Süddeutsche Zeitung

Energiewende:Die Windkraft wirbelt Bayerns Regierungsbündnis durcheinander

Vizekanzler Habeck will die Zahl der Windanlagen deutlich erhöhen - auch in Bayern. Warum CSU und Freie Wähler auf die Pläne höchst unterschiedlich reagieren.

Von Johann Osel und Christian Sebald

Gelassenheit bei den Freien Wählern, Rage bei der CSU - es war ein erstaunlicher Widerspruch in den Reaktionen, die am Mittwoch aus der Staatsregierung auf den Windkraft-Vorstoß des grünen Bundesklimaminister Robert Habeck kamen. Da wurde der Gesetzesentwurf aus Berlin publik, wonach jedes Bundesland eine verbindliche Windrad-Quote zugewiesen bekommt. Erfüllt Bayern die Ziele, kann die umstrittene 10-H-Abstandsregel bestehen bleiben. Falls nicht, fällt sie via Bundesrecht weg, Habeck würde also rigoros durchgreifen. Basst scho, teilte sinngemäß Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW) mit: "Wir werden die Vorgaben des Bundes erfüllen", die geplante Lockerung der 10-H-Regel im Freistaat bringe genug Potenzial für Windräder. Eine Anfrage an die Staatskanzlei von Ministerpräsident Markus Söder beantwortete dagegen Bauminister Christian Bernreiter (beide CSU) ganz anders: Er nannte Habecks Entwurf "perfide", rügte eine "Sanktionskeule" und das Prinzip "Brechstange" - der Bund stelle "damit die Windkraft gegen die Menschen".

Politisches Geplänkel, mag man da zuerst denken. Schließlich hat Söder den Ministerinnen und Ministern der CSU mit Blick auf die Landtagswahl 2023 den Auftrag erteilt, keine Chance zu versäumen, gegen die Berliner Ampel zu stänkern - und der im Februar berufene Bernreiter kam dem zuletzt häufig und gerne nach. Auch ist bekannt, dass der Niederbayer Bernreiter dem Niederbayern Aiwanger innerhalb der Koalition das Revier streitig machen soll, wo immer möglich, die Partner werden ja 2023 wieder Konkurrenten sein. Und doch wirft das Dreiecksspiel Habeck-Aiwanger-Bernreiter vom Mittwoch Fragen auf: Wie ist es um die Harmonie von CSU und FW in Sachen Windkraft bestellt? Und mehr noch: Wie steht es nun wirklich um die bayerischen Energiepläne und die Zielmarken der Bundesregierung? Locker umsetzbar, wie Aiwanger nahelegt? Oder kann man Bernreiters Furor eher so interpretieren, dass es bei einem Erhalt der Abstandsregel schwierig wird?

Als zentrales Hemmnis beim Ausbau gilt 10 H

1,1 Prozent der Landesfläche müssen laut Berliner Vorlage, die bald im Bundeskabinett beschlossen werden soll, bis 2026 für Windkraft zur Verfügung stehen, bis 2032 dann 1,8 Prozent. Das liegt knapp unterhalb jener zwei Prozent, von denen bisher meist die Rede war. Aktuell sind im Freistaat gerade mal 0,5 Prozent für den Windradbau vorgesehen, nur auf 0,2 Prozent drehen sich welche. Der Erneuerbare-Energien-Verband führt noch eine andere Zahl als Beleg dafür an, warum Bayern bei der Windkraft weit abgeschlagenes Schlusslicht ist. Hier steht nur alle 62 Quadratkilometer eine Anlage, im ungefähr gleich dicht besiedelten Schleswig-Holstein ist es eine pro fünf Quadratkilometer.

Als zentrales Hemmnis beim Ausbau gilt eben 10 H, wonach neue Windräder mindestens das Zehnfache ihrer Höhe zur nächsten Siedlung entfernt sein müssen, in der Regel sind das zwei Kilometer. Mindestens 800 Windräder will die Staatsregierung mit ihrer teils aufgeweichten Regel ermöglichen: Ein halbierter Abstand greift unter anderem in Wäldern, an Industriegebieten oder Autobahnen. Söder zeigte sich Mitte Mai bei der Präsentation seines Energiekonzepts zuversichtlich, damit das Ziel von zwei Prozent zu erreichen. Eine Gewähr dafür, dass der Freistaat das mit seinen neuen Plänen tatsächlich und vor allem zeitnah schafft, gibt es nicht. Minister Bernreiter behauptet zwar vehement, dass die Windkraft mit den neuen Plänen der Staatsregierung substanziell befördert wird. Aber Fachleute sind - vorsichtig formuliert - sehr skeptisch, so lange entsprechende Flächenvorgaben fehlen. Die müssen Söder und die Staatsregierung nach dem Willen der Bundesregierung nun liefern - und zwar so, dass die Ausbauerfolge realistisch prognostizierbar sind.

Bleibt die Frage nach der Geschlossenheit von CSU und Freien Wählern bei der Windkraft. Da wiederum ist ein Blick in die beiden zurückliegenden Landtagsperioden hilfreich. Die FW, allen voran ihr Vorsitzender Aiwanger, der seit 2018 Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident ist, haben nie einen Zweifel daran gelassen, dass die Windkraft aus ihrer Sicht eine große Chance ist: für die Energiewende und den Klimaschutz genauso wie - in wirtschaftlicher Hinsicht - für die Kommunen und den Mittelstand in den ländlichen Regionen. Die CSU dagegen war nach kurzer Begeisterung für die Energiewende vor regionalen Protesten gegen Windräder eingeknickt und hatte 10 H erfunden, um den weiteren Ausbau der Windkraft möglichst zu erschweren.

Inzwischen trägt die CSU die umstrittene Vorgabe "seit bald zehn Jahren wie das Allerheiligste vor sich her", sagt ein einflussreicher FW-Mann. "Und wie das so ist mit heiligen Kühen: Es fällt einem unendlich schwer, sie zu schlachten." Zumal es jetzt auch noch ein grüner Bundesminister ist, der Söder und seiner CSU durch das Flächenziel das Schlachten von 10 H abverlangt. Den Freien Wählern wiederum kann man vorhalten, so scharf aufs Mitregieren zu sein, dass sie den Anti-Windkraft-Kurs der CSU bislang toleriert haben.

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