Süddeutsche Zeitung

Wirtschaft:Kreative am Keyboard

Die bayerische Computerspiel-Industrie gewinnt an Bedeutung. Bei Wettbewerben wie dem Game Jam zeigen junge Talente ihr Können. Und so manches Unternehmen wirbt bereits Studenten ab, die etwa an der Universität Bayreuth ein Praktikum absolvierten.

Von Maximilian Gerl

Im Saal herrscht geschäftige Ruhe. Auf einem Bildschirm dreht sich ein Automodell, ganz grau, ohne Lack oder Fenster, die Texturen fehlen noch. Die ersten Teams arbeiten am Samstagmittag wieder konzentriert an ihren Laptops. Andere schlafen im Ruheraum nebenan, die ganze Nacht haben sie durchprogrammiert, "gecodet", wie sie sagen. Sie alle nehmen am "Global Game Jam" teil, einem Großereignis, das einmal im Jahr stattfindet. An Tausenden Orten auf der Welt treffen sich Programmierer mit einem Ziel: innerhalb von 48 Stunden ein Computerspiel entwickeln.

Auch in Bayern sind an diesem Wochenende die Programmierer los, nicht nur im Werk 1 am Münchner Ostbahnhof. Kein Wunder: Schließlich ist die bayerische Computerspiel-Branche größer, als die meisten Menschen denken. In der breiten Öffentlichkeit spielt sie bislang so gut wie keine Rolle. Vielleicht ist sie zu unauffällig, denn diese Industrie braucht keine riesigen Anlagen, keine automatisierten Fertigungsstraßen oder rauchenden Schlote. Sie braucht nur ein paar leistungsfähige Computer und schnelles Internet. Und einen guten Schuss Kreativität.

Robin Hartmann schaut von einer Galerie auf die geschäftige Ruhe hinunter. 30 bis 40 Programmierer seien diesmal im Werk 1 beim Game Jam dabei, schätzt er, "wir hatten aber auch schon Jahre mit 100 Leuten". Hartmann ist so etwas wie der Chef hier, gemeinsam mit einem Kollegen hat er den Game Jam organisiert. Außerdem hat Hartmann 2014 die Rechte für die Dachmarke "Games/Bavaria" angemeldet. Er organisiert Szenetreffs und sucht den Austausch zwischen Politik und Wirtschaft. Gefördert wird das unter anderem vom Wirtschaftsministerium. Hartmann hat die Entwicklung der Gaming-Industrie intensiv begleitet; auch wenn er es nicht direkt sagt, wirkt er doch ziemlich stolz auf das, was da gewachsen ist.

"Der Spielemarkt ist riesig, viel größer als für Film oder für Fernsehen", sagt Hartmann und verweist auf eine Studie der Hamburg Media School und der Uni Paderborn. Demnach lag der Umsatz der deutschen Games-Unternehmen 2015 bei 2,8 Milliarden Euro - und damit über dem anderer Kultur- und Kreativbranchen. Die Musikindustrie etwa kam auf 1,55 Milliarden Euro. 14 000 Beschäftigte arbeiten in der Gaming-Branche. Für den Freistaat allein liegen keine aktuellen Zahlen vor. Ältere Schätzungen gehen davon aus, dass ein Viertel aller deutschen Gaming-Firmen in Bayern sitzt; davon 60 bis 70 Prozent in München, fünf bis zehn in Nürnberg.

Allein: Vom riesigen Marktvolumen bleibt nicht so viel hängen, wie es könnte. Der Wettbewerb ist groß und hart. Die US-Amerikaner, die Kanadier, auch die Franzosen und Skandinavier investieren seit langer Zeit massiv in ihre Gaming-Industrie. Entsprechend stark sind ihre Firmen auch auf dem deutschen Markt. Die Digitalisierung kennt keine Ländergrenzen. Hartmann sagt, man entwickle heutzutage kein Spiel mehr nur für deutsche Spieler, sondern für Spieler auf der ganzen Welt. "Damit sind selbst Start-ups von Anfang an diesem Wettbewerb ausgesetzt." Gleichzeitig sei es schwierig, Investoren zu finden. Niemand könne garantieren, dass ein Spiel ein Erfolg werde. "Darum ist es so wichtig, Entwickler mit einer Förderung zu unterstützen", sagt Hartmann.

