Weihnachtszeit:Der lebendige Adventskalender

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In Burghausen wird auch in diesem Jahr wieder bis Weihnachten jeden Tag eine Geschichte für Erwachsene und Kinder erzählt. Ein gleichermaßen aufwendiges wie einmaliges Projekt

Von Theresa Parstorfer, Burghausen

Keine Schokolade, keine Bildchen gibt es im Burghausener Adventskalender. In Burghausen gibt es jeden Tag eine Geschichte. Erzählt von märchenhaften Gestalten wie Baumfeen, Irrlichtern oder einem Sternenputzer. Einen öffentlichen, und noch dazu lebendigen Adventskalender, der seine Besucher mitnimmt auf eine Reise in fremde Länder und vergangene Zeiten, haben Mario Eick und Simone Sommer vor fünf Jahren zum ersten Mal mit Geschichten befüllt. Damals gab es jeden Tag ein Märchen, in diesem Jahr sind es Opern. 24 an der Zahl, für jeden Tag bis Heiligabend eine.

Ein durchaus ambitioniertes Projekt, möchte man meinen. "Wir suchen uns jedes Jahr eine neue Herausforderung", sagt Mario Eick, lächelt aber entspannt. Obwohl er seit zwei Monaten kaum etwas anderes tut als sich von früh bis spät mit Handlungen und Figuren aus "Mozarts Zauberflöte", Wagners "Meistersinger von Nürnberg" oder Rossinis "Aschenbrödel" zu beschäftigen. Einiges an Arbeit sei es, die teils schweren Stoffe mit verworrenen Handlungssträngen und alten Begriffen so aufzubereiten, dass auch kleine Zuschauer sie verstehen und Spaß daran haben. Denn dieser Teil des Programms ist für Familien gedacht. Zusätzlich gibt es einen Teil "nur für Erwachsene!" - So steht es mit einem Ausrufezeichen im Flyer. An den vier Samstagen vor Weihnachten spielen dafür vier bis sechs Schauspieler gekürzte, leicht adaptierte Fassungen tragischer Opern wie den "Freischütz" von Carl Maria von Weber mit Live-Musik und in Anlehnung an Tom Waits' "Black Rider".

Für den "Geheimnisvollen Adventskalender" erklärt Mario Eick als Sternenputzer, dass eine Oper nichts mit einem Großvater zu tun hat. (Foto: Theresa Parstorfer)

Dieses Stück wird am Donnerstagnachmittag geprobt. Noch zwei Tage bis zum ersten Türchen. Die Hütten für den Christkindelmarkt sind aufgebaut, ebenso die Bude, von der aus Eick und sein Team aus 15 Berufsschauspielern und vielen Ehrenamtlichen die Karten für den "Wunderlandexpress" verkaufen. Fünf Euro kostet ein Fahrschein. In den vergangenen Jahren kamen manche Burghausener täglich, um sich knapp eine Stunde lang eine Geschichte erzählen zu lassen. "Vielen Leuten ist es das einfach wert", sagt Simone Sommer, die nicht nur selbst auf der Bühne steht, sondern sich auch um die Produktion kümmert. Unterstützt wird dieses in Bayern einzigartige Projekt von der Wirtschaftsförderung der Stadt, der Sparkasse sowie privaten Spendern. Mittlerweile touren Eick und seine Darsteller auf anderen Weihnachtsmärkten im Freistaat und geben Sondervorstellungen für Schulen.

Am Stadtplatz geht es also los mit dem Wunderlandexpress. Freilich ist es kein echter Zug, der die Zuschauer dreimal täglich ab Einbruch der Dämmerung ins Opern-Land bringt. Zu Fuß werden die wenigen Meter zur ehemaligen Studienkirche Sankt Joseph zurückgelegt, angeführt von einem in ein buntes Kostüm gewandeten Geschichtenerzähler. Hinter dem mächtigen Kirchenportal wartet ein Wunderland aus abenteuerlich zusammengewürfelten Themen und Referenzen. "Bahngleis 9 3/4" verkündet ein von der Decke hängendes Schild wie bei Harry Potter. Die zweite Holztür, die geöffnet werden muss, ist dem Schrank aus C. S. Lewis' "Narnia" nachempfunden. Anstatt in einem gewöhnlichen Kirchenschiff findet sich der Reisende schließlich jäh in einem Wald aus 60 Tannen wieder, jede gut vier Meter hoch. Blau, rot, gold, grün, lila - an glitzernden Kugeln mangelt es nicht.

Durch den Wald aus Weihnachtsschmuck schiebt sich am Donnerstagnachmittag Eick, im Kostüm des Erbförsters Bertram aus dem "Freischütz". Das Gewehr über seiner Schulter streift einige Kugeln in Form von rot funkelnden Fliegenpilzen, bevor der Förster sich auf den hohen Stuhl, den Geschichtenerzählerstuhl, hievt. Er ist wütend, weil seine Tochter sich in den Amtsschreiber Wilhelm verliebt hat, er es allerdings lieber sehen würde, wenn sie einen Mann "mit einem kernigen Kern", sprich einen "Jägerburschen", heiraten würde, der auch schießen kann. Dass das Ganze tragisch enden wird, ist absehbar: verhexte Gewehrkugeln, die Wilhelm eigentlich als fähigen Jäger erscheinen lassen sollten, führen zum Tod seiner Geliebten. Verständlich, dass dieses Programm eher für erwachsenes Publikum gedacht ist.

Kindgerecht wird es, sobald Eick sich einen Hut mit langen, roten Filzlocken überzieht und als Sternenputzer erklärt, dass eine Oper nichts mit einem Großvater zu tun hat, die Kinder sich den Namen Amadeus Mozart merken sollten und dass eine "Ouvertüre" nicht mit einer Ofentüre zu verwechseln ist. "Jeden Tag wollen wir zeigen, dass Opern Spaß machen", sagt Eick. Für die Begeisterung in den Kinderaugen lassen Sommer und er auch gerne das persönliche Weihnachten ausfallen. "Ich bin am 24. froh, wenn wir alles gut geschafft haben", sagt Sommer, Christbaumkugeln wird sie dann auch genug gesehen haben.

© SZ vom 01.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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