Augsburg:"Ein Versagen staatlicher Kulturpolitik"

Augsburg: Im Fundus der pressehistorischen Sammlung befinden sich auch zahlreiche Fotografien, hier von der Montagsdemonstration in Leipzig, 16. Oktober 1989, fotografiert von Martin Naumann.

Im Fundus der pressehistorischen Sammlung befinden sich auch zahlreiche Fotografien, hier von der Montagsdemonstration in Leipzig, 16. Oktober 1989, fotografiert von Martin Naumann.

(Foto: Martin Welke)

Der Historiker Martin Welke hat eine pressehistorische Sammlung aufgebaut, die europaweit ihresgleichen sucht. In Augsburg wollte er damit ein Deutsches Zeitungsmuseum einrichten - das scheiterte nicht zuletzt an der Politik.

Von Florian Fuchs, Augsburg

Martin Welke nennt sie eine "Ikone der Druckgeschichte": Die letzte Rotationspresse, die in Europa eine Zeitung im Bleihochdruck erstellt hat, das war im Jahr 2004. Sie ist genauso Bestandteil seiner pressehistorischen Sammlung wie eine der ersten Schnellpressen, die Carl Reichenbach, Begründer des Weltkonzerns MAN, in Augsburg konstruiert hat. Welke verfügt mit seiner Stiftung über schier zahllose Ausstellungsstücke zu Satz und Druck der Zeitung, zu Technik, Botenwesen, Vertrieb, Rezeption und Sozialgeschichte des Zeitungslesens. Teils jahrhundertealte Zeitungsseiten und -ausgaben befinden sich in der Sammlung, selbst Abonnentenlisten der ersten gedruckten periodischen Zeitungen aus dem 17. Jahrhundert.

Es ist ein kulturhistorischer Schatz, der - das bestätigen Fachleute aus der Presse- und Medienforschung - europaweit seinesgleichen sucht. Doch statt damit ein Museum in Augsburg zu eröffnen, wie es sich Welke vor Jahren erhofft hatte, will der Pressehistoriker seine Sammlung nun so schnell wie möglich aus Bayern fortschaffen.

2011 verlagerte Welke seine Sammlung nach Augsburg, um hier ein Zeitungsmuseum aufzubauen. "Es kann nicht sein, dass Deutschland als Geburtsland der Zeitung kein taugliches Museum zur Geschichte der Zeitung hat", sagt er. Augsburg wäre aus seiner Sicht ein idealer Standort gewesen, war die Stadt doch bereits im frühen 16. Jahrhundert dank der Handelswege der Fugger eines der wichtigsten Nachrichtenzentren Europas, von wo aus die ersten deutschen Nachrichtenblätter ihre Meldungen erhielten. Welke hatte Räumlichkeiten für ein Museum in Aussicht, doch was dann folgte, nennen nicht nur deutsche Presse- und Medienforscher ein "Versagen staatlicher Kulturpolitik": Unterstützung vom Freistaat oder der Stadt Augsburg erhielt er nicht, stattdessen lagern die Ausstellungsstücke seit mehr als zehn Jahren ein, teilweise haben sie deshalb irreparablen Schaden genommen. Kann sein, sagt Welke, dass seine "Ikone der Druckgeschichte" bald verschrottet werden muss.

Augsburg: Europaweit gibt es nur noch drei Schnellpressen dieser Art, die MAN-Gründer Carl Reichenbach einst in Augsburg konstruierte.

Europaweit gibt es nur noch drei Schnellpressen dieser Art, die MAN-Gründer Carl Reichenbach einst in Augsburg konstruierte.

(Foto: Martin Welke)

Für den 81-Jährigen nimmt so sein Lebenswerk irreparablen Schaden. Der promovierte Historiker war lange Mitarbeiter der Deutschen Presseforschung an der Universität Bremen, schied aber 1985 aus dem Universitätsdienst aus, um in Meersburg ein Zeitungsmuseum aufzubauen. "Wir Wissenschaftler schreiben nur für Wissenschaftler und kommen oft nicht aus unserem Elfenbeinturm heraus", sagt Welke zu seiner Motivation. Dabei hat er selbst bedeutende Forschungsergebnisse vorzuweisen. Seinen Archivstudien ist es zu verdanken, dass die erste gedruckte Zeitung der Welt auf 1605 zu datieren ist und nicht auf 1609, wie man lange glaubte.

