Wikipedia-Konferenz in Nürnberg:Das Gehirn der Nation denkt um

Zehn Jahre gibt es Wikipedia schon - doch noch immer hat das Online-Lexikon jede Menge Lücken. Wie es weitergeht mit der Internet-Enzyklopädie, darüber diskutieren Autoren auf einer Konferenz in Nürnberg. Einblicke in eine Welt, in der Information die einzige Autorität ist.

Johannes Laubmeier

Wer an diesem Wochenende das ehemalige Gewerbemuseum Nürnberg betritt, gerät in eine ganz eigene Welt. Im Saal, in dem die deutsche Wikipedia-Gemeinde die nächsten Tagen diskutieren wird, bedankt sich Rob Irgendwer bei Flominator für das Anschließen der Router. Schließlich ist eine funktionierende Internetverbindung Grundvoraussetzung für die knapp 100 Zuhörer im Saal.

Millionster Wikipedia-Artikel erwartet

Beim Online-Lexikon Wikipedia kann jeder mitmachen. Die Artikel werden von der Community verbessert. Eine Redaktion gibt es nicht. Die Zahl der Autoren stagniert derzeit bei etwa 7000.

(Foto: ddp)

Viele sind sowieso schon drin, fast jeder hat einen Laptop auf dem Schoß oder zumindest einen in der Tasche. Drei Tage lang ist das ehemalige Gewerbemuseum Nürnberg das Hauptquartier des freien Wissens. Im Jahr des zehnjährigen Bestehens der deutschsprachigen Version von Wikipedia findet dort die WikiCON 2011 statt.

Auch zehn Jahre nach Gründung des Online-Lexikons ist die Arbeit nach Ansicht von Wikimedia-Geschäftsführer Pavel Richter längst nicht abgeschlossen. Unter anderem in den Bereichen "Mode", "Kunst" und "Kultur" gebe es noch Lücken.

Auf dem Programm des Nürnberger Treffens stehen mehr als 80 Vorträge und Workshops, mehr als 170 Teilnehmer haben sich angemeldet, die meisten davon Wikipedia-Autoren. Wenige Minuten bevor im Saal die Internetverbindung bekannt gegeben wird, läuft die Arbeit an der Anmeldung auf Hochtouren.

Jeder Teilnehmer bekommt eine schwarze Stofftasche. Inhalt: Werbematerialien, Unterlagen zur Konferenz, ein Anstecker und ein Schlüsselband für das Namensschild. Die werden am nächsten Tisch ausgeteilt und auf den meisten steht nicht der echte Name, sondern der Benutzername. Mit denen sprechen sich die Teilnehmer gegenseitig an. Die meisten tragen außerdem einen zweiten Anstecker. Darauf zu sehen ist ein durchgestrichener Fotoapparat. Keine Aufzeichnung der Aufzeichner.

Das, was vielen Mitgliedern von Wikipedia gefällt, ist, dass man als Person zurücktreten kann hinter sein Werk", sagt der Teilnehmer southpark. Vor ein paar Wochen war er auf der Wikimedia-Weltkonferenz in Haifa, in Nürnberg wird er einen Vortrag mit dem Titel "Was ist ein Wiki-Autor" halten. Die Antwort auf diese Frage? "Das Problem ist, dass man das so genau eigentlich gar nicht weiß", antwortet southpark.

"Wir können euch ab morgen sperren, wenn ihr spickt"

Tatsache ist, dass die Zahl der Wikipedia-Autoren von derzeit etwa 7000 stagniert. Immer wieder gäben Wikipedia-Einsteiger nach ihrem ersten Artikel auf, weil sie für angeblich inhaltliche Fehler von der Wikipedia-Community in harschem Ton gerüffelt würden, berichten Kongress-Teilnehmer. "Wir streiten uns weniger, wenn wir uns sehen", sagt auch WiseWoman, die den ersten Vortrag hält. Thema: "Plagiatsjäger werden in 60 Minuten".

WiseWoman steht hinter ihrem Laptop auf dem Aufkleber kleben wie "I love the Net" und "Volkszählung 2011 - Nein Danke". Sie trägt ein rotes T-Shirt. Darauf steht "Thanks Wikipedia". Sie beginnt ihren Vortrag. Nach wenigen Minuten geht im Zuschauerraum eine Hand nach oben. "Gehst du im Zusammenhang mit Plagiaten auch auf Prüfungsordnungen an Hochschulen ein?", fragt einer der Zuhörer. "Hatte ich nicht geplant, kann ich aber machen", antwortet die Referentin. Der Vortrag ändert die Richtung, wird zur Diskussion.

Wikipedia baut auf der Ideologie auf, dass jeder gleich ist, erklärt southpark. Jeder kann mitmachen, kann Artikel erstellen, die dann von der Community editiert und verbessert werden. Eine Redaktion gibt es nicht. Information ist die einzige Autorität und im Zweifelsfall ist Diskussion die Basis der Wikipedianer.

Nach dem Abendessen treffen sich alle wieder im Saal. Pub-Quiz steht auf dem Programm - ohne Hilfe von Wikipedia. "Ich weiß, wie lieb ihr euer W-Lan habt", sagt Rob Irgendwer, "aber denkt dran, wir können euch ab morgen sperren, wenn ihr spickt." Die Teilnehmer werden in zwölf Teams eingeteilt und es geht los. Alle Fragen kommen aus dem deutschen Wikipedia und werden per Twitter live auf die Wand projiziert.

Warum machst du das? Die Frage ist immer gleich. Die Antwort ist immer ähnlich bei den ehrenamtlich tätigen Mitgliedern der Wiki-Projekte: "Es ist ein schönes Hobby." "Es macht Spaß, etwas Bleibendes zu schaffen." "Irgendjemand kann es am Ende gebrauchen." Southpark antwortet: "Ich bin gekommen, weil ich von der Idee des freien Wissen überzeugt bin, geblieben bin ich weil es Spaß macht."

Um viertel vor zwölf verlassen die Teilnehmer langsam das Gebäude. Vor dem Gebäude, etwas den Weg hinunter, laufen in einem Kino die letzten Vorstellungen des Tages. Ein Banner hängt davor. "Tim und Struppi - Ab 27. Oktober im Kino" ist da zu lesen. Es gibt keinen Artikel über den Film im deutschsprachigen Wikipedia. Wahrscheinlich wird ihn bald jemand schreiben. Wer das tut, ist eigentlich egal.

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