Wetterforscher Wolfgang Fricke:"Extremes Wetter wird zunehmen"

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Hagel, Sturmböen, Blitzeinschläge: In den vergangenen Wochen hat es immer wieder Unwetter gegeben. Müssen sich die Deutschen auf mehr Wetterkapriolen einstellen? Wolfgang Fricke vom Deutschen Wetterdienst über die Ursache von Extremregen - und die Frage, ob am Starnberger See bald Palmen wachsen.

Michael Ruhland

Sie messen, werten aus und warnen: 50Wissenschaftler und Mitarbeiter arbeiten am Meteorologischen Observatorium des Deutschen Wetterdienstes (DWD) auf dem Hohenpeißenberg, der ältesten Bergwetterstation der Erde. Nach dem verheerenden Hagelunwetter 1984 baute der DWD ein Frühwarnsystem für Unwetter auf. Observatoriumsleiter Wolfgang Fricke erklärt, warum wir uns auf mehr Gewitter einstellen müssen.

Wolfgang Fricke leitet das Frühwarnsystem des Deutschen Wetterdienstes am Hohenpeißenberg. (Foto: oh)

Wenn es zurzeit schüttet, dann aus Kübeln. Viele Menschen sind beunruhigt, fürchten um ihre Häuser. Zu Recht?

Diese Furcht ist in Teilen berechtigt. Wir messen hier am Hohenpeißenberg die täglichen Niederschlagsmengen seit 1879. Insgesamt hat die Menge seit damals um zehn Prozent zugenommen. Die Starkniederschläge, also Tage mit mehr als 30 Millimetern, verdoppelten sich.

Und zwar in jüngerer Zeit?

Nein. Die Verdoppelung ist schleichend über die vielen Jahrzehnte geschehen. In den letzten Jahrzehnten, in denen es deutlich wärmer geworden ist, hat sich keine Veränderung mehr ergeben. Das ist wichtig. Die Menschen, die jetzt von Unwettern betroffen sind, sagen verständlicherweise: Katastrophe, Katastrophe. Aber die Daten geben nicht so viel Dramatik her, wie man subjektiv empfindet.

Aber es ist doch mehr Energie in der Atmosphäre, die mehr Wolkenbrüche erwarten ließe.

Das ist richtig. Mit der Zunahme der Temperatur gibt es mehr Verdunstung, deshalb muss es letztlich auch mehr regnen. Diese einfache Aussage gilt aber nur im weltweiten Mittel. Lokal entscheiden die Häufigkeiten der Wetterlagen, ob mehr oder weniger Regen fallen kann.

Den Leuten laufen derzeit jedenfalls regelmäßig die Keller voll. Was sind die Ursachen für Platzregen, die wie ein Wasserfall vom Himmel rauschen?

Die Ursachen sind Temperaturgegensätze: Wir haben in Bodennähe hohe Lufttemperaturen und bekommen von Westen kühlere Luft in der Höhe herein, die die Wolken- und Niederschlagsbildung verstärken: Daraus bilden sich solche heftigen Schauer und Gewitter. Das haben wir aber im Grunde in jedem Sommer.

Viele Menschen haben aber den Eindruck, dass die Gewitter stärker werden. Gibt es solch einen Trend?

Wir müssen im Zuge des Klimawandels damit rechnen, dass die Extremereignisse zunehmen. Darauf müssen wir uns einstellen. Wir sehen im Moment noch keine dramatische Entwicklung - das kann sich aber ändern.

Steigt auch die Blitzhäufigkeit?

Auch damit müssen wir rechnen. Wenn es wärmer wird, hat man bei Gewittern häufig mehr Blitze.

Warum hagelt es gerade am späten Nachmittag eigentlich besonders häufig?

In Gewitterwolken herrschen ganz starke Aufwinde. Diese reißen die Regentropfen in größere Höhen, wo Temperaturen deutlich unter 0 Grad Celsius herrschen. Sie gefrieren und fallen wieder nach unten. Wenn sich das mehrfach wiederholt, bilden sich mehrere Eisschichten. Deshalb sieht Hagel zwiebelförmig aus. Abends, wenn der Aufwind nicht mehr ausreicht, fällt der Hagel aus der Wolke heraus.

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Heftiger Dauerregen sorgt in Bayern für Chaos auf den Straßen. In München ist das Wasser in die Pasing-Arcaden eingedrungen. Jede Menge Arbeit haben nun die Feuerwehrleute - die dennoch Zeit finden, auch bei vergleichsweise kleinen Nöten zu helfen. Eindrücke in Bildern.

Drohen uns auch stärkere Hochwasser? Wir hatten in den vergangenen zwölf Jahren zwei Jahrhundertfluten: 1999 und 2005.

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Das Potential für mehr Hochwasser steigt. Ob es auch dazu kommt, entscheiden die Häufigkeiten der Wetterlagen, die sich verstärkend oder abschwächend auswirken.

Wie gut sind Ihre Möglichkeiten, Unwetter vorherzusagen?

Die Feuerwehren sind sehr dankbar dafür, dass sie eine halbe bis eine Stunde vor Ankunft eines Unwetters durch unser Frühwarnsystem "Konrad" gewarnt werden und früh ihr Personal alarmieren können.

Sie können regional genaue Unwetterprognosen liefern?

Es gibt vom Deutschen Wetterdienst über ganz Deutschland verteilt 17 Radarsysteme für Niederschläge, die jeweils einen Umkreis von 100 bis 200 Kilometern abdecken. Die Daten werden zu einem großen Deutschlandbild zusammengestellt. Diese Bilder haben wir alle fünf Minuten, deshalb können wir sehen, wie die Unwetter ziehen und ob sie sich verstärken oder abschwächen. Wolken mit Hagel oder großem Niederschlagspotential reflektieren den Radarstrahl viel stärker als Wolken mit dünnem Regen. Wir können auch die Windverteilung in den Wolken sehen und abschätzen, ob sich Windhosen bilden können.

Man hat das Gefühl, seit der DWD 2005 in die Kritik kam, zu wenig Niederschläge vorhergesagt zu haben, gibt er ständig Unwetterwarnungen heraus.

Das kann ich nicht bestätigen. Wenn zu häufig gewarnt wird, hört keiner mehr hin. Wir machen die Warnungen so präzise wie möglich. Sie werden allerdings in den letzten Jahren zunehmend in den Medien veröffentlicht. So entsteht der Eindruck von mehr Warnungen.

Wettergeschehen ist etwas Temporäres, Klimawandel geht über lange Dekaden. Kann man überhaupt verlässliche Prognosen über die Auswirkungen der globalen Klimaerwärmung auf einen Großraum wie München machen?

Ich bin mit regionalen Klimaprognosen sehr vorsichtig: Wir können nicht prognostizieren, wie unterschiedlich sich das Klima zum Beispiel zwischen München und Augsburg entwickelt. Wir können aber aufgrund unserer Beobachtungsreihen und Modelle Aussagen über wahrscheinliche Entwicklungen treffen.

Was passiert, wenn die Temperatur nicht nur um zwei Grad ansteigt, wie es das Ziel des Weltklimarates ist, sondern um vier bis fünf Grad? Wird das Alpenvorland allmählich subtropisch?

Es wird in der Tendenz leicht oberitalienisch. Wir merken jetzt schon in den Frühjahrsmonaten, dass das Wetter "schön" geworden ist und deutlich wärmer. Wir haben zu der Zeit mehr Hochdruckgebiete und sozusagen schon leicht mediterranes Klima. Wir werden aber wahrscheinlich auch in 50 Jahren noch keine Palmen am Starnberger See haben.

© SZ vom 13.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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