Weniger Singvögel:Sag mir, wo die Amseln sind

AMSEL-JUNGES WARTET AUF FUTTER

Ein Amsel-Junges wartet mit aufgerissenem Schnabel auf die Fütterung durch die Amsel-Mutter.

(Foto: DPA/DPAWEB)

Zu wenige Regenwürmer, ein böses Virus oder extreme Klimaschwankungen? Die Zahl der Amseln ist in Bayerns Städten stark zurückgegangen. Die Ursachen sind unklar - nun schlagen Vogelschützer Alarm.

Von Christian Sebald

Manfred Siering erinnert sich genau. "Früher, da hatten wir das ganze Jahr über wenigstens drei bis vier Amseln im Garten", sagt der Vorsitzende der Ornithologischen Gesellschaft in Bayern, "wir haben einige alte Eiben, da sind sie abends immer zum Schlafen reingeflitzt." Und jetzt? "Jetzt ist nur noch ein altes Amsel-Weibchen da, alle anderen sind weg", sagt Siering. "Ich kenne keine Vogelart, die so einen Schwund erlebt wie die Amsel." Siering ist mit seiner Beobachtung nicht alleine. Überall aus Bayern erreichen den Vogelschutzbund LBV Meldungen, dass es immer weniger Amseln gibt.

Ausgerechnet die Amsel, möchte man ausrufen. Die Amsel ist doch der Allerweltsvogel schlechthin. In jedem Innenhof, in jeder Anlage, auf jedem Platz und erst recht in jedem Garten tummeln sich die schwarzgefiederten Vögel mit dem markanten gelben Schnabel und dem flötenden Gesang. In den Rankings der häufigsten Vögel in Bayern rangierten die Amseln mit den Kohlmeisen und Spatzen regelmäßig auf den Rängen eins bis drei. Doch nun ist alles anders.

Nicht dass die Amsel plötzlich eine gefährdete Vogelart ist. Aber ob es die "Stunde der Wintervögel" oder andere Zählaktionen sind: Die Amsel kommt nicht mehr über Rang sechs hinaus - schon seit einigen Jahren. Nun sind die Vogelschützer gespannt, was die nächste "Stunde der Wintervögel" erbringt. Von 3. bis 6. Januar sind alle Vogelfreunde in Bayern aufgerufen, in ihren Gärten, in Innenhöfen, in Anlagen, an Futterhäuschen und auf Plätzen eine Stunde lang Vögel zu zählen und die Ergebnisse dem LBV zu melden. Besonderes Augenmerk sollen sie auf die Amseln legen.

Es kommt immer wieder vor, dass eine Vogelart einen dramatischen Rückgang erlebt. Infektionen raffen mitunter Abertausende Tiere dahin. Das Usutu-Virus zum Beispiel, das durch Stechmücken übertragen wird und Vögel, Säugetiere und Menschen befällt, kam bis vor wenigen Jahren nur in Afrika vor. Im Zuge des Klimawandels hat es sich nach Norden ausgebreitet. Bei Menschen verläuft eine Infektion glimpflich, die Symptome ähneln denen einer Sommergrippe.

Für Vögel ist sie tödlich. Im Sommer 2011 wurde das Virus erstmals im Drei-Länder-Eck Baden Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen an toten Amseln nachgewiesen. Zugleich berichteten Vogelfreunde, dass sie auffällig wenig Amseln beobachtet hätten.

Auch ein so nasses und eiskaltes Frühjahr wie 2013 tut den Amseln nicht gut. "Da geht der Nachwuchs in den Nestern zugrunde, bevor er flügge ist", sagt LBV-Chef Ludwig Sothmann. 2012 war es andersherum. Da war das Frühjahr so warm und so trocken, dass es kaum Regenwürmer im Boden gab. "Aber die sind die Hauptnahrung der Amseln", sagt Sothmann. "Gibt es in der Brutzeit wenig Regenwürmer, fehlt auch der Nachwuchs."

Und dann ist da noch die Sache mit den Stadt- und den Waldamseln. Amseln waren durch die Jahrhunderte hinweg Zugvögel. Sie flogen in der kalten Jahreszeit gen Süden und überwinterten dort. Mit der Industrialisierung und der Urbanisierung folgten die Amseln den Menschen in die Städte und akklimatisierten sich im wahrsten Sinne des Wortes. "In den Städten ist es winters im Schnitt zwei, drei Grad wärmer als auf dem Land, außerdem ist das Nahrungsangebot besser", sagt Sothmann. "Seit Anfang des 20. Jahrhunderts überwintern die Stadtamseln hier bei uns."

Die Waldamseln hingegen ziehen nach wie vor gen Süden. Das ist nicht der einzige Unterschied. Vogelexperten wie Siering wollen beobachtet haben, dass es nur die Stadtamseln sind, deren Zahl dramatisch schwindet. "Die Waldamseln sind offenbar deutlich vitaler."

Wie auch immer, beim LBV sind sie in großer Sorge. "Für gewöhnlich haben unsere Vogelarten ja eine so hohe Reproduktionskraft, dass sie massive Ausfälle binnen Jahresfrist wettmachen", sagt Sothmann. "Dass die Amsel auf so niedrigem Level stagniert, ist nicht normal." Sollte die "Stunde der Wintervögel" den Negativtrend bestätigen, wird der LBV dem Schwund wissenschaftlich auf den Grund gehen. "Dann starten wir ein Forschungsprojekt", sagt Sothmann. "Die Amsel kennt ein jeder, sie ist der Vogel schlechthin. Wir dürfen nicht zusehen, wie sie immer seltener wird."

Stunde der Wintervögel von 3. bis 6. Januar. Siehe auch www.stunde-der-wintervoegel.de

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