Gesundheitspolitik:Bayerns Krankenhäuser bangen um ihre Existenz

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Die Kliniken im Landkreis Weilheim-Schongau - hier das Haus in Schongau - waren Thema für einen Bürgerentscheid. (Foto: Landratsamt)

Nach dem Bürgerentscheid im Landkreis Weilheim-Schongau befürchten Experten und Politiker, dass das Votum gegen das Zentralklinikum Signalwirkung haben könnte.

Von Sebastian Beck, Matthias Köpf und Olaf Przybilla

Auch zwei Tage nach dem Bürgerentscheid steckte der Landrätin von Weilheim-Schongau der Schreck noch in den Gliedern: "Ich schlafe seit Sonntag nicht mehr", sagte Andrea Jochner-Weiß (CSU) am Dienstag. Mit 67,2 Prozent hatten sich die Bürger gegen den Bau eines Zentralkrankenhauses ausgesprochen und für den Weiterbetrieb der defizitären Häuser in Weilheim und Schongau. Eine klare politische Vorgabe, die in der Praxis kaum zu erfüllen sein wird, denn schon jetzt arbeiten die beiden Kliniken des Landkreises personell und finanziell am Limit.

Thomas Lippmann, Geschäftsführer der kommunalen Krankenhaus GmbH, sieht sich vor eine "wahnsinnig schwierige" Situation gestellt, zumal die große Mehrheit der Mitarbeiter auf den Neubau eines Zentralkrankenhauses gehofft hat. "Mein Job ist es, sie jetzt an Bord zu halten", kündigte Lippmann an. Für das Personal bedeutet der Entscheid, dass es weiter zwischen den beiden Standorten hin- und her pendeln muss, um den Betrieb aufrecht zu erhalten. Zwei Notaufnahmen, zwei Chirurgien - die Logistik im Landkreis Weilheim ist aufwendig und teuer.

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Der Ausgang des Bürgerentscheids wurde von Experten in ganz Bayern aufmerksam registriert, zumeist mit der Sorge, er könne Signalwirkung haben. Das ahnt auch Jochner-Weiß: "Mir tut es so leid, dass wir für die anderen Landkreise ein so negatives Beispiel sind." Denn auch anderswo gibt es Probleme mit den Krankenhäusern: Debatten über ein neues Zentralklinikum gibt es auch im äußersten Südosten Bayerns, wo die beiden Landkreise Berchtesgadener Land und Traunstein ihre Krankenhäuser schon im Jahr 2009 in einer gemeinsamen Aktiengesellschaft namens Kliniken Südostbayern gebündelt haben. Das Schwerpunktklinikum des Verbunds in Traunstein wird gerade abschnittsweise neu gebaut, die beiden Häuser in Trostberg und Ruhpolding konzentrieren sich auf Altersmedizin und Schmerzmedizin.

Zugleich plant die Klinikgesellschaft zusammen mit dem Berchtesgadener Land, die erst in den Neunzigerjahren errichtete Klinik in Bad Reichenhall durch ein Zentralklinikum für den Landkreis zu ersetzen, das an einem anderen Standort in der Kreisstadt entstehen soll. Die beiden Krankenhäuser in Berchtesgaden und Freilassing sollen sich spezialisieren, was unter anderem deren Fördervereine um die wohnortnahe Versorgung der Patienten fürchten lässt. Sie verlangen, an beiden Orten zumindest eine Notaufnahme beizubehalten und hatten zuletzt genügend Unterschriften gesammelt, um den Kreistag im Herbst noch einmal mit dem Thema zu befassen. Obwohl der bei seinen Plänen blieb, verzichten die Kritiker bisher auf einen Bürgerentscheid wie im Landkreis Weilheim-Schongau.