Wer wissen will, wie man sich trotz harten Wettbewerbs behauptet, muss Klaus Schmitt anrufen. Früher programmierte der Bamberger spaßeshalber in seiner Freizeit, vom Wohnzimmer aus. 2006 wagte er dann mit Upjers den Einstieg in die Branche. Heute ist seine Firma für bayerische Verhältnisse ein Riese mit mehr als 100 Mitarbeitern. Schmitt ist vor allem im Bereich der Browser- und Mobile Games unterwegs, viele seiner Spiele kann man als App aufs Smartphone laden. Auch er beobachtet, dass sich was tut in Bayern, in der Branche genauso wie in der Politik: So habe die Staatsregierung zuletzt das Budget für Fördermaßnahmen erhöht. Die größte Herausforderung aber bleibe "die Sichtbarkeit". Das Angebot gerade in den Online-Shops sei riesig. "Da muss man mit seinem Spiel erst mal rausstechen", sagt Schmitt. Bisweilen müsse man dazu mit anderen zusammenarbeiten. Mit Google zum Beispiel,obwohl das wegen der vergleichsweise strikten deutschen Datenschutzvorgaben manchmal problematisch sei. "Da eine Lösung zu finden, das ist nicht so leicht, wenn sie zwischen zwei Riesen sitzen."

Ein anderes Problem ist der Mangel an erfahrenen Spieleprogrammierern. Viele Entwicklerstudios können keine großen Gehälter zahlen - jedenfalls keine so hohen wie in anderen Industrien, die zunehmend IT-Spezialisten suchen. Oft sind es daher Berufseinsteiger, die sich im Gaming versuchen. Jochen Koubek sagt: "Games, das ist so etwas wie die Königsklasse im Programmieren." Koubek ist Professor an der Uni Bayreuth, die Hochschule bietet eine Ausbildung im Bereich Spieldesign an. Auch an seiner Uni läuft an diesem Wochenende der Game Jam. Einige Studenten hat Koubek bereits an die Industrie verloren, sie wurden noch während des Uni-Praktikums abgeworben. Den Professor wundert es nicht. Die Entwicklung von Spielen sei vielfältig und komplex, es bestünden zahlreiche Schnittstellen zu anderen Gesellschafts- und Wirtschaftsbereichen. "Computerspiele sind oft Vorreiter", sagt Koubek. "Viele Menschen würden niemals sagen: Das, was sie gerade tun, ist eigentlich ein Spiel. Aber genau das ist es."

Tatsächlich haben Computerspiele längst in anderen Branchen Einzug gehalten. Piloten trainieren stundenlang in Flugsimulatoren. Die US-Armee lässt ihre Soldaten Kampfeinsätze am PC üben. Und auch Virtual und Augmented Reality, die neuesten Gaming-Trends, werden derzeit für die Wirtschaft nutzbar gemacht. In Erlangen forscht das Fraunhofer Institut für Integrierte Schaltungen seit ein paar Jahren an einem Holodeck. Die Technik könnte später etwa für Architekten interessant werden: Im virtuellen Raum könnten sie Gebäudepläne abgehen und auf Schwachstellen untersuchen.

Im Münchner Werk 1 sind inzwischen alle Teams wieder an der Arbeit. In knapp 24 Stunden endet der Game Jam, dann müssen sie ihr Spiel präsentieren. Die Veranstaltung wird live im Internet übertragen, die ganze Welt schaut zu. Geld verdienen die Entwickler mit ihren Ideen an diesem Wochenende übrigens nicht, sie haben einfach Spaß am Programmieren, Designen, Entwickeln. Hartmann ist sich sicher, dass auch diesmal wieder einige tolle Spiele dabei herauskommen werden. "Andere werden sagen: Hat leider nicht geklappt." So ist das mit der Kreativität. Scheitern gehört dazu.

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Quelle:
SZ vom 29.01.2018
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