Wintersport:Wenn kein Lift mehr fährt

Wintersport: In der Grüntenhütte kehrten jahrzehntelang die Skifahrer ein. Jetzt treffen sich dort in 1500 Meter Höhe die Tourengeher, Schneeschuhwanderer und Rodler.

In der Grüntenhütte kehrten jahrzehntelang die Skifahrer ein. Jetzt treffen sich dort in 1500 Meter Höhe die Tourengeher, Schneeschuhwanderer und Rodler.

(Foto: Privat)

Die Skilifte am Grünten im Oberallgäu laufen in diesem Winter zum ersten Mal seit 1960 nicht. Der Hüttenwirt verdient jetzt weniger - und profitiert dennoch.

Von Christian Rost

Der Blick reicht von der Schweiz über den Bregenzerwald und das Allgäu bis hinüber zur Zugspitze im Osten. Die Aussicht vom 1738 Meter hohen Grünten im Oberallgäu ist fantastisch. Er wird "Wächter des Allgäus" genannt, weil er von Norden aus gesehen der erste richtige Berg am Rande des Illertals ist. Um diese Jahreszeit herrscht reger Betrieb auf den Hängen des Grünten.

Doch es ist eine ganz andere Klientel als in den vergangenen Jahren, die die Winterlandschaft genießt. Weil die Skilifte am Grünten wegen Zahlungsunfähigkeit des Betreibers erstmals seit dem Bau der Anlage im Jahr 1960 nicht laufen, haben Tourengeher und Schneeschuhgänger das Revier für sich entdeckt. Zu Hunderten erklimmen sie an sonnigen Tagen den Berg, auch viele Rodler sind unterwegs und freuen sich am ungewalzten Naturschnee. Auch Norbert Zeberle sieht die Vorteile des sanften Tourismus, die die Pleite des Liftbetriebs mit sich bringt.

Zeberle ist Wirt auf der Grüntenhütte in knapp 1500 Meter Höhe. Seit 18 Jahren ist er oben auf dem Berg und war bislang in den Wintermonaten an den "Stoßbetrieb" gewöhnt. So nennt er das klassische Hüttengeschäft mit den Skifahrern. "Da drängen mittags die Leute rein und wollen alle in einer halben Stunde essen und trinken, um möglichst schnell wieder auf die Piste zu kommen", berichtet der 53-Jährige.

Jetzt, da die Doppelsesselbahn, die sechs Schlepplifte, der Übungslift und die Förderbahn still stehen, hat er es mit einem ganz anderen Publikum zu tun. "Den Schneeschuhgängern, Tourengehern und Rodlern pressiert es nicht so. Die sitzen auch mal eine Stunde in der Hütte und lassen sich Zeit." Einige übernachten auch bei ihm oben am Berg. Er hat zwei Lager mit je 15 Betten und zwei Familienzimmer mit je sechs Betten im Angebot.

Wintersport: Norbert Zeberle ist seit 18 Jahren Hüttenwirt am Grünten.

Norbert Zeberle ist seit 18 Jahren Hüttenwirt am Grünten.

(Foto: privat)

Natürlich kann die neue Klientel den Umsatzrückgang durch das fehlende Geschäft mit den Skifahrern nicht ausgleichen. Momentan macht Zeberle nur etwa die Hälfte des Umsatzes, wie in anderen Wintern. "Aber wir können damit leben und es ist ein ruhigeres Arbeiten", sagt der Mann, der gar nicht mehr damit rechnet, dass die Skilifte je wieder in Betrieb gehen.

Der Wirt jedenfalls tüftelt bereits an einem Zukunftsmodell ohne Skibetrieb. Auf die Rodler setzt er beispielsweise und stellt 40 Schlitten zum Verleih zur Verfügung. Auch mit einem Schneeschuhverleih hat er sich zusammengetan, dem die 300 vorrätigen Paar Schneeschuhe schon nicht mehr ausreichen, um die Nachfrage zu decken. "Wir nutzen unsere Chance", sagt Zeberle, der auch den Klimawandel im Blick hat und prophezeit: Das Skigeschäft am Grünten habe keine Zukunft. Die Pleite des Skilifts habe die zwangsläufige Umstellung hin zum nachhaltigen Tourismus nur beschleunigt.

