Wiederaufnahme im Fall Peggy:Eine Stadt und ihr Stigma

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Der Marktplatz von Lichtenberg im Frankenwald wurde auf der Suche nach Peggy durchforstet. Gefunden wurde nichts, geblieben ist die Hoffnung auf einen neuen Prozess. (Archivbild) (Foto: dpa)

Lichtenberg ist nicht mehr die Stadt mit der Ritterburg, sondern nur noch der Ort, an dem Peggy vor zwölf Jahren verschwand.

Von Katja Auer

Gegen Mittag lichtet sich der Nebel über Lichtenberg und gibt die Baumwipfel im Frankenwald frei und die Windräder, die jetzt nicht mehr in den Wolken rühren müssen. Dass sich jetzt auch endlich die alte Geschichte aufklärt, jenes Drama, das den kleinen Ort im Landkreis Hof schon so lange als Schauplatz stigmatisiert, das hoffen sie an diesem Tag in Lichtenberg.

Dort ist vor zwölf Jahren die neunjährige Peggy verschwunden, sie wurde auf dem Heimweg von der Schule zum letzten Mal gesehen. Seitdem ist sie nicht wieder aufgetaucht. Am 30. April 2004 wurde der geistig behinderte Ulvi K. wegen Mordes an dem Mädchen zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.

In Lichtenberg haben die meisten nie geglaubt, dass es der Gastwirtssohn tatsächlich gewesen ist. "Wenn man dem Ulvi lange genug gesagt hätte, dass der Schnee schwarz ist, hätte der das auch geglaubt", sagt eine Lichtenbergerin am Dienstag. Einen perfekten Mord, noch dazu ohne Leiche, hätte der heute 35-Jährige gar nicht hinbekommen, soll das heißen.

"Da ist was schiefgelaufen", sagt die ältere Dame.

Zweifel gibt es nun auch in der Justiz. Am Dienstag ordnete die 1. Jugendkammer des Landgerichts Bayreuth die Wiederaufnahme des Verfahrens an. Aus zwei Gründen: Zum einen stellte sich die Aussage eines inzwischen gestorbenen Zeugen, der Ulvi K. damals schwer belastet hatte, als falsch heraus. Zum anderen hätten die Ermittler den Verdächtigen mit einem möglichen Tathergang konfrontiert, woraufhin dieser den Mord gestanden habe. Das Geständnis widerrief er zwar mehrmals und wiederholte es vor Gericht nicht. Ein Gutachter, der die Glaubwürdigkeit beurteilen sollte, und das Gericht hätten aber nicht gewusst, dass die Polizisten Ulvi K. den Ablauf des Mordes suggeriert hatten.

Für Ulvi K. gilt jetzt wieder die Unschuldsvermutung. Frei kommt der 35-Jährige dennoch nicht, denn ins Bezirkskrankenhaus Bayreuth wurde er wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern eingewiesen. Die lebenslange Haftstrafe wegen des Mordes an Peggy hat er bis heute nicht angetreten.

"Da ist was schiefgelaufen", sagt die ältere Dame. Gerade unterhält sie sich mit einem Mann über das Wiederaufnahmeverfahren. Sie glaubt nicht an die Schuld von Ulvi K. "Wenn man den kennt. . .", sagt sie und stockt. Es sei gut, wenn der Fall nun wieder aufgerollt werde, sagt sie, vielleicht komme dann die Wahrheit ans Licht.

Das wünscht sich auch Bürgermeisterin Elke Beyer. "Es ist gut, dass alles noch mal von Grund auf behandelt wird", sagt sie. Sie gehört ebenfalls zu jenen, die an dem Urteil gegen Ulvi K. zweifeln. Sie habe damals eher gedacht, dass Peggy verschleppt worden sei, sagt sie. Deswegen habe sie einen kleinen Funken Hoffnung, dass das Mädchen noch am Leben sein könnte.

Draußen vor dem Rathaus steht ein Christbaum und über der Straße hängt die Weihnachtsbeleuchtung. Es könnte so idyllisch sein. Seit Jahren kämpft Elke Beyer um den Ruf ihrer Stadt, die eine der kleinsten in Bayern ist, aber das Stadtrecht schon seit vielen Hundert Jahren besitzt. Die schöne Lage im Frankenwald, die alte Burg der Freiherren von Waldenfels, auf der im Sommer ein großes Fest gefeiert wird, der Werbespruch von der "Ritterstadt mit Tradition" - nicht darauf wird sie angesprochen auswärts, sondern darauf, ob sie aus jenem Lichtenberg komme, wo die kleine Peggy verschwunden sei.

Und auch im Ort selbst sei all die Jahre darüber geredet worden, sagt Beyer, mal mehr und mal weniger intensiv. Im Frühjahr mehr, als die Polizei wieder einmal anrückte, mit schwerem Gerät diesmal, und einen Hinterhof am Marktplatz metertief aufgrub. Es soll Hinweise gegeben haben, dass die Leiche des Mädchens dort liegen könnte. Gefunden haben die Ermittler nichts, die paar Knochensplitter, die in der ehemaligen Sickergrube auftauchten, stammten nicht von Peggy. Ein paar Tage Aufregung, ein paar Tage Medienansturm, dann war es wieder ruhig in Lichtenberg.

Landgericht Bayreuth
:Fall Peggy wird neu aufgerollt

Lichtenberg kommt nicht zur Ruhe. Mehr als zwölf Jahre nach dem Verschwinden der kleinen Peggy wird das Strafverfahren gegen den verurteilten Mörder Ulvi. K. neu aufgerollt. Die Zweifel an seiner Schuld waren nie verstummt.

Das Loch ist längst zugeschüttet, und im Hof überwintert ein großer künstlicher Seeadler. Es sind nur ein paar Schritte über die Straße zu dem Haus, wo Peggy mit ihrer Mutter wohnte. Die zog bald nach dem Verschwinden ihrer Tochter weg. Die Fensterläden sind heruntergelassen. Überhaupt ist kaum jemand unterwegs in Lichtenberg. Früher gab es einen Metzger und ein Lebensmittelgeschäft, übrig geblieben sind der Bäcker und der Friseur. Viele Lichtenberger arbeiten anderswo, andere sind längst weggezogen. Der demografische Wandel plagt auch das Ritterstädtchen.

Zwei Frauen plaudern am Marktplatz, die Einkaufskörbe über dem Arm. Nein, um die Peggy gehe es gerade nicht, sagen sie, aber froh seien sie schon um das Wiederaufnahmeverfahren. Vielleicht werde der Fall ja jetzt geklärt. Und wenn es tatsächlich stimmt, sagt die eine, dass der Ulvi es nicht gewesen ist, dann müssten sich die Medien und die Polizei eigentlich entschuldigen. Dafür, dass soviel Schlechtes gesagt worden ist über Lichtenberg.

© SZ vom 11.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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