Wallerstein"Es ist kein Problem eines Dorfes"

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Im Ort Wallerstein im schwäbischen Landkreis Donau-Ries hat ein Bürgermeisterkandidat muslimischen Glaubens seine Kandidatur zurückgezogen. Im Landkreis Freising findet man zu dem Fall deutliche Worte.
Im Ort Wallerstein im schwäbischen Landkreis Donau-Ries hat ein Bürgermeisterkandidat muslimischen Glaubens seine Kandidatur zurückgezogen. Im Landkreis Freising findet man zu dem Fall deutliche Worte. (Foto: Wolfgang Filser/Mauritius)

Der muslimische Unternehmer Sener Sahin lässt sich von der CSU-Spitze nicht umstimmen, Bürgermeisterkandidat zu werden. Auch in anderen Orten zeigt sich: Vor allem die Parteibasis leistet Widerstand.

Von Florian Fuchs, Olaf Przybilla, Lisa Schnell und Wolfgang Wittl, München/Wallerstein

So ziemlich alle Beteiligten hatten gehofft, dass diese Geschichte endlich auserzählt sein würde, doch davon konnte am Dienstag keine Rede sein. Vier Fernsehteams begaben sich in Wallerstein auf Spurensuche, darunter eines des türkischen Staatssenders. Alle wollten wissen, wie das jetzt gelaufen sei in der Marktgemeinde im schwäbischen Ries. Bislang war Wallerstein, gut 3300 Einwohner groß, vor allem durch gutes Bier bekannt. Seit ein paar Tagen macht der Ort Schlagzeilen, weil die CSU-Basis den Unternehmer Sener Sahin, 44, zum Verzicht auf die Bürgermeisterkandidatur bewegt hat, obwohl der Ortsvorstand und Parteifunktionäre ihn unterstützt hatten. Das Argument der Gegner: Ein Muslim stehe der Christlich-Sozialen Union nicht gut zu Gesicht. Andere CSU-Kandidaten für den Marktrat drohten mit Rückzug, falls Sahin antrete.

Eine halbe Stunde telefonierte CSU-Generalsekretär Markus Blume mit Sahin. Alle Versuche, ihn noch einmal umzustimmen, verpufften. "Er bleibt bei der Absage, weil er nicht den hundertprozentigen Rückhalt verspürt", sagt Blume. Er bedauere die Entscheidung, sie sei aber zu respektieren. Die Familie wolle zur Ruhe kommen. Sahin habe ihm gesagt, dass er keinen Groll auf die CSU hege. Blume habe ihm im Gegenzug versichert, dass ihm in der Partei alle Türen offen stünden. Wirklich?

Muslimischer Bürgermeisterkandidat
:"Es ging nie um meine Person, sondern immer nur um meinen Glauben"

Eigentlich wollte Sener Sahin in seinem Ort Wallerstein als Bürgermeisterkandidat antreten. Doch dann wurde der Gegenwind zu groß. Der Tenor: Ein Moslem und CSU, das passe nicht zusammen.

Interview von Jan Schmidbauer

Noch vor einiger Zeit war die Skepsis, die jetzt vor allem ältere CSU-Mitglieder auf dem Land zeigen, auch in der Parteispitze zu spüren. 2018 sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, der Islam habe "mit der Scharia als Rechtsordnung nichts gemeinsam mit unserem christlich-jüdischen Erbe". CSU-Chef Markus Söder stellte 2007 klar, dass seine Partei CSU heiße und nicht "MSU": Man wolle keine Sammlungsbewegung für Muslime werden. 2012 erklärte Söder den Islam bereits zum Bestandteil Bayerns. Heute sagt er: "Die Welt ist eine andere geworden."

Eine Studie der Hanns-Seidel-Stiftung hat ergeben, dass Migranten in Bayern mehrheitlich die CSU wählen. Die Mehrzahl der Muslime aber stimmt für die SPD. Die CSU punktet vor allem bei russischen Aussiedlern. Den Vorfall in Wallerstein bezeichnet Söder als "sehr ärgerlich". Eine klare Linie ließ die CSU bei dem Thema über all die Jahre indes vermissen - vor allem, wenn sie wieder mal über Leitkultur diskutierte. Das spiegelt sich an der Basis.