Die Grüntenlifte hat eine Familie aus der Region betrieben und damit zuletzt offenbar - vorsichtig ausgedrückt - kein Geld mehr verdient. Vor drei Jahren musste die am Fuße des Bergs gelegene Gemeinde Rettenberg einspringen, um den weiteren Betrieb der Lifte zu sichern. Die Gemeinde kaufte den Parkplatz an der Talstation, um den Skibetrieb zu retten. Im vergangenen Jahr allerdings waren auch diese Mittel aufgebraucht. Ein gerichtlich bestellter Insolvenzverwalter übernahm die Betriebs-GmbH und sucht seither einen Investor.

"Wir haben jetzt andere Zielgruppen"

Insolvenzverwalter Florian Zistler setzte zunächst - wie die Gemeinde Rettenberg auch - auf einen von der bisherigen Betreiberfamilie favorisierten Unternehmer aus der Schweiz. Der Mann heißt Gregor Wallimann und versprach den Rettenbergern bei einem öffentlichen Auftritt, 80 Millionen Euro in die maroden Liftanlagen zu investieren. Zwei moderne Seilbahnen wolle er bauen, sagte der Schweizer und ließ sich von einem Banker, den er eigens mitgebracht hatte, seine Zahlungsfähigkeit bestätigen. Doch als das Geld fließen sollte, wartete der vorläufige Insolvenzverwalter vergeblich.

Wintersport: In der Grüntenhütte kehrten jahrzehntelang die Skifahrer ein. Jetzt treffen sich dort in 1500 Meter Höhe die Tourengeher, Schneeschuhwanderer und Rodler.

In der Grüntenhütte kehrten jahrzehntelang die Skifahrer ein. Jetzt treffen sich dort in 1500 Meter Höhe die Tourengeher, Schneeschuhwanderer und Rodler.

(Foto: Privat)

Rettenbergs Bürgermeister Oliver Kunz (CSU) hat seither weder von Wallimann, der laut einer Schweizer Tageszeitung als Vermögensverwalter 1,8 Millionen Franken an Kundengeldern in die eigene Tasche gesteckt haben und dafür 2001 auch verurteilt worden sein soll, noch von den bisherigen Skiliftbetreibern etwas gehört. Das Problem sei nun die drohende Insolvenz der Skilift-Betriebs-GmbH, berichtet der Bürgermeister. In diesem Fall würden die Flächen am Grünten, die als Pisten genutzt wurden, nicht mehr zur Verfügung stehen.

Die Grundstücke gehören teils der ehemaligen Betreiberfamilie, die für eine Stellungnahme nicht zu erreichen war, Alpgenossenschaften und einzelnen Privatleuten, die ihre Wiesen in sogenannten Grunddienstbarkeiten für den Skibetrieb zur Verfügung gestellt haben. Bei einer Insolvenz würden die Grunddienstbarkeiten hinfällig, so der Bürgermeister: "Ein neuer Betreiber der Skilifte müsste dann bei Null anfangen."

Die Gemeinde Rettenberg verzeichnet im Jahr etwa 160 000 Übernachtungen, und diese Zahl zeigt, wie wichtig das Tourismusgeschäft für den 4500 Einwohner zählenden Ort ist. Deshalb bot die Gemeinde den bisherigen Liftbetreibern auch an, ihnen ihre Grundstücke am Grünten abzukaufen. Auf diesen Vorschlag sei aber nicht eingegangen worden, sagt Kunz, der nur noch darauf hoffen kann, dass Insolvenzverwalter Zistler rechtzeitig einen anderen Investor findet.

Aus dem Büro des Rechtsanwalts heißt es, die Verhandlungen mit Interessenten würden laufen. Zuletzt hieß es, fünf potenzielle Investoren hätten sich bei Zistler gemeldet. Der Bürgermeister weiß von mehreren potenten Unternehmern aus der Region, die sich für die Grüntenlifte interessieren. Er wundert sich allerdings, dass sie jetzt auf den Plan treten. "Es ist schon interessant, dass die Interessenten sich erst melden, wo alles vor die Wand gefahren ist."

Hüttenwirt Zeberle glaubt trotz dieser für Rettenberg ermunternden Nachrichten nicht daran, dass die Lifte eine Zukunft haben. Er orientiert sich an bewirtschafteten Berghütten in Österreich, die sich in Gebieten befinden, die nicht mehr zum Skifahren genutzt werden. In Zusammenarbeit mit dem Alpenverein will er sein eigenes Tourismuskonzept erarbeiten, "für den Winter und für den Sommer".

Mit einer Event-Firma arbeitet Zeberle bereits zusammen, die seine Hütte an den Wochenenden für Gruppen zum Übernachten anbietet. "Wir haben jetzt andere Zielgruppen", sagt der Wirt - und sieht dabei nicht unglücklich aus.

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