Etwas anders liegt ein Fall in Mittelfranken. Dort hatte das diakonische Gesundheitsunternehmen Diakoneo zuletzt Möglichkeiten geprüft, zum Jahreswechsel die Klinik Neuendettelsau in die Klinik Schwabach gGmbH zu integrieren. Aus "rechtlichen Gründen", so die Klinikleitung, hat sich dies allerdings zerschlagen. Da der Betrieb der Kliniken aufgrund "krisenhafter Rahmenbedingungen" aber nicht wie bisher weitergehen könne, drohen im ländlich geprägten Westmittelfranken nun drastische Folgen. Zwar kämpfe man weiter dafür, "an beiden Standorten stationäre Krankenversorgung anzubieten", betont Diakoneo. Ziehe aber bereits "andere Modelle" in Betracht, sollte dies nicht gelingen.

Die Aktionsgruppe "Schluss mit Kliniksterben in Bayern" sieht damit eine weitere fränkische Klinik in akuter Gefahr. Sollte sich die Idee "einer Umwandlung in ambulante Versorgung, Kurzzeitpflege und Gesundheitskiosk" durchsetzen, so befürchtet der ehemalige Klinikvorstand Klaus Emmerich für Neuendettelsau einen "zweiten Fall Hersbruck" in greifbarer Nähe. Würde in Neuendettelsau keine stationäre chirurgische Notfallmedizin mehr angeboten, würden Patienten die Klinik als "zu schmalspurig" erkennen. Was einem Teufelskreis gleichkäme: "Weniger Patienten, weniger Einnahmen", am Ende drohe der Klinik in Neuendettelsau die Existenzgefahr. Sie wäre nicht die erste, der es so ergeht in Mittelfranken. 2019 hat das Krankenhaus in Hersbruck die Kliniktüren geschlossen, nach mehr als 100 Jahren. Noch, betont freilich ein Kliniksprecher, sei nicht entschieden, wie es in Neuendettelsau nun weitergehen soll.

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Roland Engehausen, Geschäftsführer der bayerischen Krankenhausgesellschaft, sieht die Existenz etlicher bayerischer Kliniken bedroht, falls der Bund seine Anfang der Woche vorgestellten Reformpläne umsetzt. Die darin aufgelisteten Vorgaben könnten viele Häuser nicht erfüllen, das werde zu einem extremen Druck auf die flächendeckende Versorgung führen. Deshalb bedauerte er das Votum gegen eine moderne Zentralklinik in Weilheim. "Ein Krankenhaus kann man nicht über einen Bürgerentscheid retten", sagte Engehausen der SZ. "Wir haben einen Vollversorgungsanspruch in der Bevölkerung, ohne zu wissen was es kostet und wer das bezahlt." Im Landkreis Weilheim-Schongau habe man eine Chance verpasst, den Strukturwandel aktiv und frühzeitig anzugehen. Wie Engehausen befürchtet nun auch Lippmann, dass es unter den Kliniken in Bayern zu einem "ungesteuerten Konzentrationsprozess" kommen werde.

Landrätin Andrea Jochner-Weiß (CSU) ist mit ihren Plänen für das Zentralklinikum vorerst gescheitert. Das Thema Krankenhaus sei sehr emotional besetzt, sagte sie. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Landrätin Jochner-Weiß will nun Anfang das kommenden Jahres nach einem Ausweg aus der verfahrenen Lage suchen. Das dürfte schwierig werden, weil die Bürgerinitiative Pro Krankenhaus Schongau bereits angekündigt hat, dass sie einen weiteren Entscheid anstreben werde, falls der Landkreis nach einem Jahr des Planungsstopps das Projekt Zentralklinikum weiterverfolge. Ob sich zwei Häuser auf Dauer erhalten lassen? Hier hat Jochner-Weiß massive Zweifel: "Ärzte und Pfleger suchen sich ihr Krankenhaus heute selbst aus", sagt sie. Mit anderen Worten: Womöglich muss irgendwann eine der beiden Kliniken wegen Personalmangels aufgeben.

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