Wendemanöver von Horst Seehofer:Wende ohne Ende

Ändert öfter mal seine Meinung: CSU-Chef und bayerischer Ministerpräsident Horst Seehofer.

Ändert öfter mal seine Meinung: CSU-Chef und bayerischer Ministerpräsident Horst Seehofer.

(Foto: Getty Images)

Atomkraft, Studiengebühren, Donauausbau: Ministerpräsident Seehofer versucht, umstrittene Themen vor der Wahl zu entschärfen. Und ändert dabei permanent seine politische Meinung. Ein Überblick über Seehofers jüngste und beste Wendemanöver.

Von Frank Müller und Mike Szymanski

Die Kehrtwende sei bei Horst Seehofer schon längst zur bevorzugten Fortbewegungsart geworden, spottet dessen SPD-Gegenkandidat Christian Ude gern. Und in der Tat haben bei manchen Volten des Regierungschefs zuletzt auch Parteifreunde schon mal den Überblick verloren, wofür sie gerade sein sollen. Doch es ist, wie immer, eine Frage der Perspektive. Horst Seehofer meint auf solche Angriffe stets nur, sie zeigten vor allem die Kleingeistigkeit des Angreifers. "Dreidimensional" müsse man die Probleme sehen und nicht aus dem Blickwinkel des Mäusekinos. Erkennbar jedenfalls geht es Seehofer darum, Umstrittenes rechtzeitig vor der Wahl zu entschärfen. Ein Überblick der SZ über Seehofers jüngste und beste Wendemanöver:

1. Vernunftwende: Donauausbau

Es geht um weit mehr als bloß um einen Schiffsausflug, wenn Horst Seehofer an diesem Montag zur großen "Donaubereisung" aufbricht. Einen Tag lang will er sich entlang der Donau über Vor- und Nachteile des Ausbaus des letzten freifließenden Abschnitts mit Staustufen informieren. So viel steht schon fest, er will bei dieser Gelegenheit ein großes Stück Regierungskunst aufführen. Längst hat Seehofer seine Partei darauf eingestimmt, dass der seit Jahrzehnten von der CSU geforderte Ausbau zur Wasserstraße wohl nicht mehr kommen wird. Die Zeiten, in denen die CSU mit Beton Politik gemacht und sich in nahezu größenwahnsinnige Projekte gestürzt hat, sind vorbei. Diese Wende hat Seehofer akribisch vorbereitet. Wochen bevor eine 33 Millionen Euro teure Studie über Sinn und Zweck des Projekts veröffentlicht wurde, schickte er seinen Umweltminister Marcel Huber (CSU) vor, um die Deutungshoheit zu erlangen. Huber plädiert für die sanfte Ausbauvariante ohne Staustufe und auch Seehofer betont seit Tagen, wie wichtig den Bayern eine intakte Landschaft sei. Diese Wende schont nicht nur die Natur, sondern auch die CSU im Landtagswahlkampf: Massenproteste sind nicht mehr zu erwarten.

Haltungsnote: Elegant.

Schwierigkeitsgrad: Hoch. Die Fähigkeit, große Infrastrukturprojekte zu stemmen, steht auf dem Spiel.

2. Panikwende: Studiengebühren

Es war ein Umsturz auf Wiedervorlage: Gegen die von Vorvorgänger Edmund Stoiber eingeführten Studiengebühren war Horst Seehofer schon immer, und das nicht einmal aus opportunistischen Gründen. Freier Zugang zur Bildung entspricht tiefer innerer Überzeugung beim Herz-Jesu-Sozialisten Horst S. Schon vor einem Jahr testete er in der Fraktion aus, ob die eine Wende mitmachen würde. Er holte sich ein klares Nein ab, das ihm Fraktionschef Georg Schmid sogar schriftlich gab. Gut ein Jahr danach bot eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs Seehofer die Gelegenheit für eine Neuauflage. Die Richter ließen das Volksbegehren gegen die Gebühren zu, für Seehofer war es sofort ausgemachte Sache, dass nun die CSU sich von den Zwangsbeiträgen verabschieden muss. Doch leider war er sich dieser Sache so sicher, dass er den Koalitionspartner FDP gar nicht mehr wahrnahm. Der hält an den Gebühren fest, das Bündnis schlitterte in eine seiner größten Krisen. Weil Seehofer das nicht wahrhaben wollte, kam er so ins Rudern, dass er diese mit jeder neuen Idee nur verschlimmerte.

Haltungsnote: Halsbrecherisch.

Schwierigkeitsgrad: Echte Herausforderung. Das Ende ist noch immer offen.

