Brrr.... der Karlsfelder See ist am Freitagvormittag ganz schön kühl. Wind weht, die ersten Tropfen fallen vom bewölkten Himmel. Kein ideales Badewetter. Trotzdem steigen neun tapfere Knirpse aus dem BRK-Kindergarten Karlsfeld bei München ins Wasser, hier und da wird kurz gejapst, der Schwimmlehrer ruft „kalt!“. Doch dann sind die Kinder drin und schwimmen ein paar Meter.
Angefeuert und beklatscht werden sie von drei Erwachsenen, die sich bis zu den Unterschenkeln in den See getraut haben: Bayerns Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU), Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler) und Thomas Huber, Landesvorsitzender der Wasserwacht und Landtagsabgeordneter der CSU.
Das Trio steht nicht zufällig am See. Es will hier ein „Novum“ präsentieren, wie Aigner sagt. Sie ist Schirmherrin der Wasserwacht-Kampagne „Bayern schwimmt“, die heuer zum sechsten Mal den Fokus aufs Schwimmenlernen lenken soll. Seit Jahren warnen Experten, dass immer weniger Kinder sicher im Wasser unterwegs sind. Die Corona-Pandemie hat den Trend verschärft, weil Bäder monatelang geschlossen waren. Zudem müssen reihenweise Bäder aus Kostengründen schließen.
Auch die Jungs und Mädels aus dem BRK-Kindergarten trifft das Bädersterben. Im vergangenen Jahr entschied der Gemeinderat, das Hallenbad dichtzumachen. Die Betriebskosten von rund 700 000 Euro und eine nötige Sanierung konnte die Kommune nicht stemmen. Als eine „der schlimmsten und schwierigsten Entscheidungen“ bezeichnete Karlsfelds Bürgermeister den Schritt. Zum Schwimmen müssen die Kindergartenkids seitdem ins Dachauer Hallenbad ausweichen.
Aigner, Stolz und Huber wollen am Freitag eine „klare Antwort auf Bädersterben“ geben: Das neue Konzept „Schwimmenlernen am See“ soll Schwimmkurse in freien Gewässern fördern. Diese seien aufgrund des „natürlich erhöhten Gefahrenpotenzials bisher kritisch gesehen“ worden, sagt der Wasserwachts-Vorsitzende Huber. Man wolle das Tabu brechen – unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen. Mit einer 20-seitigen Arbeitshilfe will die Rettungsorganisation Schwimmtrainer ermuntern, auch dann Kurse anzubieten, wenn die Nutzung eines Bades nicht möglich ist.
Bei der Pressekonferenz erzählen die Landtagspräsidentin, die Kultusministerin und der Wasserwachts-Vorsitzende, dass sie alle als Kinder in freien Gewässern Schwimmen gelernt hätten. Huber im Karpfenteich, Aigner im Löschweiher und Stolz in einem See, in dem ihr Vater nebenbei fischte. Auch heute entspreche das der Realität vieler Kinder und Jugendlicher, sagt Aigner. Sie hofft, dass die neue Möglichkeit dazu beitragen wird, Unfälle oder gar Badetote zu verhindern.
2023 gab es 62 Badetote in Bayern, die meisten starben an Flüssen oder Seen
Schließlich sind in keinem anderen Bundesland in den vergangenen zwei Jahren mehr Menschen ertrunken als in Bayern. Was auch daran liegt, dass die bayerischen Seen und Flüsse besonders beliebte Badeorte sind, nicht nur bei Einheimischen. Die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) meldete 69 Tote für das Jahr 2022 und 62 für 2023, darunter sechs Kinder bis 15 Jahre. Die meisten Todesfälle wurden an Flüssen und Seen verzeichnet, wo im Notfall oft keine Rettungsschwimmer zur Stelle sind.
Harald Walter, Präsident des Bayerischen Schwimmverbandes (BSV), begrüßt die Initiative. Allerdings ändere sich an den Grundproblemen wenig. „Das hilft vielleicht, ein paar Wochen im Sommer zu überbrücken“, sagt er. Statt kleinen Schritten wünscht er sich mehr Einsatz für die Rettung von Schwimmbädern in der Landes- und Bundespolitik. „Da bräuchte es einen großen Wumms in Bayern.“
CSU und Freie Wähler haben sich den Satz „Jedes Grundschulkind soll verlässlich schwimmen können“ in ihren Koalitionsvertrag geschrieben. Doch Walter schätzt, dass rund 30 Prozent der Grundschülerinnen und Grundschüler das Schwimmen gar nicht lernen – auch, weil die Wege zum nächsten Hallenbad oft so weit seien, dass Schwimmunterricht erst gar nicht stattfinde. Der BSV-Präsident nennt den Landkreis Bad Kissingen als Beispiel, wo von ehemals drei Hallenbädern nur noch eins übrig sei.
„Schwimmbäder bleiben marode, Plätze in Schwimmkursen rar, flächendeckender Schwimmunterricht utopisch“
Auf Nachfrage sagt Kultusministerin Stolz am Freitag, dass der Schwimmunterricht in der Fläche gesichert sei. Zudem sei es eine „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“, Kindern das Schwimmen beizubringen. Neben Familien und Vereinen sei die Schule nur ein Baustein. Das See-Schwimmen soll übrigens nicht Teil des schulischen Sportunterrichts werden, teilt das Ministerium am Freitag mit.
Ist das See-Konzept ein Beleg dafür, dass man sich dem Bädersterben nun ergibt? Thomas Huber schüttelt den Kopf. „Ich kämpfe um jedes Bad“, sagt der Wasserwachtler und CSU-Abgeordnete. Er weist darauf hin, dass die Staatsregierung ihr Sonderförderprogramm für Schwimmbäder erst im vergangenen Jahr verbessert habe, 30 Millionen Euro stehen in diesem Jahr bereit. So würden zum Beispiel interkommunale Bäder gefördert, an denen sich mehrere Kommunen beteiligen.
Von den Verbesserungen sei allerdings noch nichts zu spüren, sagt BSV-Präsident Walter, im Gegenteil: „Die Lage hat sich zum Schlechten verschlechtert.“ Auch die Grünen im Landtag kritisieren den Status quo und zweifeln, dass das Projekt „Schwimmenlernen am See“ Abhilfe schafft. „Schwimmbäder bleiben marode, Plätze in Schwimmkursen rar, flächendeckender Schwimmunterricht utopisch“, kritisiert Max Deisenhofer, Sprecher für Sport der Grünen im Landtag. Es müsse mehr Geld an die Kommunen fließen.
Für die Knirpse des Karlsfelder Kindergartens bleibt der Ausflug an den Karlsfelder See jedenfalls eine Ausnahme. Ihre Schwimmkurse beginnen im Januar, berichtet eine Erzieherin. Da weichen selbst die tapfersten Schwimmer ins Hallenbad aus.