Süddeutsche Zeitung

Filmkonzert:Blutsbrüder für immer

"Der Schatz im Silbersee" war eine europäische Vision. Ein Filmkonzert in der Philharmonie würdigt den Kinohit aus dem Jahr 1962 - und die Ambergerin Hella Brice erinnert sich.

Von Christian Jooß-Bernau

Der Himmel, der Staub, die Reiter, die Felsen, diese Musik. Am 12. Dezember 1962 hatte "Der Schatz im Silbersee" seine Uraufführung in Stuttgart. Eine sonore Erzählerstimme führt sie ein, die beiden Helden Winnetou und Old Shatterhand, die da in der ersten Szene Seit an Seit ritten. So, wie in den kommenden Jahren in "Winnetou eins bis drei", "Old Shatterhand", "Unter Geiern" und so weiter und so fort - bis Ende der Sechziger die Welle auslief. Selbst im bundesdeutschen Pantoffelkino war in den Jahrzehnten danach noch etwas zu spüren von der Gefühlsbreite dieser Filme.

Nicht weil der Fernseher Cinemascope-Erlebnisse bot, sondern weil bei voll aufgedrehtem Lautstärkeregler diese Filmmusik die Wohnzimmer so zum Beben brachte, dass man noch eine Ahnung von Abenteuer hatte. "Fifty-fifty", das ist für Hella Brice der Beitrag des Komponisten Martin Böttcher zum Erfolg der Filme. Die Drehorte in Kroatien hat Böttcher seinerzeit gar nicht besucht. Erst zwei Jahre nach dem Tod von Pierre Brice war er dort. Zusammen mit Hella Brice, Pierres Frau, bei einem Winnetou-Fest zu Ehren des Schauspielers.

In die Philharmonie im Gasteig will Böttcher nun auch anreisen, wenn "Der Schatz im Silbersee" mit den Münchner Symphonikern unter Ludwig Wicki zu sehen ist. Mit Hella Brice hat er schon telefoniert und sich den Sitzplatz neben ihr reserviert. Hella Brice hat eine umwerfend blonde Frisur, die diesen Namen noch verdient, und blickt aus expressiven Kajalaugen in die Welt. Ihre Erscheinung, ein wenig an Sophia Loren erinnernd, umweht eine Ahnung von großem Kino in Kombination mit schwerem Parfum. Sie selber würde es vielleicht Aura nennen. Stellt man sich drei Hellas nebeneinander vor, kann man ungefähr ahnen, wie beeindruckt Pierre Brice einst gewesen sein muss. Allein die Geschichte ihres Kennenlernens ist, von Hella Brice erzählt, ein Kapitel für sich.

Als Hella Krekel wurde sie als Arzttochter zusammen mit zwei weiteren, eineiigen Schwestern auf Schloss Fronberg bei Schwandorf geboren und wuchs in Amberg auf. Ihr Zimmer schmückten die Drillinge mit Brice-Fotos aus der Bravo. Sie war sich sicher, sagt Hella, diesen Mann einst kennenzulernen. So kam der Nachmittagstee in den Skiferien im Palace-Hotel in Gstaad. Und da war er. Die Drillinge, ausgestattet mit einem Gespür für filmreife Auftritte, platzierten sich, gleich angezogen, in Blickweite und ließen sich von einer älteren Schwester vorstellen. Der weitere Verlauf der Geschichte zieht sich über Jahre, Flughäfen, erneute Begegnungen mit den "Triplets von Gstaat", um in eine Nacht und zügig in eine Ehe zu münden.

Wenn Hella Brice erzählt, mischen sich ihre Worte mit denen von Pierre, die sie wörtlich aus dessen Autobiografie zitieren kann. Fast vier Jahrzehnte hat sie an der Seite eines Mannes gelebt, der für die Deutschen das Bild des Indianers war. Die Winnetou-Verfilmungen aber sind mehr als Abenteuerfilme, in ihnen verdichtet sich beiläufig europäische Nachkriegsgeschichte. Das beginnt beim Produzenten Horst Wendlandt, der als Sohn eines Russen und einer Deutschen im Zweiten Weltkrieg zur Luftwaffe ging, um nicht interniert zu werden.

