Wirtschaft:Knechte an der Zapfsäule

TOTAL Autohof Reichardswerben

Total betreibt nach Aral und Shell die meisten Tankstellen in Deutschland.

(Foto: obs)
  • Das Benzingeschäft wirft kaum etwas ab, für die Shop-Erträge fällt Zusatzpacht an.
  • Wer die Regeln der Konzerne missachtet, zahlt Geldstrafen.
  • Die Zahl der Tankstellen sinkt seit Jahren rapide.

Von Karl W. Götte

Es gab Zeiten, da konnten Tankstellenpächter von den Provisionen ihres Benzinumsatzes ihre Familie ernähren. "In den Achtzigerjahren haben sie vom Benzinverkauf noch gelebt", sagt Günter Friedl, der Vorsitzende des Fachverbandes Tankstellengewerbe in Bayern. Das habe sich dramatisch verändert: "Heute ist das wie ein Ehrenamt."

Verdient wird nur noch am Umsatz mit dem Nebengeschäft in der Tankstelle. Doch auch hier werden die Tankstellenpächter von den großen Mineralölgesellschaften mit Verträgen geknebelt, die ihnen kaum einen Spielraum lassen. Friedl scheut sich nicht, das Wort "Sklave" in den Mund zu nehmen.

Die Autofahrer sehen nur den Benzinpreis. Häufig kreisen sie herum, um das beste Angebot zu finden. Zumal sich die Preise schlagartig innerhalb von einer Stunde um bis zu 20 Cent pro Liter ändern. "Abends wollen sie immer mehr", sagt ein Tankstellenmitarbeiter im Raum München. "Sie" ist die Firma Shell, aber andere betreiben den Preiswirrwarr ganz ähnlich. Shell ist hinter Marktführer Aral die Nummer zwei bei der Anzahl der Tankstellen in Deutschland. Es folgen Total und Esso. Dieses Quartett beherrscht den Tankstellenmarkt seit vielen Jahrzehnten.

Nicht der Tankstellenpächter ändert die Preise an der Anzeigetafel. "Das macht die Mineralölgesellschaft direkt und online", ergänzt der Mitarbeiter. Er bekomme eine Viertelstunde vorher über die Online-Kasse einen Zettel mit dem neuen Preis ausgedruckt. Doch der Benzinverkauf, das Agenturgeschäft, das der Pächter für die Mineralölgesellschaft betreibt, ist für ihn Nebensache. Davon kann er längst nicht mehr leben.

Wer die Konzern-Regeln für die Tankstellenshops missachtet, zahlt Strafe

"Benzin verkauft der Pächter nur, weil es der Vertrag ihm auferlegt", erläutert Friedl. Solche Verträge umfassen 40 Seiten und mit Anlagen, wie dem Handbuch zum "Visuellen Markenauftritt", füllen sie einen ganzen Ordner. Der Inhalt besteht fast ausschließlich aus Forderungen der Mineralölgesellschaften, die der Pächter zu erfüllen hat. Höhepunkt der Verträge sind sogenannte Vertragsstrafen für den Pächter, die er ebenfalls akzeptieren muss, sonst wird er nicht Pächter.

Auf einer ganzen Seite werden in einem Muster-Pachtvertrag einer Mineralölgesellschaft 16 mögliche Strafen aufgeführt. 50 Euro Strafe gibt es etwa, wenn im Tankstellenshop das gelieferte Werbematerial nicht aufgestellt wird. Ebenfalls 50 Euro kosten den Pächter "Grifflücken" in den Regalen oder eine versäumte Verkaufsaktion. Eine fehlende oder falsche Preisauszeichnung bei der Waschanlage kostet 70 Euro Strafe.

Dass diese Strafandrohungen nicht nur auf dem Papier stehen, sondern auch durchgesetzt werden, muss der Pächter ebenfalls unterschreiben. Über ein "verdecktes Mystery Shopping von Testkäufern", so die Formulierung im Muster-Pachtvertrag, kontrolliert das Unternehmen den Pächter. Die Drohungen und Knebelungen in den Verträgen zeigen Wirkung. Kaum ein Pächter will darüber sprechen, schon gleich nicht mit den Medien unter seinem richtigen Namen. Selbst ein ehemaliger Tankstellenpächter im Raum München, der der SZ Auskunft gibt, will nicht genannt werden.

Er bestätigt das Vorgehen der Mineralölgesellschaften in Sachen Vertragsstrafen. Als er den neuen Vertrag nicht unterzeichnete, folgte die Kündigung des Pachtvertrages. Aral, der größte deutsche Mineralölkonzern, der seit 2003 zu BP gehört, verneint auf schriftliche Nachfrage Vertragsstrafen "in den genannten Fällen". Das Unternehmen spricht laut Pressesprecher Detlef Brandenburg von "Empfehlungen, die wir den Partnern zur Unterstützung bei der Betreibung ihrer Tankstelle anbieten". Etwa beim Zeitpunkt der täglichen Toilettenreinigung.

Die Provision, die der Pächter heute pro verkauften Liter Kraftstoff erhält, liegt nicht einmal auf dem Niveau der Achtzigerjahre. Friedl weiß als bayerischer Verbandsvertreter von einer durchschnittlichen Provision von etwa 0,8 Cent. Das belegt auch der der SZ vorliegende Musterpachtvertrag der Mineralölgesellschaft, der für alle Kraftstoffe von ebenfalls 0,8 Cent ausgeht. Aral-Pressesprecher Brandenburg spricht aktuell von einer Provision von "über einen Cent pro Liter Kraftstoff".

