Weltenbummler:Der Bayer, der am Hof des Dalai Lama wohnte

Weltenbummler: Drei Monate hat Georg Kirner am Hof des Dalai Lama gelebt.

Drei Monate hat Georg Kirner am Hof des Dalai Lama gelebt.

(Foto: privat)

Georg Kirner war als erster Bayer zu Fuß am Südpol und bereiste fast 200 Länder. Doch viele Paradiese, die der heute 81-Jährige bereiste, existieren heute nicht mehr.

Von Hans Kratzer, Baldham

Georg Kirner ist in seinem Leben dreimal vom Himmel gefallen, aber er lebt immer noch. Beim ersten Absturz saß er in einem Kleinflieger, dem über der Insel Borneo der Sprit ausging. Später flog er in einer mit 156 Passagieren besetzten Propellermaschine mit, die auf dem Flug von Hongkong nach Manila gegen einen Berg krachte. Nur vier Fluggäste überlebten das Inferno, auch Kirner, der gerade auf der Bordtoilette saß.

Glück im Unglück hatte er auch in Neuguinea, wo er mit einer Cessna während eines Unwetters in den Urwald stürzte. "Ich war im Wrack eingeklemmt und spürte die Füße nicht mehr", erinnert er sich. Zum Glück hatten Eingeborene den "Göttervogel" beim Absturz beobachtet. Mit Stangen fischten sie den Verletzen aus der Maschine, einer drehte dann eine Art Zigarette, obwohl in der Luft der Duft des Kerosins hing. In Kirner stieg Panik auf. "Du rauchst jetzt!", befahl der Buschmann drohend, es war ein lebensrettendes Narkotikum.

Körperlich haben diese Unfälle bei dem Weltenbummler, der in wenigen Wochen 81 Jahre alt wird, kaum Spuren hinterlassen. Er wirkt für sein Alter ungewöhnlich agil. Gleichwohl, so unerschrocken sich Kirner sonst auch geben mag: Wenn man die Abstürze erwähnt, wird er, der leidenschaftliche Erzähler und Gaudibursch, einsilbig. "Solche Erlebnisse sind schwer zu verdauen", sagt er. "Da musst du stark sein, ich darf das nicht zu intensiv erzählen."

Diese Erinnerungen würde Georg Kirner am liebsten löschen, die vielen anderen aber wecken seine Lebensgeister abrupt. Wenn er Gäste durch sein Haus in Baldham (Kreis Ebersberg) führt, blüht er auf. Hunderte Erinnerungsstücke schmücken die Zimmer und Flure, Zeugnisse eines unruhigen Reiselebens, das ihn in fast 200 Länder führte. Georg Kirner zählt zu den letzten Abenteurern vom alten Schlag, die noch in unbekannte Ecken und Winkel dieser Erde vordringen konnten, bevor diese ans Licht gezerrt und zur Spielwiese von Konzernen und Spekulanten wurden.

Schon als Bub hatte er davon geträumt, eines Tages in die Welt hinaus zu ziehen. Auf der Alm seiner Großmutter, wo er in ärmlichen Verhältnissen aufwuchs, standen seiner Sehnsucht zunächst die Berge im Weg. Eines Tages schenkte ihm ein Almbesucher ein Buch des schwedischen Entdeckers Sven Hedin. "Ich las es hundertmal", erzählt Kirner.

"Dort fand ich Antworten, die mir die Großmutter nicht geben konnte." Was liegt denn hinter der Alm, wollte er wissen, hinter dem Sonnwendjoch? Wo fliegen denn die Vögel hin? "Bua, i woaß doch aa net", sagte sie, "weit weg hoid, und dort san olle Menschen schwarz." "Von da an wusste ich, wie klein die Welt auf der Alm war, ich musste hinaus in die Welt."

1960 begab sich Kirner mit dem Radl auf seine erste große Reise. Über Rom führte sie ihn entlang der Küstenstraßen bis nach Tripolis und Kairo. Nachdem ihm Diebe dort das Radl geklaut hatten, kaufte er sich ein Kamel und wanderte mit einer Karawane durch die Wüste. Zu Fuß ging es schließlich weiter bis zum Kilimandscharo, dann setzte eine starke Malaria seinem Reisedrang ein Ende - aber nur vorläufig.

Magisch angezogen wurde Kirner stets von Urbewohnern in allen Erdteilen. Zum Beispiel von den noch steinzeitlich lebenden Dschungelnomaden auf Borneo, die eine moderne Familienplanung betrieben. "Es waren Jäger und Sammler", erzählt Kirner, aber mehr als 25 Menschen konnte eine Großfamilie nicht ernähren. Das Familienoberhaupt reichte den Frauen deshalb ein Gemisch aus Urwaldblättern. "Das war so etwas wie deren Pille."

80 Prozent der abgelegenen Paradiese, die Kirner in seinem Leben besucht hat, existieren nicht mehr. Wie eine Sturzwelle schwappte der Fortschritt über unberührte Lebensräume und Urwälder. Das betrübt ihn sehr. "Die moderne Welt vernichtet nicht nur die Naturvölker, verloren geht auch ihre Weisheit, die mit der Weltanschauung der aufgeklärten Welt manchmal auf fast groteske Weise kollidiert."

