Süddeutsche Zeitung

Wegen Unterbringung in Psychiatrie:Mollath erhält 600 000 Euro vom Freistaat

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Deutschlands wohl bekanntestes Justizopfer wird entschädigt, mit dem Vergleich endet ein jahrelanger Rechtsstreit

Von Olaf Przybilla, München

Der Freistaat Bayern zahlt Deutschlands wohl bekanntestem Justizopfer, Gustl Mollath, weitere 600 000 Euro für die mehr als sieben Jahre, in denen er unberechtigt in psychiatrischen Einrichtungen untergebracht war. Damit habe man sich nun "gütlich geeinigt", teilte das Landgericht München I mit. Zuvor hatte Mollath bereits 70 000 Euro zugesprochen bekommen, nachdem er als zwangseingewiesener vermeintlicher Wahn-Patient insgesamt 2747 Tage in der Psychiatrie erleiden musste. Mollath war 2006 nach einem Prozess wegen ihm vorgeworfener Gewalt gegen seine Ehefrau in eine Klinik eingewiesen worden - zu Unrecht, wie sich Jahre später in einem Wiederaufnahmeverfahren herausstellen sollte. Mollath hatte daraufhin den Freistaat verklagt und 1,8 Millionen Euro als Entschädigung verlangt.

Im SZ-Gespräch nennt sein Anwalt Hildebrecht Braun die Einigung "rechtspolitisch einen gewaltigen Schritt nach vorne". Immerhin habe der Freistaat zunächst mit jenen 70 000 Euro nur einen Bruchteil der jetzigen Summe gezahlt - und dies sogar unter dem Vorbehalt einer Rückforderung. Der Betrag hatte sich an den gesetzlichen Grundlagen über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen orientiert. Davon, sagt Braun, sei das Landgericht München nun doch "sehr deutlich abgegangen". Andererseits sei der Schaden, der Mollath entstanden sei, "bei Weitem höher anzusetzen", ist Braun weiterhin überzeugt. Immerhin habe Mollath in den Jahren in der Psychiatrie weder Gehalt bezogen noch Rentenversicherungsansprüche erwerben können und habe unter anderem sein Haus verloren. Auch deshalb hatte Mollath zu Beginn der Verhandlung einen deutlich höheren Betrag gefordert. Nach Ansicht des Freistaats hingegen standen Mollath gesetzlich nur 25 Euro pro Tag in der Psychiatrie als Entschädigung zu.

Enttäuscht zeigt sich Braun davon, dass die Einigungssumme nun vom Gericht der Öffentlichkeit mitgeteilt worden ist. Die Seite Mollaths sei der Auffassung, dass daran kein wirkliches öffentliches Interesse bestehe. Das Gericht sah dies anders. "Das Verfahren ist im Fokus der Öffentlichkeit", sagt ein Gerichtssprecher, Verschwiegenheit sei überdies nicht Gegenstand des Vergleichsbeschlusses. Mollaths Anwalt befürchtet nun, dass "Leute wie bei Lottogewinnern auf Mollath" zukommen und erklären, dass es ihnen "auch schlecht" gehe.

Wie das Gericht mitteilt, zahlt der Freistaat "ohne Anerkennung einer Rechtspflicht". Das ist eine Floskel, die sich oftmals in Vergleichen findet. Vor allem Dritten solle damit signalisiert werden, dass sie den Fall Mollath "nicht als Präzedenzfall" aufführen könnten, um ähnliche Ansprüche geltend zu machen, erklärt ein Sprecher des Landgerichts München. Mit dem Vergleich seien nun alle Ansprüche abgegolten und der Rechtsstreit beendet.

Im März 2019 war Mollath erstmals seit fünf Jahren wieder vor Gericht erschienen, diesmal aber auf der Klägerseite. Auf der anderen Seite war ihm erneut der Staat entgegengetreten, nicht aber in Form von Staatsanwälten und Gutachtern - sondern in Gestalt eines Anwalts, der den Freistaat in diesem Zivilprozess vertreten hat. Schon am ersten Verhandlungstag hatte der Vorsitzende Richter Frank Tholl zu erkennen gegeben, dass er eine Grundlage für Mollaths Ansprüche sieht. So habe das Strafverfahren am Landgericht Nürnberg wohl schnell beendet werden sollen und sei "sicher nicht mit der gebotenen Sorgfalt geführt" worden, hatte Richter Tholl festgestellt. Es gehe nicht darum zu behaupten, dass im Fall Mollath alles richtig gemacht worden sei, hatte wiederum der Anwalt der Freistaats erklärt. Sondern um die Frage, ob sich aus den Fehlern ein Anspruch auf Amtshaftung ergebe. Um einen Vergleich schließen zu können, sei eine Abstimmung mit insgesamt vier Ministerien notwendig. Diese ist jetzt offenbar erfolgt.

Mollath, 63, habe den Vergleich angenommen, weil er "emotional einfach nicht mehr in der Lage war", weiter auf eine Entscheidung zu warten, erklärt Anwalt Braun. Nun könne er beispielsweise "eine Mietkaution" zahlen, was ihm in den vergangenen Jahren kaum möglich gewesen sei. Jemand, der öffentlich schon einmal - wenn auch zu Unrecht - als "wahnkrank" beschrieben worden ist, der habe es "in allen Bereichen schwer".

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Quelle:
SZ vom 13.11.2019
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