Süddeutsche Zeitung

Wirtschaft:Idealer Datenmix

Nur wenige Firmen in Bayern nutzen sogenannte Big-Data-Technologien optimal für ihre Zwecke. Dies soll sich in den kommenden Jahren ändern. Berater wie Alexander Thamm greifen Managern dabei unter die Arme

Von Maximilian Gerl

Alexander Thamm ist Data Scientist. Zu ihm kommen Manager, die ihre Firma mithilfe von Daten optimieren wollen. Manchmal meinen sie, man müsste dafür nur alle Daten der Firma zusammenwerfen, den Computer rechnen lassen, fertig. Thamm kontert dann mit einem Vergleich. "Stellen Sie sich vor, Sie sind in einer Bar", hinter dem gut sortierten Tresen stünden mehrere Flaschen mit Whiskey, Wodka, Rum und Gin. Alles in einen Eimer gekippt "kennt man vom Ballermann, das schmeckt wenigen". Ein guter Barkeeper würde stattdessen nach den Vorlieben seines Gastes fragen und nur auf ausgewählte Zutaten zurückgreifen. So, sagt Thamm, müsse man sich den richtigen Umgang mit Big Data vorstellen.

Der richtige Umgang mit Massendaten: Auch in Bayern wird er immer wichtiger. In der Industrie schrumpfen die Wettbewerbsvorteile, Firmen aus anderen Ländern holen auf, weil sie ähnliche Produkte günstiger oder schneller anbieten können - oder gleich beides. Viele Unternehmer könnten sich daher vorstellen, durch Daten neue Impulse für ihre Firma zu generieren.

Der Präsident der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW), Alfred Gaffal, schreibt im Vorwort einer Studie zum Thema: "Big Data ist der Schlüssel zur Entwicklung innovativer hybrider Geschäftsmodelle." Wirtschaftsministerin Ilse Aigner ergänzte bei der Vorstellung der Studie: "Durch das Wissen, das in den großen Datenmengen steckt, können Unternehmen effizienter werden und sich im Wettbewerb behaupten." Und mit Blick auf die USA, dem Big-Data-Land Nummer Eins: "Wir wollen anschieben, dass wir selbst die Nase vorn haben."

Tatsächlich spielen Big-Data-Technologien im Freistaat bislang eine untergeordnete Rolle. Nur wenige bayerische Unternehmen haben entsprechende Projekte angestoßen, laut der VBW-Studie meist in der Automobil-, Pharma- und Chemieindustrie sowie in der Versicherungsbranche. Viele davon befänden sich aber derzeit in der Entwicklung und seien von der Marktreife weit entfernt. Wer sich unter vier Augen mit Mitarbeitern bayerischer Konzerne unterhält, hört Ähnliches.

Bei Big Data gibt es zwei Ansätze. Beim ersten werden anhand von Massendaten Prozesse innerhalb einer Firma optimiert. Ein Beispiel aus der Logistik: Jeder Lkw produziert Daten. Das können die Aufzeichnungen des Bordcomputers sein, die Protokolle des letzten Werkstattbesuchs oder Dinge, die der Fahrer während der Fahrt beobachtet. Aus diesen Daten lässt sich vorhersagen, wann das Fahrzeug vorsorglich für eine Inspektion in die Werkstatt sollte. Das Risiko sinkt, dass es mitten auf der Autobahn eine Panne erleidet. Und die Wahrscheinlichkeit steigt, dass die Ware pünktlich ankommt.

Im zweiten Fall werden die Massendaten genutzt, um Kunden maßgeschneiderte Angebote zu machen. So plant die HUK Coburg einen Telematiktarif für Kfz-Versicherungen. Eine Box im Auto sammelt Daten über das Fahrverhalten des Versicherten und sendet diese an die Versicherung. Entsprechend ändert sich der Tarif: Wer gut fährt, zahlt weniger.

