Bayern:Streit um die Seeufer

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Kuh in Nationalfarben

Badegäste auf einem Steg am Starnberger See. Hier sind nur 24,4 von insgesamt 49,2 Kilometern Ufer zugänglich.

(Foto: dpa)

Jeder Bürger darf auf Berge klettern, in Flüssen schwimmen oder an Seen liegen. So steht es in der Bayerischen Verfassung. Aber an vielen Stellen ist der Weg zum Wasser versperrt, die Sicht verbaut. Dürfen Anwohner das?

Von Ines Alwardt

Wenn Johannes Hagn über den 400 Meter langen Steg am Tegernsee spaziert, das Wasser unter sich, die schmucken Privathäuser hinter sich, das Bergpanorama vor sich, weiß er: Der Kampf hat sich gelohnt. Die dicken Aktenordner, die sich in den Regalen im Büro stapeln, auf denen sich seit Jahren der Staub sammelt, stapeln sich nicht umsonst. Johannes Hagn, Bürgermeister der Stadt Tegernsee, sagt: "Jedes Stück Steg ist mit einem Urteil erstritten worden."

Die Akten im Tegernseer Rathaus zeugen vom Kampf um ein bayerisches Grundrecht, das so alt ist wie die Bayerische Verfassung selbst: Artikel 141, Absatz drei garantiert das Recht auf freien Zugang zu den Naturschönheiten Bayerns. Jeder Bürger soll die Möglichkeit haben, auf Berge zu klettern, in Flüssen zu schwimmen oder an Seen zu liegen. Nicht einmal die Verfassung der Bundesrepublik enthält einen ähnlichen Passus. Artikel 141, Absatz drei gleicht einer speziellen bayerischen Magna Charta. Nur wirkt diese in der Praxis meist anders, als sich die Bürger das nach dem Verfassungstext vorstellen.

An vielen Stellen versperren Privatgrundstücke den Weg und hohe Zäune und Hecken die Sicht. Nur 24,4 von den insgesamt 49,2 Kilometern Ufer am Starnberger See sind zugänglich, am Tegernsee sind es laut der bayerischen Schlösser- und Seenverwaltung knapp sechs von 21 Kilometern. Da werden Erfrischungswillige und Naturliebhaber oft sauer auf Eigentümer, sie fragen sich: "Dürfen die das?"

Artikel 141, Absatz drei, garantiert das Recht auf Zugang zu den Naturschönheiten Bayerns - und er garantiert Streit. Zwischen Besitzenden und Nicht-Besitzenden, Großgrundbesitzern und solchen, die sich kein Grundstück am See leisten können. In dem Verfassungstext heißt es: "Staat und Gemeinde sind berechtigt und verpflichtet, der Allgemeinheit die Zugänge zu Bergen, Seen, Flüssen und sonstigen landschaftlichen Schönheiten freizuhalten und allenfalls durch Einschränkungen des Eigentumsrechts freizumachen ..."

Die Kommunen sind demnach verpflichtet, ihr Möglichstes zu tun, um die Seezugänge für Bürger zu erhalten - indem sie sich zum Beispiel bei dem Verkauf eines Grundstücks den Uferstreifen sichern oder in Bebauungsplänen Seezugänge einplanen. Was es nicht heißt: dass ein See an jeder beliebigen Stelle frei zugänglich sein muss.

Schluss mit Sonnen und Planschen

Staudham, ein kleiner Moorsee, nur zehn Autominuten von Wasserburg entfernt; ein weißes Sandufer führt flach ins Wasser, Kinder planschen, Erwachsene sonnen sich auf der Liegewiese. Der Platz ist eine der beliebtesten Badestellen für Bürger aus der Region, sie kommen aus München, Ebersberg, Erding und Wasserburg hierher. Aber in letzter Zeit gibt es immer wieder Streit.

Im kommenden Jahr soll Schluss sein mit dem Sonnen und Planschen. Der Eigentümer will die Badestelle schließen, man erzählt sich, er wolle aufforsten. Die Gäste sind empört, sie haben demonstriert, ohne Erfolg. Die Frage nach der radikalsten Lösung stellt eine blonde Frau: "Wieso enteignet man den eigentlich nicht?"

Franz Lindner muss schmunzeln, wenn er von solchen Ideen hört. Der Professor und Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der Universität Augsburg gilt als Experte für bayerisches Verfassungsrecht, er weiß: Enteignungen sind in der juristischen Praxis selten, vor allen Dingen, weil sie für die Kommunen teuer würden, denn diese müssten die Eigentümer dafür entschädigen. Gehört ein Seegrundstück oder ein ganzer See einem Privatmann, bleibt der Kommune nur ihr Verhandlungsgeschick.

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