Süddeutsche Zeitung

Wegen dubioser NS-Vergangenheit:Cham stürzt das Denkmal Bosl

Lange waren sie in Cham stolz auf Karl Bosl, der sich als Widerständler im Dritten Reich präsentiert hatte. Offenbar zu Unrecht. Denn nun zeichnet eine Studie ein anderes Bild. Die Stadt reagiert - und erkennt dem inzwischen toten Historiker sämtliche Ehrenzeichen ab. Doch schon seit Jahren lagen Dokumente über die dubiose NS-Vergangenheit Bosls vor.

Hans Kratzer

Auf ihren "berühmten Heimatsohn" Karl Bosl (1908-1993) sind die Chamer lange Zeit sehr stolz gewesen. 1984 ernannten sie ihn zum Ehrenbürger und auch danach fehlte es nicht an Ehrungen und Gunstbeweisen.

Nun aber hat sich der Geburtsort Cham von dem 1993 gestorbenen Historiker abgewendet. Der Stadtrat beschloss vor wenigen Tagen in einer nichtöffentlichen Sitzung, den im Jahr 2008 nach Bosl benannten Platz entlang der Propsteistraße umzubenennen. Am Montag war der Prof.-Dr.-Karl-Bosl-Platz bereits Vergangenheit, das Straßenschild ist umgehend abmontiert worden.

Auch die im Jahr 2003 im Rathaus aufgestellte und 50.000 Euro teure Bronzebüste von Bosl soll entfernt und im Archiv verstaut werden. Damit zog der Stadtrat die Konsequenz aus neuen Erkenntnissen über Bosls NS-Vergangenheit. Unter anderem soll sich der renommierte Historiker zu Unrecht als Widerständler präsentiert und sich jener Heldentaten gerühmt haben, deretwegen ein 17-Jähriger hingerichtet wurde.

Die Grundlage für den Stadtratsbeschluss bildet eine Studie des Chamer Stadtarchivars Timo Bullemer, der beauftragt wurde, die in mehreren Publikationen und Zeitungen erhobenen Vorwürfe gegen Bosl zu überprüfen. Fast ein halbes Jahr hat Bullemer Quellen ausgewertet, die Aufschluss über Bosls Vergangenheit geben. Vergangene Woche legte er die 14-seitige Studie dem Stadtrat vor, der Bosl daraufhin einstimmig alle Ehrenzeichen aberkannt hat.

Die Chamer Bürgermeisterin Karin Bucher sagte der SZ, die Ergebnisse Bullemers sowie diverse Presseberichte über Bosl hätten dem Stadtrat keine andere Wahl gelassen, als die Ehrenzeichen zurückzunehmen.

Hätte man das Wissen über Bosls NS-Vergangenheit schon damals gehabt, wäre ihm die Ehrenbürgerwürde nicht verliehen worden (die mit seinem Tod erloschen ist, Anm. d. Red.). "Wir wollen ihn nicht verurteilen", sagte Frau Bucher, "aber um mit einer Straße geehrt zu werden, muss jemand mehr als wissenschaftliche Leistungen erbringen. Dazu braucht es Zivilcourage, und die hat Bosl im Dritten Reich nach unserem jetzigen Wissen nicht gezeigt."

Dass der Stadtrat von den Hinweisen auf Bosls Engagement in der NS-Zeit völlig überrascht worden ist, klingt freilich erstaunlich, denn immerhin liegen seit 1998 wissenschaftliche Publikationen vor, in denen seine Mitgliedschaft in NSDAP und SA explizit erwähnt ist. Trotzdem benannten die Chamer noch zehn Jahre später, zu seinem 100. Geburtstag, einen Platz nach ihm.

Erst als die Frankfurter Allgemeine Zeitung in diesem Sommer die zum Teil seit Jahren vorliegenden Thesen des Würzburger Historikers Peter Herde einer breiten Öffentlichkeit bekannt machte, wurde man in Cham stutzig. Herde behauptet, Bosls Widerstandskampf gegen das NS-Regime sei nur eine Legende. Der Stadtarchivar erhielt den Auftrag, die Causa Bosl nachzurecherchieren und die einschlägigen Quellen und Dokumente zu verifizieren.

Wir waren zu einer Reaktion gezwungen, sie sehen ja, was heute los ist", sagte Stadtrat Michael Daiminger der SZ. In Historikerkreisen, besonders in der weit verzweigten Schülerschaft von Bosl, herrscht dagegen Verwunderung über die schnelle Aburteilung des zu Lebzeiten höchst angesehenen Wissenschaftlers, der sogar als möglicher Kultusminister gehandelt wurde. "Er hat Gott sei Dank seine Demontage als Mensch und zutiefst menschlicher akademischer Lehrer nicht mehr erleben müssen", schrieb beispielsweise der Historiker Helmut Sperber in einem Leserbrief.

Bullemers Studie zeigt indessen, dass die Untersuchungen von Benjamin Z. Kedar und Peter Herde in vielen Punkten stimmen. Bosls Mitgliedschaft in Stahlhelm, NSDAP, SA und anderen Organisationen lassen sich eindeutig belegen. Bosl habe darüber jedoch der breiten Öffentlichkeit keine Auskunft gegeben. Gut dokumentiert ist laut Bullemer auch, dass spätere Aussagen Bosls über seine wissenschaftliche Tätigkeit (Veröffentlichungen, Dozentur) in der NS-Zeit nicht korrekt sind. "Über die Art und Weise seiner Widerstandshandlungen im Dritten Reich bestehen erhebliche Unsicherheiten", schreibt Bullemer. Aussagen widersprechen sich, verlässliche schriftliche Quellen fehlen. Eine Erklärung für Bosls umstrittene Darstellung könnte darin liegen, dass er ohne Nachweis des aktiven Widerstands aus dem Schuldienst entlassen worden wäre. Auch seine Universitätslaufbahn wäre beendet gewesen.

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SZ vom 29.11.2011/tob
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