Das Problem beginnt für die Unternehmen damit, die passenden Daten zu finden oder zu erheben. Es gibt immer mehr davon, jeder von uns produziert sie, jeden Tag - indem wir E-Mails versenden, Maschinen steuern, Handy-Apps nutzen oder per Kreditkarte bezahlen. Etwa alle zwei Jahre verdoppelt sich so die Datenmenge auf der Welt, 2015 war sie zwölf Zettabyte groß. Zum Vergleich: Auf eine handelsübliche, ein Terabyte große Festplatte passen bis zu 970 000 Minuten Musik. Um die einmal durchzuhören, bräuchte man rund 22 Monate. Würde man nun die weltweite Datenmenge von zwölf Zettabyte auf je ein Terabyte großen Festplatten speichern und diese Platten übereinanderstapeln, ragte der Turm 312 000 Kilometer empor. Bis zum Mond sind es 384 000 Kilometer.

Wer Big Data nutzen will, muss sich also zuerst überlegen, was er eigentlich will. "Unternehmen müssen eine klare Vorstellung entwickeln, was sie konkret verbessern wollen", sagt Data Scientist Thamm. Als Unternehmensberater für Big Data begreift er Massendaten als ein neuartiges Werkzeug, das Firmen hilft, komplexe Zusammenhänge sichtbar zu machen und punktuelle Verbesserungen vorzunehmen.

Andere finden es ganz in Ordnung, dass Bayern das Werkzeug nicht ausreizt. Datenschützer sehen die zunehmende Datensammelwut mit Sorge. Besonders heikel wird es, sobald Unternehmen Informationen über einzelne Menschen und deren Privatsphäre speichern. In den vergangenen Jahren kam es mehrfach vor, dass Hacker solche Datensätze stahlen und für kriminelle Geschäfte nutzten.

"Es ist gut, dass es kritische Stimmen gibt", sagt Thamm. Solange einige wenige Konzerne wie Apple oder Facebook massenhaft Daten sammelten, bestehe die Gefahr, Wissen zu stark zu zentralisieren. Hier müsse die Politik reagieren und regulieren: "Wir brauchen eine neue Datenschutzregel. Sie sollte schnell kommen, Ungewissheit hemmt Investitionen und dadurch Innovation." Auch bei einigen bayerischen Unternehmen beobachtet Thamm eine zu starke Fixierung darauf, wie sich Kundendaten schnell zu Geld machen lassen. "Solche Überlegungen dürfen nie der erste Schritt sein", mahnt er.

Der Sache mit dem Datenschutz räumt auch die VBW Priorität ein. In der Studie fordert sie eine gesellschaftliche Wertedebatte: "Den erheblichen Vorteilen von Big Data stehen Risiken gegenüber, die weder verschwiegen noch als Totschlagargument gegen solche technischen Innovationen ins Feld geführt werden dürfen." Außerdem brauche jede Firma ein IT-Sicherheitskonzept, um die Daten vor fremdem Zugriff zu schützen.

Hier wartet ein anderes Problem. Der Fachkräftemangel ist in der IT-Branche angekommen. Laut einer anderen Studie von Intel Security gibt es zu wenige Experten, die solche Sicherheitskonzepte erstellen und pflegen könnten. Und für die Zukunft sei damit zu rechnen, dass Cyber-Angriffe auf Unternehmen weiter zunehmen. Intel Security gehört zum Chip- und Softwarehersteller Intel, der Standorte in München, Nürnberg und Regensburg betreibt.

Um den Ausbau von Big Data voranzutreiben, bräuchte es also mehr Experten. Die VBW fordert von der Politik daher eine Forschungsagenda für Big Data. Vorhandene Forschungseinrichtungen müssten um entsprechende Schwerpunkte erweitert werden. Außerdem müsse der Freistaat Big-Data-Lösungen bei der Technologieförderung stärker berücksichtigen.

Letztlich bleibt der Umgang mit Big Data gerade für kleine und mittelständische Unternehmen eine Herausforderung. Große Firmen können sich ein Daten-Experiment eher leisten. Aber langsam bewegt sich etwas. Als Thamm vor vier Jahren mit seiner Data-Science-Beratung startete, musste er oft erklären, was das eigentlich ist. Heute sagt er: "Das Bewusstsein für Big Data ist gewachsen." Trotzdem würde er sich mehr Plattformen wünschen, auf denen sich die Menschen über das Thema austauschen könnten. "Alles wird immer komplexer und optimierter", sagt er, "für die meisten ohne Daten-Technologie ist das nicht mehr durchschaubar."

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Quelle:
SZ vom 30.09.2016
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