Wernher-von-Braun-Gymnasium:"Pädagogisch katastrophal"

Wernher von Braun

Er war ein Pionier der Raumfahrt, doch vor allem wird Wernher von Braun mit NS-Verbrechen in Zusammenhang gebracht.

(Foto: dpa)

Das Wernher-von-Braun-Gymnasium in Friedberg kündigt an, seinen umstrittenen Namen abzulegen. Doch Äußerungen des Direktors und eines Lehrers rufen neue Kritik hervor. Sogar Minister Spaenle geht nun auf Distanz.

Von Stefan Mayr und Wolfgang Wittl

Bernhard Grubers Pressemitteilung war sicherlich als Befreiungsschlag gedacht. Sie sollte Druck nehmen von der Schule, von den Schülern und auch von ihm selbst. Der Direktor des Wernher-von-Braun-Gymnasiums in Friedberg kündigte am Montag an, die Schule werde ihren umstrittenen Namen baldmöglichst ablegen. Dennoch ist weder an der Schule noch in der Öffentlichkeit Ruhe eingekehrt. Im Gegenteil: Grubers schriftliche Begründung sowie die Aussage eines Lehrers in einem TV-Beitrag rufen weitere scharfe Kritik hervor. Selbst Bildungsminister Ludwig Spaenle (CSU), der die Friedberger Pädagogen bislang stets in Schutz nahm, geht nun merklich auf Distanz.

Kritiker vermissen eine Distanzierung des Schulleiters vom Wirken des Raketen-Ingenieurs, der in das tödliche Zwangsarbeiter-System des NS-Regimes verstrickt war. "Meines Erachtens ist eine entschiedene Distanzierung der Schule von Braun dringend notwendig", sagt Albin Dannhäuser, Ehrenvorsitzender des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrer-Verbands (BLLV). "Sie hätte in der Reaktion der Schule unmissverständlich zum Ausdruck gebracht werden müssen." Jens-Christian Wagner, Leiter der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora, bezeichnet die fehlende Distanzierung als "sehr unschön" und stellt fest: "Eine kritische Auseinandersetzung kann man da nicht herauslesen."

Im Konzentrationslager Mittelbau-Dora war während des Zweiten Weltkrieges Brauns Vernichtungsrakete V2 gebaut worden, in den unterirdischen Stollen kamen Tausende Zwangsarbeiter zu Tode. Unter Historikern ist es seit Jahren Konsens, dass Braun von den unmenschlichen Arbeits- und Lebensbedingungen der Opfer wusste. "Erschwerend kommt hinzu, dass er sich nach 1945 nie für sein abgrundtiefes Fehlverhalten entschuldigte", sagt Dannhäuser. Darum sei es "aus geschichtlicher Verantwortung unerträglich und aus pädagogischem Grundverständnis skandalös, wenn das Gymnasium diesen Namen länger beibehält".

Minister Spaenle - selbst promovierter Historiker - fordert den Schulleiter indirekt auf, sich von Braun zu distanzieren: "Ich gehe davon aus, dass sich Oberstudiendirektor Dr. Gruber nach Abschluss der entsprechenden Leitbilddiskussion auch noch einmal klar inhaltlich äußert." Gruber seinerseits beschränkt sich in seiner Erklärung auf Rechtfertigungen und Vorwürfe an die Medien. Ihm zufolge seien die Schüler "bundesweit in ein dermaßen schiefes Licht gerückt" worden, "dass wir uns nun zu sofortigem Handeln gezwungen sehen".

Er begründet die Umbenennung also nicht mit der Einsicht in die Untragbarkeit des Namens, sondern mit einer unfairen Berichterstattung. Diese Argumentation bezeichnet der ehemalige KZ-Insasse Max Mannheimer, Vorsitzender der Lagergemeinschaft Dachau e.V., als "eigenartig": "Er könnte seine Schüler besser schützen, indem er ihnen die Wahrheit sagt und erklärt, dass Humanität an erster Stelle steht und weit vor Genie kommt."

Welche Folgen der bisherige Umgang der Schule mit dem Thema haben kann, machte ein Schüler im ARD-Magazin "Kontraste" deutlich: "Okay, es sind zwar Leute gestorben, aber für viele Sachen sterben Leute", sagte er, "das ist schon Scheiße, aber ich finde das nicht so schlimm." Diese Äußerung bezeichnet Minister Spaenle als "nicht akzeptabel". BLLV-Ehrenpräsident Dannhäuser spricht sogar von einer "pädagogisch katastrophalen" Aussage. Dem Schüler selbst machen die Kritiker dabei keinen Vorwurf - sondern eher den Lehrern, die laut Dannhäuser "nicht nur Wissen und Können vermitteln, sondern auch Herz und Charakter zu bilden haben".

In diesem Zusammenhang stößt vor allem die Äußerung eines Physiklehrers vor der ARD-Kamera auf Kritik. Der Pädagoge hatte Braun als Vorbild für die Jugend bezeichnet - im selben Atemzug mit der Feststellung: "Er war rücksichtlos im Bezug auf Durchsetzen seiner wissenschaftlichen Interessen, was es übrigens auch brauchte. Die andere Seite ist: Er war Jahrzehnte an einem Thema dran, bis es geklappt hat." Diese Aussage kommentiert Spaenle so: "Der zitierte Satz muss nachdenklich machen." Schulleiter Gruber betont, der Satz sei aus dem Zusammenhang gerissen. Diesen Vorwurf weist wiederum ARD-Reporter Christian Humbs zurück. In seinem Beitrag kamen auch Gymnasiasten zu Wort, die sich mit Brauns Vergangenheit kritisch auseinandersetzen.

Eine Untersuchung im Auftrag des Bildungsministeriums hatte ergeben, dass mehrere bayerische Schulen den Namen von Personen tragen, die sich während des NS-Regimes Schuld aufgeladen haben. Dabei handelt es sich neben dem Friedberger Gymnasium um die Hans-Herrmann-Schule in Regensburg und die nach Erwin Lesch benannten Förderzentren in Unterhaching, Neumarkt und Neuburg. Nach Albin Dannhäusers Aussage waren Lesch und Herrmann "nicht so massiv" ins NS-Regime verstrickt wie Braun. Dennoch haben zwei Schulen sogleich Konsequenzen gezogen: Christian Schwab, Leiter des Sonderpädagogischen Förderzentrums im oberpfälzischen Neumarkt, sagt, die ganze Schulfamilie sei erschüttert gewesen, als sie von der fragwürdigen Vergangenheit Erwin Leschs erfuhr. Bereits im Juli wurde beschlossen, den Namen abzulegen. Ähnlich fiel die Reaktion in Unterhaching aus.

In Regensburg führte die Auseinandersetzung um die Hans-Herrmann-Schule zu politischen Verwerfungen. Ein Stadtrat der ÖDP verließ seine Fraktion im Streit, weil er die Forderung nach einer Umbenennung für überzogen hielt.

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