Probleme aus der Basis

"Es ist kein Problem eines Dorfes", sagt Mehmet Sapmaz, Muslim und seit neun Jahren Stadtrat der CSU in Erlangen. Ein Muslim als OB-Kandidat? Seine Fraktion wäre nicht das Problem, sagt Sapmaz, nur: "Die Basis, mit der hätten wir zu kämpfen" - selbst im liberalen Erlangen. Er kenne sie ja, die "scheinheiligen Sprüche", vor allem von Älteren. Ob er sich wohlfühle bei der CSU? Kann er sich mit ihr identifizieren? Manchmal habe er sich schwergetan, sagt Sapmaz. Etwa wenn Bundesinnenminister Horst Seehofer kundtat, aus muslimischen Ländern keine Fachkräfte zu wollen. Da dachte Sapmaz sogar an Austritt. Auf unterstützende Worte, wie sie jetzt aus der CSU-Spitze zu hören sind, habe er lange gewartet. "Das war ein wichtiges Zeichen." Trotzdem würden viele Muslime oft als Reinigungskraft gesehen, nicht nur in der CSU. Bis sich das ändere, brauche es Zeit: "Bei der CSU noch länger als bei den anderen."

So lange wollte Ümit Sormaz nicht mehr warten. Der 40-jährige Bildungsunternehmer aus Nürnberg war auch mal in der CSU, er war sogar Vorsitzender eines Ortsverbands und galt als eine Art Vorzeigemigrant der Partei. Ein Mann mit türkischen Wurzeln als lokaler CSU-Boss, das hatte Aufsehen erregt: Na also, es geht doch! Nur Sormaz war dieser Ansicht irgendwann nicht mehr. 2017 trat er aus der CSU aus. Mit der Spitze der Partei habe er keine Probleme gehabt, erzählt er. Mit der Basis umso mehr. Es gab Anfeindungen. Vor zwei Jahren hatte er das Gefühl, dass "die alte CSU wieder da" ist. Da verließ er die CSU.

Den Fall Wallerstein hat er mit Bestürzung verfolgt. "Herr Sahin ist Unternehmer und mit einer Christin verheiratet", sagt Sormaz: "Was muss er denn noch machen, damit er in dieser Gesellschaft angekommen ist?", frage er sich. Und was hätte er, Sormaz, in der Halbmillionenstadt Nürnberg tun sollen, um bei der CSU-Basis akzeptiert zu werden: "Meine Religion ablegen, mein Gesicht ändern?" Manchmal, sagt Sormaz, habe er sich schon beim Gedanken erwischt, dass er das Thema damals hätte "eskalieren lassen" sollen in der CSU. "Denn die Partei und die Gesellschaft müssen das jetzt anpacken, sonst reden wir da 2030 immer noch genauso darüber." Sormaz ist nun in der FDP - und deren OB-Kandidat in Nürnberg. Kürzlich hat er seinen Duz-Freund und Förderer Günther Beckstein gefragt, ob der glaube, dass er, Sormaz, in der CSU ähnliche Karrierechancen gehabt hätte. Beckstein antwortete lakonisch mit einem Wort: "Nein."

Engagement für muslimische Mitglieder

Aber es gibt auch andere Stimmen, etwa aus Ingolstadt, der Heimatstadt von Seehofer, der mal sagte, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Seehofer habe sie immer unterstützt, sagt Nesrin Yilmaz. Sie zog 2001 für die Grünen in den Stadtrat ein, wechselte dann aber zur CSU. Wer etwas bewegen wolle in Bayern, auch für Migranten, müsse zur CSU, sagt Yilmaz, da sei die Macht. Sie glaubt, in Ingolstadt hätte ein Muslim Chancen. Der CSU rät sie, Muslime zu ermutigen, sich zu engagieren. Auch um ein Zeichen an die Wähler zu senden.

Die Zeichen in Wallerstein waren eindeutig. Auch für Georg Kling, den CSU-Ortsvorsitzenden, der Sahin vorgeschlagen hatte. Er will die Stimmung nicht weiter anheizen, aber das will er schon sagen: "Wir wählen doch einen Bürgermeister, nicht einen Pfarrer." Kling hätte sich gefreut, wenn Sahin für die CSU angetreten wäre. Auch wenn sie ihm im Ort gegen den unangefochtenen Bürgermeister Joseph Mayer von der Freien Wählergruppe kaum Chancen eingeräumt hätten. Mayer wird nun wohl gar keinen Gegenkandidaten bekommen. Sener Sahin klingt jedenfalls nicht, als ließe er sich umstimmen: "Mein Entschluss steht zu 99,999 Prozent fest."

© SZ vom 08.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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