Süddeutsche Zeitung

EU-Entscheidung gegen Manfred Weber:"Das ist ein Schlag ins Gesicht der Demokratie"

Die CSU ist empört, dass Ursula von der Leyen EU-Kommissionspräsidentin werden soll und Manfred Weber leer ausgeht. Während sich die Parteispitze mit zu lauter Kritik zurückhält, wütet die Basis vor allem in Niederbayern.

Von Wolfgang Wittl

Irgendwann am Sonntag habe sie die Hoffnung verloren, sagt Petra Högl. Die Hoffnung, dass Manfred Weber doch noch EU-Kommissionspräsident werden könnte. Högl ist Landtagsabgeordnete aus Webers Heimatlandkreis Kelheim. Ihr CSU-Parteifreund hatte dort bei der Europawahl mehr als 56 Prozent der Stimmen erhalten. Ende Mai war das, und die Zuversicht war groß, dass der europäische Spitzenkandidat Weber den europäischen Spitzenposten erreichen könne. Jetzt steht Högl in einem Flur im Landtag und sagt: "Das ist ein Schlag ins Gesicht der Demokratie. Ich bin schwer enttäuscht."

Die Welle des Frusts schwappt am Mittwoch durch die gesamte CSU. Kein Mitglied ist zu finden, das nicht auf die Vorgänge in Brüssel schimpfen würde. Dabei ist allerdings präzise zu unterscheiden zwischen Parteispitze und Basis. CSU-Chef Markus Söder bemüht sich erkennbar, den Schaden zu begrenzen. Er spricht zwar von tiefer Vertrauenskrise und dass die Spalter gewonnen hätten. Gleichzeitig achtet er aber darauf, dass die Partei nicht in Larmoyanz versinkt. Sogar die Landtagsfraktion, die sich eher selten mit den Feinheiten europäischer Personaltableaus beschäftigt, debattiert darüber mehr als eine Stunde. Viel Mitleid für Weber, ein paar kritische Stimmen gegen Angela Merkel und geballter Zorn gegen Emmanuel Macron sind zu vernehmen, ehe Söder nach Teilnehmerangaben den Blick aller nach vorne richtet.

CSU-Generalsekretär Markus Blume hatte sich bereits am Dienstag kurz vor Mitternacht mit einem Brief an die Mitglieder gewendet. Die Botschaft: Weber sei der legitimierte Bewerber gewesen, großer Respekt für ihn, jetzt aber Verantwortung zeigen. Unverrückbar sei, dass die CSU trotz aller Bitterkeit ihren pro-europäischen Kurs beibehalten wolle. "Denn unsere Mission, Europa zu demokratisieren und den Bürgern zurückzugeben, ist ganz offenkundig noch nicht zu Ende", schreibt Blume.

Ein Bayer für Brüssel: So hatte die CSU für Weber geworben. Geworden ist es - sofern das Parlament zustimmt - eine Niedersächsin, die gar nicht zur Wahl gestanden war. Die Appelle der Parteiführung vermögen die christsoziale Wut kaum zu lindern. Von Entsetzen ist die Rede, von Geschachere, Politikverdrossenheit und einem "Bärendienst" der Kanzlerin an der Demokratie, wie Oberbayerns JU-Vorsitzender Daniel Artmann kritisiert: "Warum sollte man in fünf Jahren überhaupt nochmals zur Europawahl gehen? Damit unter Druck stehende Minister am Ende mit Posten versorgt werden?" Das Europaparlament müsse "dem maßlosen Treiben ein Ende" setzen, fordert Artmann.

Die CSU-Europaabgeordneten dürften die in der Partei ungeliebte von der Leyen zähneknirschend wählen, Weber selbst hat den Weg ja freigemacht. Schon eher auf JU-Linie liegt wohl unfreiwillig die SPD-Abgeordnete Maria Noichl. Der Rat der Regierungschefs ignoriere den Willen der Bürger und werfe das Spitzenkandidatenprinzip über Bord, hadert Noichl: "Ich werde diesem Vorschlag auf keinen Fall zustimmen. Frau von der Leyen als Chefin der EU-Kommission ist untragbar." Wie die SPD-Frau denken viele in der CSU.

Wut auf Macron und Merkel

Vor allem in Webers Heimat Niederbayern klettert der Frustpegel in ungekannte Höhen. "Unglaublich", stöhnt der Straubinger Landtagsabgeordnete Josef Zellmeier, "ein Fiasko". Dass "eine Nichtkandidatin" EU-Kommissionspräsidentin werde solle, sei den Menschen nicht mehr zu vermitteln. Auch der niederbayerische CSU-Chef Andreas Scheuer beklagt eine "Missachtung des Wählervotums". Weber habe in den für ihn schweren Stunden "menschliche Größe" gezeigt und damit bewiesen, dass er doch der Richtige gewesen wäre.

"Die Niederbayern kochen", berichtet ein CSU-Mann aus Webers Heimatregion. In mehreren Kreisverbänden gebe es "giftige Mails und Austrittsdrohungen". Da sei das Unverständnis, dass der zu Hause beliebte Weber leer ausgehe. Und zum anderen die Wut auf Macron und Merkel. Deren Entscheidung für von der Leyen werde "das Verhältnis zur CDU belasten". Mehr als 53 Prozent hatte Weber in Niederbayern geholt, in seinem Heimatdorf Wildenberg bekam er fast drei Viertel aller Stimmen. "Wir kommen uns auf jeden Fall verschaukelt vor. Die Demokratie wurde mit Füßen getreten", sagt Wildenbergs CSU-Ortsvorsitzender Winfried Roßbauer.

Das Gefühl der Menschen im Ort beschreibt er so: Es sei nicht korrekt, jemanden zur Wahl zu schicken und dann unter den Staatschefs die Posten auszumachen. Die deutlich gestiegene Wahlbeteiligung werde darunter künftig leiden, glauben sie in der CSU. Roßbauer hat mit Weber bereits SMS geschrieben. "Dass er nicht erfreut ist, kann man sagen." Weber werde aber wieder aufstehen. "Er ist Manns genug und wird seinen Weg gehen."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4509624
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 04.07.2019/imei
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.