Energiewende und Denkmalschutz:Die Kirchtürme der Neuzeit

Der Widerstand gegen die Windräder erscheint absurd. Denn nicht sie verschandeln die Landschaft, sondern monströse Neubauten.

Kommentar von Sebastian Beck

Wer mit offenen Augen durch Bayern fährt, der kann nur darüber staunen, wie dieses Land immer mehr verschandelt wird. Schuld daran sind nicht etwa die verhassten Windräder, sondern die Gedanken- und Kulturlosigkeit, die in geradezu monströsen Neubauten ihren Ausdruck findet. Keine Autobahnauffahrt ohne Logistikhallen, kein Einheimischenmodell ohne Toskanaschachteln samt Metallzäunen, schwarzen Fensterrahmen, Thujenhecken und Steingärten. Bauernhöfe verliehen einst den Regionen ihr unverwechselbares Gesicht, heute gleichen sich die genormten Industrieställe von der Rhön bis nach Berchtesgaden. Seit Jahrzehnten predigen engagierte Architekten und Heimatpfleger landschaftsgebundenes Bauen, doch die in Beton gegossene Antwort darauf lautet: Ihr könnt uns alle mal. Unterdessen veröden die historischen Kerne von Dörfern und Gemeinden und mit ihnen ganz allgemein das Leben auf dem Land, weil vielen Menschen das neue Eigenheim aus Dampfsperren, Klebstoff und Styroporplatten attraktiver erscheint als ein renoviertes Haus mit Geschichte.

Angesichts dessen wirkt das ideologische Gezerre um die Windkraft fast absurd. Um Energiepolitik geht es hier schon lange nicht mehr. Populisten schüren den Widerstand gegen neue Anlagen nach dem Motto: Die linksgrüne Elite stellt uns ihre Windräder vor die Tür, doch ob es hier noch einen Arzt gibt, ist denen egal. So lautet die Erzählung in Ostdeutschland, aber auch in Frankreich und anderen Ländern. Bist du für Windkraft, hast du dich wahrscheinlich auch impfen lassen.

Die CSU befürchtet durchaus zu Recht, dass sich der Stadt-Land-Konflikt auch in Bayern vertiefen könnte, und zwar zu ihren Ungunsten. Deshalb hat sie die 10-H-Regel erfunden und damit den Ausbau der Windkraft faktisch gestoppt, obwohl er dringender nötig ist denn je. Aus diesem Dilemma versucht sich die Staatsregierung nun mit allerlei Ausnahmeregelungen zu befreien: Windkraft ja - aber nur dort, wo sie nicht stört und es eh schon wurscht ist. Also entlang von Autobahnen, in Gewerbe- und Industriegebieten. In dieses Konzept fügt sich auch die Liste mit 100 besonders geschützten Denkmälern ein. Tatsächlich ist ein Windpark vor der Wieskirche oder der Befreiungshalle nur schwer vorstellbar.

Andererseits muss die Staatsregierung den Menschen aber auch die Wahrheit zumuten: Windräder sind die Kirchtürme der Neuzeit. Ohne Veränderungen im Landschaftsbild geht es nicht, sonst sitzen die Bayern irgendwann im Dunkeln - und zwar in Stadt und Land gleichermaßen.

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