So fragten Stammesangehörige einmal bei Kirner nach, ob er schon einmal in der Hölle gewesen sei. "Vermutlich hatte ihnen ein Missionar gedroht, sie kämen in die heiße Hölle, wenn sie zum Beispiel Frauen jagten. "Das war aber für sie eher keine Drohung", sagt Kirner. "Diese Ureinwohner sehnten sich geradezu nach Feuer, bei ihnen war es ja immer feucht." Um ihre Begeisterung für die Hölle zu dämpfen, erklärte er ihnen, dass die warme Hölle überfüllt und deshalb eine neue aufgemacht worden sei. "Dort ist es eiskalt."

Eine Schuhsohle rettete ihm einmal das Leben

Das klingt wie Kabarett, aber in einer Welt, die von archaischen Mythen durchdrungen ist, bedarf es einer bilderreichen Rhetorik. Gleichwohl schwärmt Kirner davon: "Das einfache Denken, das haben die Naturvölker uns voraus: Ich bin mit dem zufrieden, was ich habe."

Ihre Vorstellungen passen exakt in ihr Leben. "Ich habe das immer respektiert." Umso schmerzlicher empfindet er es, mit welcher Brutalität die Naturvölker von der Zivilisation unterworfen werden. "Die neuen Herren kommen mit Hubschraubern und zwingen die Ureinwohner, gegen geringen Lohn ihre eigene Heimat zu zerstören."

Kirner kaufte insgesamt 20 000 Quadratkilometer Land, "ich wollte, dass die Ureinwohner dort weiterleben können." Nur ein kleiner Flecken ist ihm geblieben, das Land wurde ihm peu à peu wieder weggenommen, sagt er. "Immerhin habe ich damit 40 Jahre lang verhindert, dass diese Menschen von Holzbaronen und Spekulanten weggejagt wurden." Für seinen Einsatz hat Kirner das Bundesverdienstkreuz am Bande erhalten.

Das Leben in Deutschland bot aber oft die härteste Herausforderung. Wenn etwa eine Anzeige ins Haus flatterte, weil eine Zierhecke fünf Zentimeter zu nah in die Stichstraße hineinwuchs. "Da musst du echt zwei Leben leben können, sonst drehst du durch", sagt Kirner.

Oft verlief sein Leben am Limit. Es ging schon mit einem Härtetest los, und der ist dokumentiert auf einer Votivtafel, die in Kirners Wohnstube hängt. Als der Bub getauft werden sollte, schickte der Pfarrer die Eltern weg, weil sie nicht verheiratet waren. In Scham versunken, merkten sie auf dem Pferdefuhrwerk nicht, dass das in eine Rossdecke eingewickelte Kind vom Wagen gefallen war. Blau gefroren fanden sie es gerade noch rechtzeitig im Schnee, zum Dank wurde die Votivtafel gestiftet.

40 000 Kilometer hat Kirner allein mit dem Radl in unwegsamsten Gegenden zurückgelegt. Sandstürme, Raubüberfälle, Entführungen und Mordanschläge hielten ihn nicht davon ab, immer wieder seinem Jugendtraum nachzuhängen. In einer Vitrine zeigt er auf eine beschriftete Schuhsohle.

Auch sie hat einmal sein Leben gerettet. Bei einer Arktisexpedition im Jahr 1972 war Kirner mit einem Teil der Mannschaft in eine Gletscherspalte gestürzt. Funkgerät und Proviant waren weg. Ein Begleiter der Inuit schrieb die Nachricht auf eine Schuhsohle und schickte damit einen Hund in die Eiswüste los. Zwei Tage später kam ein Hubschrauber zu Hilfe.

Mit 63 Jahren erreichte Kirner mit einer Expedition den Nordpol. Mit 67 ging er zum Südpol, er ist der erste Bayer, der dies zu Fuß geschafft hat. Dass er dieses Leben führen konnte, hat er auch seiner Frau Renate zu verdanken, die, wie auch Kirner selber, oft mehrere Jobs ausübte, um die Unternehmungen ihres Mannes zu finanzieren. "Ich musste auf vieles verzichten, aber das Leben wurde nie langweilig", sagt sie.

Ein umjubelter Held war Kirner trotzdem nur selten. Zeitungen, Zeitschriften und das Fernsehen berichteten zwar oft über seine Fahrten. Daheim stieß er aber auf Ablehnung: "Mit der Mistgabel sollte man ihn wegjagen!", schimpften die Bauern über den jungen Kirner. "Ich galt als Faulenzer, als arbeitsscheu, aber da schwang auch Neid mit." Ein Dokumentarfilm zeigte ihn 1974 als Mitglied einer deutschen Neuguinea-Expedition. Die Leute aber sagten: "Wir hamm dich gesehen, aber wir glauben es dir trotzdem nicht."

Was aber war die prägendste Reise dieser 50 Jahre? "Eindeutig Tibet", sagt Kirner. 14 Mal war er dort, monatelang lebte er als Mönch am Hof des Dalai Lama. Ging es den Menschen dort schlecht, so glaubten sie, es seien die Sünden vom vergangenen Leben, die sie jetzt abbüßten. "Glauben Sie, dass ich wiedergeboren werde?", fragte Kirner den Dalai Lama. Der entgegnete: "Genieße einfach dieses Leben, es könnte schon dein letztes sein!"

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