Doch Welke attestiert sich eine gewisse Besessenheit. Jeden "Pfennig", sagt er, habe er in seine pressehistorische Sammlung gesteckt, die er von 1976 an aufbaute - unterstützt durch seine Frau, ebenfalls eine Pressehistorikerin. Sieben Transporter hat er verschlissen, zwei Millionen Kilometer verfahren, um von Rostock bis in die Schweiz, von Kiel bis nach Kärnten Ausstellungen auf- und wieder abzubauen. Und natürlich neue Ausstellungsstücke zu finden.

Augsburg: Martin Welke im Jahr 2005 als Kurator der Jubiläumsausstellung "400 Jahre Zeitung" mit einem Faksimile der "Geburtsurkunde der Zeitung 1605".

Martin Welke im Jahr 2005 als Kurator der Jubiläumsausstellung "400 Jahre Zeitung" mit einem Faksimile der "Geburtsurkunde der Zeitung 1605".

(Foto: Martin Welke)

Sein Museum in Meersburg betrieb er aus privaten Mitteln, mit großem Erfolg. Auch viele Schulklassen besuchten die Ausstellung, die Geschichte der Zeitung ist ja gleichzeitig eine Geschichte der Demokratie. 2005 kuratierte Welke im Gutenberg-Museum in Mainz die Jubiläumsausstellung "400 Jahre Zeitung", die er mit seiner Sammlung bestritt. Mehr als 90 000 Besucher kamen, Medien aus dem In- und Ausland berichteten. Ein Umzug und ein Aufbau eines Museums von nationalem Rang ins Saarland aber scheiterte letztlich am dortigen Regierungswechsel.

Mit der Politik hatte Welke auch in Augsburg kein Glück. Die Kommunalpolitiker interessierten sich nicht für seine Sammlung. Der Freistaat lehnte ein Engagement wiederholt ab. Letztlich ist lediglich eine Kooperation mit der Universität Augsburg entstanden. Mit einer Förderung von 350 000 Euro soll die Sammlung "wissenschaftlich erschlossen" werden, wie es in einem Landtagsbeschluss von 2021 heißt. Eine Formulierung, die Welke nachhaltig verärgert, ist die Sammlung doch aus seiner Sicht für seine bisherigen Ausstellungen bereits "so wissenschaftlich erschlossen, wie es nur geht".

Augsburg: Lithografie "Die gute Presse" aus "Der Leuchtthurm", Braunschweig 1847.

Lithografie "Die gute Presse" aus "Der Leuchtthurm", Braunschweig 1847.

(Foto: Martin Welke)

Welke will seinen pressehistorischen Fundus nicht an den Freistaat verlieren. Der 81-Jährige ist schwer krank, nach dem Stiftungsgesetz würde bei seinem Tod alles "dem bayerischen Fiskus anheim fallen", wie er es formuliert. Stattdessen habe der Stiftungsrat einstimmig beschlossen, den Sitz an eine der großen Gedenkstätten der deutschen Demokratiegeschichte zu verlagern - gerade die Exponate zur "Geschichte von Zensur und Pressefreiheit" seien noch gänzlich intakt.

In einem offenen Brief hat der Medienhistoriker Holger Böning von der Universität Bremen - unterschrieben von den wichtigsten deutschen Medienforschern - im vergangenen Jahr auf das aus Sicht der Verfasser kulturpolitische Versagen mit der pressehistorischen Sammlung aufmerksam gemacht. Ein Zeitungsmuseum wird im Freistaat nicht mehr entstehen. Gleichzeitig drücken die Professoren in ihrem Brief die Hoffnung aus, dass wenigstens die Kooperation mit der Universität Augsburg in eine "dauerhafte pressehistorische Forschung" am Standort Augsburg mündet.

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