Pierre Brice, geboren im französischen Brest, war als 15-Jähriger auf der Gegenseite in der Résistance aktiv. Genau so wie sein Vater. "Er wollte helfen", sagt Hella. 1943 erlebt er, wie die Gestapo seinen Onkel und seinen Cousin verhaften. Sie sterben im Konzentrationslager. Mit 19 verpflichtet sich Brice in der Armee. "Gegen den Kommunismus zu kämpfen und die Schwachen dort zu retten, das war seine Motivation, in den Indochinakrieg zu gehen", sagt Hella.

Man kann die Rolle der französischen Kolonialmacht in Vietnam sicherlich auch differenzierter sehen, aber ihr Pierre ist einer, dem die frühe Erfahrung des Kriegsterrors ein starkes, patriotisches Gerüst eingezogen hat. Nach Vietnam kämpft Brice in Algerien. Noch vor dem Start seiner Filmkarriere hat er drei Kriege hinter sich. In seiner Autobiografie habe der Verlag seinerzeit großzügig gestrichen, sagt Hella. Begründung: "Ein Winnetou tötet nicht."

"Der Schatz im Silbersee" wurde vor dem Hintergrund der Biografien der Beteiligten zur europäischen Vision. Ein französischer Indianer reicht einem Amerikaner, der das Alter Ego des deutschen Karl May darstellt, die Hand. Sie werden Blutsbrüder. Brüderlichkeit, Kameradschaft, Ehrlichkeit, Gleichberechtigung, das seien die Werte gewesen, nach denen man strebte, sagt Hella Brice und will sich den Seufzer nicht verkneifen: "Und dann noch zwei so schöne Menschen, die man einfach anhimmeln musste." Im "Schatz im Silbersee" löst sich das Trauma des Weltkrieges auf in einer Landschaft, die mitten in Europa, in Jugoslawien, von Amerika träumte. An den Plitvicer Seen, in der Paklenica-Schlucht und im Tal von Grobnik.

Und mit produktionstechnischer Effizienz machte man die dortigen Bewohner zu Indianern. Lex Barkers Shatterhand-Lederkombi hat schon etwas von "Easy Rider" und des Indianers Kostüm ist Ethno-Haute-Couture von der Perlenstickerei bis zum Schlangenlederstirnband. Dieser Sex-Appeal duftete so berückend nach Hollywood, dass man darüber glatt Deutschland vergaß.

Hella Brice hat auf Zetteln notiert, was ihr im Interview wichtig ist zu erzählen, sie hat die Notizen mit gelben und grünem Leuchtstift noch einmal bearbeitet. So hat sie auch immer für Pierre als Vorbereitung auf Interviews mögliche Antworten übersetzt und auf Zettel geschrieben. Jetzt sitzt sie hier alleine und will nichts vergessen. Ihren Mann hat sie 2015 auf dem Gräfelfinger Friedhof beerdigt, ist von Frankreich zurück nach Deutschland gezogen. "... und über Nacht war ich Winnetou ...", so heißt ihr eben veröffentlichtes Buch, bestückt mit Erinnerungen aus Pierres Archiv. Zwei unentwickelte Filme hat sie dort gefunden und nie geöffnete Fanbriefe aus Pierres Karriereanfängen in Rom.

Hella Brice erzählt die Geschichte ihres Mannes weiter, so wie der den Winnetou Karl Mays weitererzählt hat. Nach den Filmen ritt er auf die Freiluftbühnen der Republik. Erst sah man ihn in Elspe, dann in Bad Segeberg, später in der TV-Serie "Mein Freund Winnetou". Winnetou, der eigentlich am Hancockberg starb, ist da schon lange auf Pierre Brice übergegangen. Dass er begann, sich seine eigenen Texte zu schreiben, war nur konsequent.

Brice fuhr mit einem Hilfskonvoi nach Bosnien und wurde beschossen, er war unterwegs als Unicef-Botschafter und war bei all dem auch immer Häuptling der Apachen. Eine Erfüllung der Ahnung seines Publikums, das angesichts Winnetous einst gespürt hatte, dass ein bisschen Edelmut fasst in jedem von uns steckt. "Er war es", sagt Hella Brice, "weil er es innerlich war."

Der Schatz im Silbersee, Dienstag und Mittwoch, 4. und 5. Dezember, 19.30 Uhr, Montag, 22. April, 15 und 19 Uhr, Philharmonie, Rosenheimer Str. 5

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SZ vom 04.12.2018/vewo
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