Bei Tankstellenbetreibern heißt die Umsatzpacht "Mafiagebühr"

Neben der Pacht trägt der Pächter auch die Betriebskosten, darunter die Personalkosten und die teils mehrere Tausend Euro monatlichen Stromkosten. Mit Autowaschanlage und Shop versucht der Pächter, auf sein Geld zukommen. Nach Angaben des bayerischen Fachverbandes beträgt das durchschnittliche Einkommen der Tankstellenpächter 33 400 Euro jährlich. Davon sind jedoch noch Steuern und die Vorsorgeaufwendungen als Selbständiger zu entrichten.

Manche Pächter betreiben laut Friedl bis zu vier Tankstellen, um zu überleben. Er fordert schon seit einigen Jahren die staatliche Festlegung einer Mindestprovision. "Der Staat muss hier helfen", bekräftigt Friedl. Bisher blieb seine Initiative jedoch ohne Resonanz bei der Politik.

Um überhaupt auf einen grünen Zweig zu kommen, haben Tankstellenpächter schon vor Jahrzehnten damit begonnen, einen Verkaufsshop zu betreiben. Heute wird dort alles verkauft, was geht. "Dass da Geld zu verdienen ist, haben auch die Mineralölgesellschaften schnell mitbekommen", erzählt Friedl. Seitdem stellen sie den Pächtern über ihre eigenen Lieferanten die komplette Verkaufsware für den Shop zur Verfügung und schreiben auch teilweise die Verkaufspreise vor. Der Muster-Pachtvertrag bestätigt, dass der Pächter die Ware für sein "Eigengeschäft" nur über die "empfohlenen Lieferanten" zu beziehen hat. Die Mineralölgesellschaften lassen sich das mit einem umsatzabhängigen Monatspachtzins honorieren.

Unter den Pächtern werden diese Rückvergütungen auch als "Mafiagebühren" bezeichnet. Für Aral ist diese Umsatzpacht ganz normal. "Der Tankstellenunternehmer", sagt Sprecher Brandenburg, "pachtet von uns eine Tankstelle, die als Gewerbebetrieb vollständig eingerichtet ist - inklusive Shopeinrichtung und Autowaschanlage."

Diese monatliche Rückvergütung ist erheblich. So fordert die Gesellschaft des Muster-Pachtvertrages elf Prozent der Umsätze als monatlichen Pachtzins aus dem Shop und dem Gastrobetrieb. Beim Tabak und einer Lotterie werden drei und zwei Prozent des Umsatzes fällig, für Zeitschriften und Zeitungen sechs Prozent. Beim Waschgeschäft greift die Mineralölgesellschaft dann richtig zu. 55 Prozent der Umsätze fließen zurück. Auch wenn sich die Waschanlage im Eigentum des Pächters befindet, muss er 18 Prozent als Pachtzins entrichten.

Lediglich Reifenumsätze und Umsätze aus Autobahnvignetten und Telefonkarten sind pachtzinsfrei. Dafür gibt es im Vertrag noch die jährliche "Potenzialpacht", die für eine "außergewöhnlich gute Lage" der Tankstelle anfällt, weil dort "überdurchschnittliche Verdienstmöglichkeiten des Tankstellenpächters" möglich sind. Bei den Aral-Pächtern heißt sie "Sternepacht", weil auf einem Blatt Papier die Anzahl der Sterne die Wertigkeit der Tankstelle bestimmt. Gehört sie zu den besten Standorten, wird die Pacht entsprechend erhöht, egal, ob sich in der vermeintlich guten Lage auch der Umsatz entsprechend einstellte. "Die sogenannte Sternepacht und das dahinter liegende Prinzip der Standortbewertung existiert in unserem Netz seit mehreren Jahren nicht mehr", beteuert Aral-Sprecher Brandenburg.

Der jeweiligen Mineralölgesellschaft muss der Pächter gestatten, jederzeit online Einblick ins vorgeschriebene Buchhaltungssystem Einblick zu nehmen. Im Muster-Pachtvertrag wird auch die Bank festgelegt. Der Pächter muss zusichern, dass die Gesellschaft jederzeit Einblick in das Bankkonto haben kann. "Seinen Steuerberater muss der Pächter ebenfalls von der Schweigepflicht entbinden", schildert Friedl seine Erfahrungen. Aral-Sprecher Brandenburg entgegnet, diese Regelung gebe es in seinem Konzert nicht.

Besonders heikel wird es, wenn Pächter sich einen Kredit oder eine Betriebsbeihilfe, wie es in Verträgen heißt, von der Mineralölgesellschaft besorgt haben. Dann hat er sich ihr voll und ganz ausgeliefert. Etwa 100 000 Euro benötigt jeder neue Pächter, um seinen Shop mit Erstware zu füllen. "Diese Kredite sind jederzeit kündbar", erklärt Friedl. "Wer das annimmt, ist fällig und der Sklave der Mineralölgesellschaft." Kein Wunder, dass die Zahl der Tankstellen in Bayern stark rückläufig ist. Gab es 2010 noch 2040, waren es fünf Jahre später nur noch 1680.

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