Windsbacher Knabenchor:Der Kronzeuge

Andreas Ebert hat als Windsbacher Sängerknabe am eigenen Leibe Misshandlungen erlebt - und bestätigt die Geschichten von Gewalt und Willkür.

Olaf Przybilla

Seit drei Wochen empfängt die Psychologin Ulrike Winkler von Mohrenfels Anrufe ehemaliger Windsbacher Sängerknaben. Sie hat die Aufgabe, diese zu sammeln und an das Internat in Mittelfranken weiterzuleiten. Es gibt sie, die Anrufe von ehemaligen Sängern, die der Psychologin berichten, dass sie die vielleicht schönste Zeit ihres Lebens in der Kleinstadt bei Ansbach verbracht haben. Aber es gibt mittlerweile auch 30frühere Chorsänger, die ihr von den Leiden in Windsbach berichtet haben.

Die schlimmsten Schilderungen, die vor kurzem kaum einer für möglich gehalten hätte, haben sich durch diese Berichte bestätigt. Der ehemalige Internatsleiter und evangelische Pfarrer Friedrich Höfer soll Buben mit Peitschenschlägen malträtiert haben.

Der Chorgründer Hans Thamm soll, während er dirigierte, einem Chorknaben in den Leib getreten haben. Und das während einer jener Motetten, die die Windsbacher in der Nürnberger Lorenzkirche vorgetragen und die zu ihrem Ruhm beigetragen haben. Diese Geschichte vom brutalen Tritt des Dirigenten während eines Kirchenkonzertes hatte das Internat noch vor kurzem als "nicht bestätigt" bezeichnet. Nun haben sich Augenzeugen gemeldet.

Es gibt zahlreiche ehemalige Windsbacher, die solche Berichte scharf kritisieren. Von "postmortaler Rufschädigung" ist in diesen Erwiderungen die Rede. Aber es gibt auch Menschen wie Andreas Ebert, die sich offenbar entschieden haben, sich diesem Vorwurf auszusetzen.

Ebert war von 1962 bis 1972 Schüler in Windsbach. Er ist heute evangelischer Pfarrer in München und hat nun in der aktuellen Ausgabe vom Evangelischen Sonntagsblatt ein langes Interview über die "Windsbacher Gewaltgeschichte" gegeben, das sich unglaublich liest.

"Als ich einmal falsch gesungen hatte, musste ich 53-mal dieselbe Stelle singen", berichtet der Pfarrer. Der Chorleiter habe dabei verächtlich gegrinst, "als weide er sich an meinen Qualen". Das Sängerheim sei nach einem "System von Befehl und Gehorsam organisiert" gewesen, in dem Schwächen nicht erlaubt waren.

Und alle schwiegen

In den Schlafsaalgruppen, so Ebert, habe es "Obergruppenführer und Untergruppenführer" gegeben. Auch bei kleinen Vergehen hätten Knaben "manchmal im Schlafanzug in Reihe antreten müssen, die Hände an der Hosennaht, die Augen geschlossen". Dann habe "der Gruppenführer zugeschlagen". "Exekution" sei das genannt worden. "Aber wir haben uns nicht getraut, die Gruppenführer zu verpetzen", sagt der Pfarrer.

Der Psychologin Winkler von Mohrenfels hat ein ehemaliger Windsbacher dieses Ritual ähnlich geschildert. "Aber in abgeschwächter Form", sagt sie. Sie berichtet auch von ehemaligen Sängerknaben, die sich fassungslos darüber äußern, was andere ehemalige Windsbacher erlebt haben wollen.

Auch im Sängerheim prallen diese beiden Welten dieser Tage scheinbar unversöhnlich aufeinander. "Momentan verzweifelt jede der beiden Gruppen an den Erfahrungen der jeweils anderen", sagt eine Chorsprecherin.

Eine Brücke über diesen Graben bietet Pfarrer Ebert. Auf die Frage, ob er die Zeit in Windsbach bereue, antwortet er: "Nein! Ganz und gar nicht." Die musikalische Förderung und die Freundschaft untereinander - "gerade unter dem bedrückenden System" - habe er als einen riesigen Schatz empfunden.

Auf die Frage, ob er nach dem Interview im Sonntagsblatt den Vorwurf postmortaler Rufschädigung fürchte, sagte Ebert gestern der SZ: "Nein. Eine prämortale Rufschädigung hat sich ja leider keiner getraut."

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