3. Schleppwende: Amerika-Haus

Das Münchner Amerika-Haus zeigt, was passiert, wenn man den richtigen Zeitpunkt für eine Wende verpasst. Seit Monaten schleppte Seehofer das Thema mit sich herum, dass er das traditionsreiche und von den Münchnern gemochte Haus einer bis dahin nur wenigen bekannten Technik-Organisation Acatech versprochen hatte. Der Ministerpräsident hätte sich elegant dem wachsenden Protest beugen können, doch er blieb stur. Dabei unterlief ihm, was nicht oft vorkommt: Er schätzte die Stimmung der Menschen falsch ein. Am Ende blieb dem CSU-Chef vor wenigen Tagen nur noch der Notausgang. Er bekam einen kritischen Bericht des Obersten Rechnungshofs zum Amerika-Haus in die Hände und interpretierte ihn eigenwillig. Mit dem Bericht hätte sich auch die komplette Stilllegung des Haus-Betriebs begründen lassen, was Seehofers ursprünglichen Plänen hätte dienen können. Doch nun beklagte Seehofer wortreich drohende Verzögerungen und quartierte die Acatech einfach in der Lottoverwaltung gegenüber am Karolinenplatz ein.

Haltungsnote: Holprig.

Schwierigkeitsgrad: Verschärft. Denn Seehofer steht sich selbst im Weg.

4. Totalwende: Atomkraft

Als es am 11. März 2011 im japanischen Fukushima zur Reaktorkatastrophe kommt, hält die Welt den Atem an. Auch in der CSU ist den Strategen schnell klar: Der atomfreundliche Kurs der Christsozialen führt jetzt nicht mehr weiter. Als erster meldet sich einer zu Wort, der es in Sachen Wendigkeit fast mit Parteichef Horst Seehofer aufnahmen kann: der damalige Umweltminister Markus Söder. "Japan verändert alles" - das ist das Kommando zur Wende. Es entfacht einen heftigen Streit in der CSU. Viele kommen gar nicht so schnell hinterher, wie Seehofer die alte Position räumt und sich an die Spitze der Ausstiegsbewegung setzt. Bei der Vorstandsklausur auf dem Heiligen Berg in Andechs kommen in einer nahezu siebenstündigen Debatte alle Zweifel auf den Tisch. Aber die lassen Seehofer unbeeindruckt. Er spürt, dass es keine Alternative zum Ausstieg gibt, die nach Fukushima noch in der Bevölkerung akzeptiert würde. Er zwingt seine CSU und den Koalitionspartner FDP mit aller Gewalt auf Ausstiegskurs. Bis 2022 will er alle Meiler abschalten. Das Ziel steht fest, der Weg dorthin nicht. Die Umsetzung der Energiewende macht Probleme. Der Strom wird teuer, die Meiler zu ersetzen, ist komplizierter als gedacht.

Haltungsnote: Brachial und nicht schön.

Schwierigkeitsgrad: Extrem schwer.

5. Turbowende: Euro

Die Haltung der CSU zum Euro und dessen Rettung ist schon seit längerem die eines ständigen Ausbalancierens. Seehofer zieht rote Linien, an denen Schluss sein soll. Doch dieselben erweisen sich dann immer wieder als dehn- und verschiebbar, sodass sich Seehofer intern schon vom Euro-Kritiker Peter Gauweiler verspotten lassen musste: Seehofers rote Linien seien wohl eher Wanderdünen. Beim CSU-Parteitag in München legte Seehofer dann einen halsbrecherischen Gewaltakt hin. Während die Delegierten langsam eintrafen und sich auf eine Euro-Debatte vorbereiteten, legte Seehofer vor den Türen von einem Reporterpulk umringt die Euro-Wende hin. Griechenland werde über das bisher beschlossene Maß hinaus unterstützt, verkündete Seehofer innerhalb weniger Minuten und schwenkte damit auf die Linie des Parteitags-Gasts Angela Merkel ein. Das ging selbst den Schnellsten seiner Getreuen zu schnell. Einer der Minister, der sich noch vorher bei ihm erkundigt hatte, ob es einen neuen Kurs gebe, bekam zur Antwort: Nein, wieso? Beim Parteitagsabend war der Kabinetts-Mann noch immer sprachlos. Seitdem hat Seehofer aber nicht mehr von roten Linien gesprochen.

Haltungsnote: Zupackend.

Schwierigkeitsgrad: Überraschend gering.

Was noch zu tun bleibt

Noch immer gibt es Felder, auf denen Seehofer Unheil wittert, weil sie der Opposition in die Hände spielen könnten. Gut möglich, dass sie zum Schauplatz künftiger Wenden werden. Drei Prognosen:

1. Die GBW-Wohnungen: Den geplanten Verkauf der staatlichen Wohnungsbaugesellschaft schlachtet Ude genüsslich aus. Ob am Ende doch der Staat die 33.000 Wohnungen übernimmt?

2. Die Altersgrenze: Viele Bürgermeister und Landräte sind empört, weil Schwarz-Gelb ihnen aus Altersgründen den Wiederantritt verbieten will. Ob Seehofer diese Zwangspension doch noch kippt?

3. Die Schuldentilgung: Alle Staatsschulden will Seehofer bis zum Jahr 2030 zurückgezahlt haben. Doch auf Bayerns Haushalt kommen schwierigere Zeiten zu. Ob am Ende auch das Jahr 2050 langt?

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