemand kommt und danach fragt. "Sie können die Leute an die Hand nehmen", sagt Genders. "Laufen muss jeder selber."

© SZ vom 16.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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