Weihnachtsferien in Augsburg:Süßer Baumkuchen und scharfe Kekse

Zum ersten Mal hat der Inder Neeraj Joshi das deutsche Weihnachtsfest bei einer Familie in Augsburg erlebt - und gemerkt: Das Feiertagsverhalten kann ganz schön tückisch sein. Wenn es gilt, Anfang Januar die Sternsinger zu beschenken, will er alles richtig machen.

Von Sarah Ehrmann

- Laut Terminplan hat Neeraj Joshi bald noch einige Ereignisse vor sich, die für ihn bislang fremd sind: Dazu zählt, Anfang Januar die Sternsinger mit Bonbons zu beschenken. Dann will Joshi alles richtig machen. Denn dass das deutsche Feiertagsverhalten tückisch sein kann, hat der Inder erlebt: Kurz vor Heiligabend ging er in den Supermarkt und kaufte eine Familienpackung Schokolade als Gastgeschenk - "Weihnachtszauber" stand darauf. "Passt", dachte der 22-Jährige, die kleinen Zahlen auf der Verpackung bemerkte er nicht.

"Das war dann das erste, was ich bei Familie Dreyer gelernt habe", erzählt Joshi und lacht ein wenig beschämt, "dass ich da einen Adventskalender erwischt habe." Dumm nur, dass die Adventszeit mit Heiligabend endete. Dafür aber dauert die Weihnachtszeit erstaunlich lange: Nach alter Sitte findet sie erst 40 Tage später mit Mariä Lichtmess ihr Ende.

Joshi ist nun zwei Wochen lang das sechste Familienmitglied bei den Dreyers in Diedorf nahe Augsburg. Durch ein Kurzaustauschprogramm von "Experiment e.V." hat er gemeinsam mit den Gasteltern Jutta und Wolfgang Dreyer und den erwachsenen Kindern Tobias, Rabea und Sarah Weihnachten gefeiert.

Jetzt sitzt Neeraj Joshi am großen Familienesstisch, er trägt eine Sportjacke und Hausschlappen und isst Baumkuchen mit scharfen indischen Keksen dazu. "Ich kenne Weihnachten aus meiner Heimatstadt Pune in Maharashtra", sagt er. "Da haben die Kinder schulfrei und bekommen kleine Geschenke von Santa oder den Eltern - es ist die britische Art zu feiern."

Die deutschen Traditionen kannte er bis vor kurzem kaum. In Aachen, wo er seit einem Dreivierteljahr Maschinenbau studiert, hat er zwar den Weihnachtsmarkt besucht, doch in Bayern, das für ihn bislang unbekannt war, ist es wieder etwas anders: "Es fängt schon beim Namen an: Hier heißt es Augsburger Chrischkindschlmarkt."

"Weihnachtsklüfte, Weihnachtsdüfte"

Familie Dreyer hatte sich erst Anfang Dezember entschieden, einen Gast über die Tage bei sich aufzunehmen. Eigentlich hatten sie "traditionell" feiern wollen, sagt Jutta Dreyer, weil Rabea im vergangenen Jahr nicht bei der Familie sein konnte - sie arbeitete im Freiwilligendienst in Ostindien, 7078 Kilometer entfernt vom Weihnachtsbaum und der Sofagarnitur im Wohnzimmer. Doch als eine Kollegin Jutta Dreyer, Religionslehrerin an der Maria Stern Realschule und Gymnasium, ansprach, es würden Gastfamilien gesucht, "haben wir demokratisch entschieden", sagt die 55-Jährige. Alle stimmten zu.

Für Rabea stand fest: Der Gaststudent sollte aus Indien stammen. Schließlich war die 19-Jährige in Westbengalen ebenfalls bei einer einheimischen, befreundeten Familie Gast zu Weihnachten. "Sie waren auch Christen, daher war es zumindest die gleiche Religion - ich habe dann einen Adventskranz gebastelt, von dem die Kinder immer die Orangenscheiben stibitzt haben. Neeraj Joshi ist Hinduist. In seiner Religion ist das höchste Fest das Lichterfest Diwali. "In Indien gibt es wenige Feste, die das ganze Land feiert - Diwali ist so eines." Die Kekse sind dann keine süßen "Loible", sondern salzig-scharf, aber das Fest sei mit Weihnachten vergleichbar, sagt er.

Wenn er mit seinen Gasteltern und -geschwistern lacht und scherzt, merkt man, wie viel es ihm bedeutet, Weihnachten in einer Familie zu verbringen. 40 Euro kostete die Vermittlung durch den Verein Experiment in Bonn, der seit 1952 Austausche weltweit organisiert. Bei den Dreyers hat Neeraj Joshi wie ein normales Familienmitglied den Christbaum mitgeschmückt - das Familienritual im Hause Dreyer, wie Rabea sagt, auch "the big fight" genannt.

Heraus kam eine Mischung aus blau-silber (Favorit von Tobias) und rot-gold-Stroh (Rabea) ohne Lametta. Joshi hat ein Gedicht von Theodor Storm einstudiert und sich mit "Weihnachtsklüfte, Weihnachtsdüfte" fast die Zunge verknotet, um vor der Bescherung etwas beitragen zu können zum Dreyer'schen Weihnachtsprogramm. Abends besuchten alle die Messe. Sogar einen Schluck Glühwein habe er probiert, obwohl er keinen Alkohol trinke. Nur den Rehbraten mied er - als Hinduist lebt er vegetarisch. Er verspeiste Grünkernbratlinge.

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